Die Feststellung des Grades der Behinderung und der Tod des Behinderten

Der Anspruch auf Feststellung des Grades der Behinderung nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch und dem Schwerbehindertengesetz erlischt mit dem Tod des Anspruchsinhabers und kann weder durch Erbrecht noch durch sozialrechtliche Sondervorschriften auf eine andere Person übergehen1.

Die Feststellung des Grades der Behinderung und der Tod des Behinderten

Die Erbin ist materiell nicht berechtigt und deshalb nicht aktiv legitimiert, die Feststellung des GdB des Erblassers (hier: ihres verstorbenen Ehemannes) geltend zu machen. Denn ein Anspruch auf Feststellung eines GdB erlischt mit dem Tod des Anspruchsinhabers und kann weder durch Erbrecht noch durch sozialrechtliche Sondervorschriften auf eine andere Person übergehen2.

Dabei kann offen bleiben, ob sich diese Rechtsfolge bereits aus § 59 Satz 1 SGB I ergibt. Nach dieser Vorschrift erlöschen Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen mit dem Tod des Berechtigten. Ob es sich bei der Feststellung eines GdB um eine Sozialleistung – gleich ob in Gestalt einer Dienst- oder einer Sachleistung – im Sinne des SGB I handelt, lässt das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg offen, wobei allerdings anzumerken ist, dass das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 7. April 20113 dies ausdrücklich verneint hat. Auch kann dahinstehen, ob aus dem SGB I eine Regelung der Unvererblichkeit der Ansprüche auf Feststellung der rechtlichen Grundlage von Sozialleistungen erkennbar ist. Denn jedenfalls ist der Anspruch auf Feststellung eines GdB nicht, insbesondere nicht nach § 1922 BGB vererblich. Denn nach § 1922 BGB geht das „Vermögen“ auf die Erben über. Der Anspruch auf Feststellung eines GdB gehört aber nicht zum Vermögen. Die Feststellung betrifft einen Status des Behinderten, der mit seiner persönlichen Existenz verbunden ist und mit seinem Tod endet.

Der auch den Regelungen der §§ 56 f. SGB I zugrundeliegende Grundsatz der Unvererblichkeit höchstpersönlicher Rechte gilt gleichermaßen für das Privatrecht wie für das öffentliche Recht. Während regelmäßig vermögensbezogene Rechte und Rechtslagen als vererblich anzusehen sind, sind nichtvermögenswerte Rechte jedenfalls dann unvererblich, wenn sie eng und ausschließlich mit der individuellen Person des Erblassers verknüpft sind. Ob ein Anspruch höchstpersönlich ist, bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes.

Der Anspruch des Ehemannes der Erbin auf Feststellung eines GdB gleich welcher Höhe bereits ab dem 1.11.2000 ist ein höchstpersönliches Recht in diesem Sinne. Im Feststellungsverfahren nach dem zum 1.07.2001 außer Kraft getretenen Schwerbehindertengesetz (SchwbG) wie auch dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden personenbezogene gesundheitliche Feststellungen getroffen. Diese Feststellungen sind wiederum Grundlage für die Ausstellung eines Ausweises auf Antrag des Behinderten nach § 4 Abs. 5 SchwbG und § 69 Abs. 5 SGB IX. Dem personenbezogenen Charakter des Feststellungsverfahrens wird dadurch Rechnung getragen, dass das Tätigwerden des Beklagten ausschließlich auf einen Antrag des behinderten Menschen erfolgt und Dritten ein Antragsrecht nicht zusteht. Nach Antragstellung verliert das Feststellungsverfahren seinen allein auf die Person des behinderten Menschen bezogenen Charakter nicht. Dies wird dadurch gewährleistet, dass dem behinderten Menschen auch im Verlauf des Verfahrens die Dispositionsbefugnis eingeräumt ist, auf die Durchführung des Verfahrens ganz zu verzichten oder den Antrag zu beschränken. Weiterhin kommt der allein auf die Person des behinderten Menschen zielende Charakter des Feststellungsverfahrens dadurch zum Ausdruck, dass dem von den Feststellungen betroffenen Dritten, etwa einem möglichen Arbeitgeber, ein eigenes Anfechtungsrecht nicht eingeräumt ist. Dieser Schutz vor Einwirkungen Dritter auf das Feststellungsverfahren nach § 4 Abs. 1 und 5 SchwbG sowie nach § 69 Abs. 1 und 5 SGB IX ist daraus rechtfertigt, dass von der Behörde oder dem Gericht Ermittlungen über die gesundheitlichen Verhältnisse des Behinderten vorzunehmen und Feststellungen zu treffen sind, die einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht (Artikel 1 Abs. 1, Artikel 2 Abs. 1 GG) darstellen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht überdauert den Tod des Berechtigten. Somit ist es auch gerechtfertigt, Dritten, selbst Angehörigen, das Recht zu versagen, nach dem Tod des Betroffenen Gesundheitsstörungen feststellen zu lassen.

