Gründungszuschuss für Arbeitslose und die bisherige Nebentätigkeit

Ein Arbeitsloser, der aus dem Bezug von Arbeitslosengeld heraus eine selbstständige Tätigkeit gründet, erhält von der Bundesagentur für Arbeit einen Gründungszuschuss. Dieser Gründungszuschuss wird nach § 58 Abs 1 SGB III für die Dauer von neun Monaten in Höhe des Betrages, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, zuzüglich von monatlich 300 €, geleistet.

Gründungszuschuss für Arbeitslose und die bisherige Nebentätigkeit

Wurde das Arbeitslosengeld wegen eines Nebeneinkommens gekürzt, ist der Gründungszuschuss jedoch nach dem ungekürzten Arbeitslosengeld zu berechnen, sofern die frühere Nebenbeschäftigung gleichzeitig mit der Gründung ein­gestellt wird.

In dem hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall bezog der Kläger bis 31. Mai 2007 Arbeitslosengeld. Der Leistungssatz belief sich auf 43,86 € täglich; ausgezahlt wurden wegen Anrechnung eines aus einer kurzzeitigen Beschäftigung er­zielten Nebeneinkommens nur 38,69 €. Ab 1. Juni 2007 war der Kläger selbständig tätig und übte die Neben­beschäftigung nicht mehr aus. Die beklagte Bundesagentur für Arbeit bewilligte ihm einen Gründungszuschuss nur unter Berück­sichtigung des wegen des Nebeneinkommens geminderten Arbeitslosengelds.

Die auf Gewäh­rung eines Gründungszuschusses nach ungemindertem Arbeitslosengeld gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht Heilbronn zunächst Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers war nun vor dem Bundessozialgericht erfolgreich, das Bundessozialgerichts hat die der Klage stattgebende erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn wiederhergestellt.

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Der Gesetzes­wortlaut ist nicht eindeutig, so das Bundessozialgericht. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung erfordern jedoch die Zugrunde­legung des ungeminderten Arbeitslosengelds. Mit dem Gründungs­zuschuss soll ein Anreiz zur Beendigung der Arbeitslosigkeit gegeben und insoweit das infolge der Existenzgründung wegfallende Arbeitslosengeld kompensiert werden. Da die Einkommenssituation des Klägers vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit durch die Kombination von Arbeitslosengeld und Nebeneinkommen geprägt war und ihm das Nebeneinkommen nun nicht mehr zur Ver­fügung steht, würde eine Bemessung unter Zugrundelegung des gekürzten Arbeitslosengelds dem Gesetzes­zweck zuwiderlaufen.

Nach § 58 Abs 1 SGB III (i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006, BGBl I 1706)) wird der Gründungszuschuss für die Dauer von neun Monaten in Höhe des Betrages geleistet, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, zuzüglich von monatlich 300 Euro. Dabei ist der Berechnung des Gründungszuschusses als zuletzt im Sinne des § 58 Abs 1 SGB III bezogenes Arbeitslosengeld nicht der ausgezahlte Betrag von 38,69 €, sondern der bewilligte Leistungssatz von 43,86 € ohne Minderung durch Nebeneinkommen zugrunde zu legen. Dies ergibt einen monatlichen Betrag von 1.615,80 € (30 x 43,86 = 1315,80 €, vgl § 339 Satz 1 SGB III, zuzüglich 300 €); folglich ist dem Kläger der begehrte und nicht zur Korrektur gestellte Betrag von 1.460,70 € zu gewähren.

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Der Berücksichtigung des Leistungssatzes ohne Minderung durch Nebeneinkommen steht nicht der „eindeutige“ Wortlaut des § 58 Abs 1 SGB III entgegen. Vielmehr lässt § 58 Abs 1 SGB III, der auf die Höhe des Betrages abstellt, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, offen, ob der ungeminderte Leistungssatz oder der ausgezahlte geminderte Betrag anzusetzen ist1. Dass unter dem Betrag, den der Arbeitnehmer „als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen“ hat, ausschließlich der geminderte Betrag zu verstehen sein soll, lässt sich dem Gesetz nicht zwingend entnehmen. Auf den ungeminderten Betrag stellt selbst die beklagte Bundesagentur für Arbeit in Fällen ab, in denen kurzzeitige Beschäftigungen nur gelegentlich ausgeübt werden2.

Da dem Kläger ein bestimmter Leistungssatz bewilligt worden ist und er insoweit Leistungen auch tatsächlich bezogen hat, stellt sich bei der Anwendung des § 58 Abs 1 SGB III auf die vorliegende Fallgestaltung nicht vorrangig die Frage, was unter einem „Bezug“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist3. Insofern geht die Argumentation des Landessozialgericht Baden-Württemberg, es dürfe nicht auf ein „fiktives“ Arbeitslosengeld abgestellt werden4, an der eigentlichen Problematik vorbei. Die entscheidende Frage ist, welcher Betrag „als Arbeitslosengeld“ im Sinne des § 58 Abs 1 SGB III bezogen worden und damit zu berücksichtigen ist.

