Steuerabzüge, die auf Einkunftsteile entfallen, die bei der Veranlagung nicht erfasst worden sind, sind von der Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ausgeschlossen.

Eine Anrechnung der Kapitalertragsteuern ist mithin schon deshalb ausgeschlossen, wenn die der Nachbelastung zugrunde liegenden Einkünfte nicht i.S. von § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Alternative 1 EStG1 bei der Veranlagung „erfasst“ worden sind.
Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde gemäß § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid. Das gilt insbesondere auch für Streitigkeiten über die Anrechnung von Vorauszahlungen oder von -wie im vorliegenden Streitfall- Steuerabzugsbeträgen2.
Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Alternative 1 EStG wird auf die Einkommensteuer die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG wird die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer nicht angerechnet, wenn die in § 45a Abs. 2 oder Abs. 3 EStG bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist.
Einkünfte sind i.S. von § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Alternative 1 EStG bei der Veranlagung „erfasst“ worden, wenn die betreffenden Kapitalerträge zur Besteuerungsgrundlage (§ 157 Abs. 2 AO) geworden sind. Eine Steueranrechnung ist daher ausgeschlossen, wenn die mit dem Steuerabzug konkret belasteten Einkünfte bei der Veranlagung -rechtmäßig oder rechtswidrig- unberücksichtigt geblieben sind3. Dies gilt insbesondere auch für Einkünfte aus Kapitalvermögen, bei denen die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten ist, soweit die Einkünfte nicht auf Antrag des Gläubigers in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32d EStG einbezogen worden sind (§ 43 Abs. 5 Satz 1 und 3 EStG; s.a. Geurts in Bordewin/Brandt, § 36 EStG Rz 16 und 22; Brandis/Heuermann/Ettlich, § 36 EStG Rz 135; Tormöhlen in Korn, § 36 EStG Rz 33 und 33.1; Lammers in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 36 EStG Rz 42).
In zeitlicher Hinsicht folgt daraus, dass die Anrechnung grundsätzlich auf die Steuer desjenigen Veranlagungszeitraums bezogen werden muss, in dem die entsprechenden Einkünfte im Steuerbescheid angesetzt worden sind4.
Ausgehend hiervon kommt im vorliegenden Streitfall eine Anrechnung der dem Anleger nachbelasteten Kapitalertragsteuer in Höhe von 132, 09 € schon deshalb nicht in Betracht, weil die der Nachbelastung zugrunde liegenden Einkünfte nicht i.S. von § 36 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 Alternative 1 EStG bei der Veranlagung „erfasst“ worden sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht dann, wenn man annimmt, dass der Anleger mit seinem Vorbringen im Zusammenhang mit der Einkommensteuererklärung für 2012 einen (konkludenten) Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG gestellt hat; denn das Finanzamt hat eine Berücksichtigung der streitgegenständlichen Kapitalerträge abgelehnt, und der Anleger hat die dagegen erhobene Klage für erledigt erklärt. Die betreffenden Kapitalerträge sind somit weder im Jahr 2009 noch im Jahr 2012 im Rahmen der Veranlagung berücksichtigt worden. Es kann daher im Streitfall dahingestellt bleiben, auf welches dieser Jahre im Rahmen einer periodenübergreifenden Korrektur nach § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG grundsätzlich abzustellen ist5.
Demzufolge lassen sich die von dem Anleger aufgeworfenen Fragen nach der Reichweite und den Grenzen einer Korrektur nach § 43a Abs. 3 Satz 7 EStG in dem vorliegenden Verfahren nicht klären. Dies hätte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2012 geklärt werden müssen und zwar im Wege der Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG, nicht im Wege eines Abrechnungsbescheids.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Juni 2022 – VII R 65/18
- in der Fassung durch das Steueränderungsgesetz 2003 vom 15.12.2003, BGBl I 2003, 2645[↩]
- s. BFH, Urteil vom 12.06.1986 – VII R 103/83, BFHE 147, 1, BStBl II 1986, 702, unter II.; BFH, Beschluss vom 10.02.2009 – VII B 265/08, BFH/NV 2009, 888, unter II. 1.; vgl. auch BFH, Beschluss vom 12.10.2015 – VIII B 143/14, BFH/NV 2016, 40, Rz 11, zur Kapitalertragsteuer; BFH, Urteil vom 15.01.2015 – I R 69/12, BFHE 249, 99, Rz 15, zur Körperschaftsteuer; Loose in Tipke/Kruse, § 218 AO Rz 17[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.11.2013 – VII R 28/12, BFH/NV 2014, 339, Rz 9; BFH, Beschluss vom 25.08.2020 – VI B 1/20, BFH/NV 2021, 13, Rz 13[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 219, 67, BStBl II 2018, 694, unter II. 2., m.w.N.; HHR/Lammers, § 36 EStG Rz 42; Brandis/Heuermann/Ettlich, § 36 EStG Rz 144; BeckOK EStG/F. Seelig, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 36 Rz 130; Geisenberger in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 36 Rz D62[↩]
- zur Frage der zeitlichen Zurechnung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 3a Satz 1 EStG s. einerseits etwa Brandis/Heuermann/Jachmann-Michel, § 43a Rz 120: fingierter kapitalertragsteuerpflichtiger Vorgang im Jahr der Kenntnisnahme; und andererseits HHR/Buge, § 20 EStG Rz 555: nur verfahrensrechtliche Wirkung[↩]