3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Menschen mit mehr und Menschen mit weniger finanziellen Mitteln bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes1. Dem dienen die gesetzlichen Bestimmungen über die Prozesskostenhilfe.

Diese kann allerdings davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint2.
Die Prüfung der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Rechtsschutzverfahrens soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern will ihn zugänglich machen. So sieht § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vor, wenn hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss3.
Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier in Verbindung mit § 73a Sozialgerichtsgesetz ) unter Beachtung dieses – verfassungsgebotenen – Zwecks der Prozesskostenhilfe obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Diese überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen4. So überschreiten die Fachgerichte den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der „hinreichenden Erfolgsaussicht“ verfassungsrechtlich zukommt, wenn sie einen Maßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird, der also die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt.
Dem wurde im hier entschiedenen Fall die Entscheidung des Sozialgerichts Chemnitz5 erkennbar nicht gerecht. Das Sozialgericht hat die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren überspannt. Dadurch hat es den Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlt.
Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten im Sinne des § 114 ZPO sind die Voraussetzungen für die von der Beschwerdeführerin beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid. Für die Aufhebung von Leistungen nach dem AsylbLG ordnet der Gesetzgeber in § 11 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG an, dass Widerspruch und Anfechtungsklage im Fall der Aufhebung einer Leistungsbewilligung keine aufschiebende Wirkung haben. Dann richtet sich einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG. Danach hat der Sofortvollzug der Aufhebungsentscheidung grundsätzlich Vorrang gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführerin, den Vollzug auszusetzen. Das gilt aber nicht, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und Betroffene durch ihn in subjektiven Rechten verletzt werden6.
Hier stützt das Sozialgericht seine Entscheidung, einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen, auf die Feststellung, der mit Widerspruch angegriffene Bescheid sei rechtmäßig. Es stellt darauf ab, der Bedarf der Beschwerdeführerin sei gedeckt, weil das Bundesamt einen Fahrtkostenzuschuss bewilligt habe. Rechtsgrundlagen für die Aufhebung nennt das Sozialgericht nicht. Die Stadt hat die Entscheidung, Leistungen für die Vergangenheit aufzuheben, jedoch ausdrücklich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführerin mit dem Fahrtkostenzuschuss „Einkommen“ zugeflossen wäre. Das Sozialgericht hätte bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten daher würdigen müssen, dass der Gesetzgeber Fahrtkostenzuschüsse in § 7 Abs. 2 Nr. 7 AsylbLG7 von einer Berücksichtigung als Einkommen ausnimmt8. Der Fahrtkostenzuschuss nach § 10 Abs. 1 DeuFöV wäre damit nicht auf die Grundleistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG anzurechnen und eine Aufhebung von Leistungen käme dann nicht in Betracht.
Soweit das Sozialgericht ausführt, dass es auf die Dringlichkeit der Angelegenheit nicht ankomme, weil die Beschwerdeführerin durch eine Monatskarte ihren Bedarf habe decken können, betrifft dies ersichtlich nicht die rechtlichen Maßstäbe des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und den Sofortvollzug des angegriffenen Bescheids. Vielmehr lehnt das Gericht Prozesskostenhilfe ab, ohne die hinreichenden Erfolgsaussichten des angestrebten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens rechtlich zutreffend geprüft zu haben.
Das Sozialgericht hat seinen Entscheidungsspielraum erkennbar überschritten, indem es bei der Prüfung des Prozesskostenhilfeantrags die sich hier aufdrängende hinreichende Erfolgsaussicht des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens verneint hat. Es hat damit den Weg zum Sozialgericht unverhältnismäßig erschwert und die Beschwerdeführerin in ihrer grundrechtlich verbürgten Rechtsschutzgleichheit verletzt.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Mai 2022 – 1 BvR 1012/20
- vgl. BVerfGE 78, 104 <117 f.> 81, 347 <357> m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.2019 – 1 BvR 2666/18, Rn. 11; Beschluss vom 09.07.2020 – 1 BvR 1571/19, Rn. 10[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347 <357>[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.> m.w.N.[↩]
- SozG Chemnitz, Beschluss vom 30.03.2020 – S 27 AY 7/20 ER[↩]
- vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 86b Rn. 12c, 12f m.w.N.[↩]
- in der Fassung von Art. 4 Nr. 5 Buchstabe c des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016, mit Wirkung vom 06.08.2016 in Kraft, BGBl I S.1939[↩]
- vgl. dazu BT-Drs. 18/8615, S. 41 f.[↩]
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