Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Umgangsrechts ist nur veranlasst, wenn nach den Umständen des Einzelfalls der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren1. Entsprechend kann nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Umgangs für längere Zeit angeordnet werden, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

Das Gericht hat bei der Entscheidung über die Einschränkung oder den Ausschluss des Umgangs sowohl die betroffenen Grundrechtspositionen des Elternteils als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen.
Um dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dabei Rechnung zu tragen, müssen die Fachgerichte jedenfalls bei einem länger andauernden oder einem unbefristeten Umgangsausschluss – insoweit nicht grundlegend anders als bei dem Entzug des Sorgerechts auf der Grundlage von § 1666 BGB – grundsätzlich die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen2.
Dem ist das Oberlandesgericht, wenn auch ohne die fachrechtlichen Grundlagen seiner Entscheidung zu benennen, noch ausreichend gerecht geworden. Eine drohende Kindeswohlgefährdung bei jeglichem Kontakt des Vaters stützt es sowohl auf den weiterhin im Raum stehenden Verdacht des sexuellen Missbrauchs jedenfalls zu Lasten seiner älteren Tochter sowie auf den unter anderem in der Anhörung vor dem Oberlandesgericht und gegenüber der Verfahrensbeiständin geäußerten Willen beider Töchter, derzeit keinen Kontakt mit dem Vater haben zu wollen. Die dem zugrunde liegenden Feststellungen und die darauf gestützte Abwägung beruhen nicht auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts3.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurückbleiben4. Die Gefährdungslage muss sich aber auch insoweit nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit derart verdichtet haben, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist5. Nicht anders als im Hauptsacheverfahren muss auch im einstweiligen Anordnungsverfahren bei der damit erforderlichen Prognose von Verfassungs wegen die drohende Schwere der Beeinträchtigung des Kindeswohls berücksichtigt werden. Je gewichtiger der zu erwartende Schaden für das Kind oder je weitreichender mit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls zu rechnen ist, desto geringere Anforderungen müssen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger belastbar muss die Tatsachengrundlage sein, von der auf die Gefährdung des Kindeswohl geschlossen wird6.
So auch in dem vorliegenden Verfahren, in dem dem beschwerdeführenden Vater das Umgangsrecht vom Oberlandesgericht München vorläufig vollständig entzogen wurde7, das Bundesverfassungsgericht dessen hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung annahm, wodurch sich auch zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht erledigte:
Sollte sich das insbesondere von seiner älteren Tochter in einigen Anhörungen beziehungsweise Vernehmungen geschilderte Verhalten des Vaters ihr gegenüber bestätigen, gingen damit schon wegen des beschriebenen Körperkontakts mit Sexualbezug schwerwiegende Beeinträchtigungen ihres Kindeswohls einher. Dass ausweislich der mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Unterlagen ihr diesbezügliches Aussageverhalten nicht durchgängig konstant war, stellt wegen der für den Fall zutreffender Angaben über Kontakt mit dem Geschlechtsteil des Vaters gravierenden Kindeswohlgefährdung die Tragfähigkeit der Prognose nicht in Frage. Da auch für die jüngere Tochter – wohl von ihr ausgehender – Kontakt mit dem Geschlechtsteil des Vaters beschrieben wird, hat eine ihr drohende Kindeswohlgefährdung bei unmittelbarem Umgang mit dem Vater ebenfalls eine für das einstweilige Anordnungsverfahren ausreichende Grundlage.
Derzeit erweist sich auch der Ausschluss begleiteter Umgänge und jeglichen Kontakts zu den Töchtern als noch verhältnismäßig. Unter Berücksichtigung der im einstweiligen Anordnungsverfahren aus Zeitgründen eingeschränkten Möglichkeiten der Sachaufklärung und der Schwere der im Raum stehenden Vorwürfe beruht die Annahme des Oberlandesgerichts, den Töchtern sei jeglicher Kontakt zum Vater nicht zuzumuten, gleichfalls nicht auf einer grundlegenden Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Soweit das Oberlandesgericht sich dafür zudem auf den jeglichen Umgangskontakt ablehnenden Willen beider Kinder stützt, ist das verfassungsrechtlich jedenfalls in Bezug auf die ältere, jetzt zehnjährige Tochter nicht zu beanstanden. Damit wird dem im Recht auf Selbstbestimmung des Kindes wurzelnden, mit dem Alter in der Bedeutung zunehmenden Anspruch auf Berücksichtigung des Kindeswillens Rechnung getragen8. Ob der Ausschluss jeglichen Umgangs und Kontakts auch mit der jüngeren Tochter maßgeblich auf ihren entsprechenden Willen gestützt werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes verletzt die Entscheidung des Oberlandesgerichts das Elternrecht des Vaters auch insoweit nicht, weil der Ausschluss ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG bereits durch die auf dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs beruhende drohende Kindeswohlgefährdung derzeit noch tragfähig gestützt ist.
Da allerdings der Vater seit nunmehr gut elf Monaten keinen Umgang mit und keinen Kontakt zu seinen Töchtern hat, wird das Oberlandesgericht – wie im angegriffenen Beschluss angekündigt – dafür Sorge tragen müssen, zügig zu einer Hauptsacheentscheidung zum Umgang zu gelangen. Bis dahin bedarf es angesichts bislang noch ungesicherter Erkenntnisse über das Vorliegen von sexuellem Missbrauch einer regelmäßigen Überprüfung, ob der einstweilige Umgangsausschluss aufrechterhalten oder verändert werden muss. Auch bei möglichen weiteren Entscheidungen im einstweiligen Anordnungsverfahren ist zu beachten, dass – im Rahmen des in diesem Verfahrenstypus Möglichen – die den Kindern drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret zu benennen sind.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. Januar 2023 – 1 BvR 2345/22
- vgl. BVerfGE 31, 194 <209 f.>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.05.2022 – 1 BvR 326/22, Rn. 13 m.w.N.[↩]
- vgl. zum Maßstab BVerfGE 18, 85 <92 f.>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.09.2015 – 1 BvR 1292/15, Rn.19[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.2017 – 1 BvR 1202/17, Rn.19[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.09.2022 – 1 BvR 1807/20, Rn. 45 m.w.N.[↩]
- OLG München, Beschluss vom 24.11.2022 – 26 UFH 10/22[↩]
- vgl. zum Maßstab BVerfGK 15, 509 <515>[↩]
Bildnachweis:
- Kind,Missbrauch,: Pixabay