Dass für die Höhe des Gründungszuschusses im Regelfall der bewilligte Leistungssatz ohne Minderung durch Nebeneinkommen maßgebend sein muss, folgt insbesondere aus Sinn und Zweck der §§ 57 und 58 SGB III. Mit der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch Gründungszuschuss verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern und insoweit das infolge der Existenzgründung „wegfallende“ Arbeitslosengeld zu kompensieren5. Der darüber hinaus nach § 58 Abs 1 SGB III zusätzlich zu leistende Betrag von 300 € dient der sozialen Absicherung des Existenzgründers6. Soweit die Höhe des Gründungszuschusses an der Höhe des letzten Arbeitslosengeld-Bezugs auszurichten ist, bedarf es somit eines Vergleichs zwischen zwei Haushalts- bzw Einkommenslagen, nämlich derjenigen zur Zeit des letzten Arbeitslosengeld-Bezugs und derjenigen nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit7. Da die Einkommenssituation des Klägers zur Zeit des letzten Arbeitslosengeld-Bezugs maßgeblich durch die Kombination von Arbeitslosengeld und Nebeneinkommen geprägt war und das frühere Nebeneinkommen nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mit Bezug eines Gründungszuschusses nicht mehr zur Verfügung steht, würde allein ein Abstellen auf das wegen Anrechnung von Nebeneinkommen geminderte und wegfallende Arbeitslosengeld das Ziel der Kompensation verfehlen (vgl zu § 24 Abs 2 Nr 1 SGB II8).

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Gegen eine Berücksichtigung nur des geminderten Arbeitslosengeld spricht auch die Überlegung, dass Existenzgründer, die eine selbständige Tätigkeit zunächst im Rahmen einer Nebenbeschäftigung „ausprobieren“ und danach zur Beendigung der Arbeitslosigkeit „ausweiten“ wollen9, von dieser Option Abstand nehmen könnten, wenn sie einen verminderten Gründungszuschuss befürchten müssten10. Insofern ist die Auslegung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg nicht mit dem Ziel des Gründungszuschusses, Arbeitnehmern einen Anreiz zur Beendigung der Arbeitslosigkeit zu bieten11, zu vereinbaren.

Die Berechnung der Höhe des Gründungszuschusses unter Heranziehung des ungeminderten Arbeitslosengeld ist ferner aus gesetzessystematischen Gründen geboten und vermeidet Wertungswidersprüche bzw mögliche Ungleichbehandlungen im Vergleich zu Existenzgründern, deren Anspruch nach § 57 SGB III nicht an den Bezug von Arbeitslosengeld anknüpft12.

Bei dieser Gesetzesauslegung besteht schließlich auch kein Anlass, einem Antragsteller zu raten, kurz vor Auslaufen des Alg-Bezugs die Nebenbeschäftigung einzustellen, um damit „zuletzt“ ein ungemindertes Alg beziehen zu können13. Dies zeigt gerade die vorliegende Fallgestaltung, in der sich der Kläger auch darauf beruft, er hätte bei richtiger Beratung durch die Beklagte im Monat Mai 2007 die Nebenbeschäftigung aufgegeben, womit ein anzurechnendes Nebeneinkommen entfallen wäre.

Da der Kläger die Nebenbeschäftigung mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit eingestellt hat, kann unentschieden bleiben, wie zu verfahren ist, wenn ein Existenzgründer die während des Alg-Bezugs ausgeübte Nebenbeschäftigung nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit fortsetzt14. Eine Anrechnung von Nebeneinkommen auf den Gründungszuschuss ist jedenfalls gesetzlich nicht vorgesehen (vgl § 57 Abs 3 SGB III).

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Bundessozialgericht, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 12/10 R

  1. vgl BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 2 RdNr 18 zur gleichartigen Formulierung in § 24 Abs 2 Nr 1 SGB II; ferner LSG NRW, Urteil vom 18.05.2009 – L 19 AL 71/08; SG Berlin, Urteil vom 13.02.2009 – S 58 AL 6208/08[]
  2. vgl Geschäftsanweisungen 58.11 zu § 58 SGB III, Stand August 2009[]
  3. vgl zur Auslegung dieses Begriffs etwa BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 2 S 13; SozR 3-4100 § 55a Nr 4 S 23; SozR 4-4300 § 57 Nr 2 RdNr 12; SozR 4-4300 § 158 Nr 4 RdNr 15 ff.[]
  4. vgl hierzu Bayerisches LSG, Urteil vom 30.04.2008 – L 10 AL 360/07[]
  5. vgl BT-Drucks. 16/1696 S 30 zu § 57 Abs 1; vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 11/09 R, RdNr 16; vgl auch zum Existenzgründungszuschuss gemäß § 421 SGB III: BSGE 99, 240 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8, jeweils RdNr 17 ff.[]
  6. BT-Drucks. 16/1696 S 31 zu § 58[]
  7. ähnlich zu § 24 Abs 2 Nr 1 SGB II: BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 2 RdNr 19[]
  8. BSG SozR 4-4200 § 24 Nr 2 RdNr 20; vgl auch Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl 2010, § 58 RdNr 4[]
  9. vgl BSG SozR 4-4300 § 57 Nr 1 RdNr 11[]
  10. so zutreffend Link in Eicher/ Schlegel, SGB III, § 58 RdNr 26, Stand 2010[]
  11. vgl BT-Drucks. 16/1696 S 30 zu § 57; Link, aaO, RdNr 10[]
  12. vgl hierzu LSG NRW, Urteil vom 18.05.2009 – L 19 AL 71/08; Link, aaO, RdNr 26; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 58 RdNr 4, Stand 2009[]
  13. vgl. Winkler info also 2008, 267, 268[]
  14. vgl. dazu Link in Eicher/Schlegel, SGB III, § 58 RdNr 26, Stand 2010[]
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