Daneben spricht gegen die Fortsetzung des Feststellungsverfahrens nach dem SchwbG wie auch nach dem SGB IX, dass dieses Recht im Gegensatz zu anderen Sozialleistungsbereichen „final“ ausgerichtet ist. Das SchwbG bezweckt, wie schon die Gesetzesüberschrift verdeutlicht, die „Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft“. Das SGB IX bezweckt nach seinem § 1 Satz 1 zugunsten der behinderten Menschen die Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie die Vermeidung oder dem Entgegenwirken von Benachteiligungen. Der Zweck dieser Gesetze ist mit dem Tode des Behinderten entweder erfüllt oder er lässt sich nicht mehr erreichen. Einzelne finanzielle Auswirkungen der Schwerbehinderteneigenschaft können nur noch Dritten zugute kommen. Inwieweit das rechtlich möglich ist, hängt von der jeweiligen Vergünstigung im Einzelfall ab.

Ohne dass es nach dem Gesagten hier darauf ankommt, dürfte die Erbin darauf zu verweisen sein, den Nachweis der Schwerbehinderung gegenüber dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung durch eine gutachtliche Stellungnahme oder sonstige ärztliche Unterlagen zu erbringen, da es nach § 236a Satz 5 Nr. 1 SGB VI in der Fassung bis zum 31.12.2007 und nach § 236a Abs. 4 Halbsatz 1 SGB VI in der Fassung ab dem 1.01.2008 für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung genügt, dass die Versicherten am 16.11.2000 „schwerbehindert waren“, während im Gegensatz hierzu etwa nach § 37 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sowie § 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI in der Fassung bis zum 31.12.2007 und nach § 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI in der Fassung ab dem 1.01.2008 für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen erforderlich ist, dass die Versicherten „bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen anerkannt sind“. Es dürfte also für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung genügen, dass die Schwerbehinderung tatsächlich vorgelegen hat, so dass es auf die formelle Feststellung durch Verwaltungsakt nicht ankommt4.

Soweit das Sozialgericht Speyer in einem Urteil vom 16. Januar 20125 die Auffassung vertreten hat, der Anspruch auf Feststellung des GdB nach § 69 Abs. 1 SGB IX erlösche nicht mit dem Tod des Anspruchsinhabers, wenn der Nachweis der Schwerbehinderung Voraussetzung für eine Altersrente nach § 37 SGB VI ist, ist dem nach der zitierten Rechtsprechung des BSG nicht zu folgen. Das Sozialgericht Speyer hat seine Rechtsauffassung im Übrigen maßgeblich auf die – hier nicht einschlägige – Erwägung gestützt, die Rechtsnachfolger des Klägers könnten nicht darauf verwiesen werden, den Nachweis der Schwerbehinderung durch eine gutachtliche Stellungnahme oder sonstige ärztliche Unterlagen zu erbringen, weil – anders als nach § 236a Abs. 4 Halbsatz 1 SGB VI in der Fassung ab dem 1.01.2008 – nach § 37 SGB VI für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen erforderlich sei, dass die Versicherten „bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen anerkannt sind“. Dazu ist indes anzumerken, dass in § 236a Abs. 4 SGB VI zu unterscheiden ist zwischen den Tatbestandsmerkmalen des ersten und des zweiten Halbsatzes. Jener stellt auf die Schwerbehinderteneigenschaft am 16.11.2000 ab, ohne dass es auf die förmliche Anerkennung ankommt. Dieser stellt in Nr. 2 Buchst. a auf die förmliche Anerkennung als schwerbehinderter Mensch ab, die bei Beginn der Altersrente vorgelegen haben muss. Diese Voraussetzung ist hier aber – anders als im vom Sozialgericht Speyer entschiedenen Fall – unproblematisch, weil der Ehemann der Erbin bei Beginn seiner Altersrente ab dem 1.01.2007 als schwerbehinderter Mensch anerkannt war. Streitig ist hier also nur die Schwerbehinderteneigenschaft zum 1. oder 16.11.2000, für die es – wie dargelegt – der förmlichen Feststellung durch den Beklagten aber nicht bedarf.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Januar 2013 – L 11 SB 99/11 ZVW

  1. Anschluss an BSG, Urteil vom 06.12.1989 – 9 RVs 4/89, zum Merkzeichen „H“[]
  2. für das Merkzeichen „H“: BSG, Urteil vom 06.12.1989 – 9 RVs 4/89[]
  3. BSG, Urteil vom 07.04.2011 – B 9 SB 3/10 R[]
  4. vgl. Löns in Kreikebohm, SGB VI, 3. Auflage 2008, § 236a, Rn. 4[]
  5. SG Speyer, Urteil vom 16.01.2012 – S 5 SB 563/08[]