Der Antrag auf Einbeziehung der Kapitalerträge in die Einkommensteuerveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG (sog. Antragsveranlagung) stellt – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – ein unbefristetes Veranlagungswahlrecht dar. Der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG kann zeitlich auch nach der Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt werden, sofern die Steuerfestsetzung zu diesem Zeitpunkt verfahrensrechtlich noch änderbar ist.

Sind Tatsachen bzw. die ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte nur auf Antrag zu berücksichtigen oder ist bei ihnen ein Wahlrecht auszuüben, so ist zu beachten, dass Antrags- oder Wahlrechte grundsätzlich bis zum Eintritt der Bestandskraft des entsprechenden Steuerbescheides (erstmals) ausgeübt werden können. Ist ein solches Antrags- oder Wahlrecht nicht fristgebunden, meint dies, dass es bis zum Eintritt der formellen und materiellen Bestandskraft ausgeübt und ggf. widerrufen werden kann [1]. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass ein Antrags- bzw. Wahlrecht fristgebunden ist. In diesem Fall ist eine Ausübung nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft möglich. Die Steuerfestsetzung muss dann grundsätzlich noch mit einem ordentlichen außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelf angefochten werden können [2].
Der Bundesfinanzhof hat bereits entschieden, dass die Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG ‑trotz des möglicherweise engeren Wortlauts- ein grundsätzlich unbefristetes Veranlagungswahlrecht darstellt [3], das somit innerhalb der Grenzen der materiellen Bestandskraft geltend gemacht werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass dem Steuerpflichtigen ‑sofern die betroffene Festsetzung bereits formell bestandskräftig ist und nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht- für sein nachträglich geltend gemachtes Wahlrecht eine bestandskraftdurchbrechende Änderungsvorschrift zur Seite steht [4].
Dies ist im hier entschiedenen Rechtsstreit nicht der Fall. Das Begehren der Kläger, den Steuereinbehalt nach § 32d Abs. 4 EStG zu überprüfen, ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu beurteilen und scheitert am groben Verschulden der Kläger.
Gemäß § 32d Abs. 4 EStG kann der Steuerpflichtige mit der Einkommensteuer für Kapitalerträge, die der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, eine Steuerfestsetzung entsprechend § 32d Abs. 3 Satz 2 EStG beantragen. Die Norm nennt, allerdings nicht abschließend, Fälle, in denen dies sinnvoll erscheint, weil beim Kapitalertragsteuerabzug die dort genannten Umstände (etwa der nicht vollständig ausgeschöpfte Sparer-Pauschbetrag) nicht berücksichtigt worden sind. Trotz der Einbeziehung der Einkünfte aus Kapitalvermögen in die Einkommensteuerfestsetzung bleibt es bei der Anwendung des gesonderten Tarifs [5].
Wie im Fall des § 32d Abs. 6 EStG ordnet das Gesetz dabei für die Antragsveranlagung aus § 32d Abs. 4 EStG eine Gesamtbetrachtung an, die auch hinsichtlich der Frage, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Kapitaleinkünften nach § 173 Abs. 1 AO zu einer höheren (Nr. 1) oder niedrigeren Steuer (Nr. 2) führt, berücksichtigt werden muss. Aufgrund der Besonderheiten, die mit der Einführung des gesonderten Tarifs für Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG verbunden sind, ist daher in den Vergleich nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen.
Die Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG führt somit entweder zu einer Berücksichtigung genau des bislang nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltenen Einkommensteuerbetrags. In diesem Fall liegt weder eine Steuerminderung noch eine ‑erhöhung vor. § 173 Abs. 1 AO ist nicht anwendbar. In den übrigen Fällen ‑wie hier aufgrund des nach Angaben der Kläger bislang nicht berücksichtigten Sparer-Pauschbetrages- löst die Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG aufgrund der gebotenen Gesamtbetrachtung eine Steuerminderung aus.
Voraussetzung der Korrektur der Einkommensteuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist, dass die Kläger kein grobes Verschulden daran trifft, dass dem Finanzamt die erzielten Kapitaleinkünfte erst nach der Einkommensteuerfestsetzung bekannt geworden sind. Ein solches Verschulden liegt ‑wie hier- jedoch bereits dann vor, wenn die Steuerpflichtigen die Einspruchsfrist versäumt und es damit unterlassen haben, entscheidungserhebliche Tatsachen ‑hier die in der Einkommensteuererklärung angegebenen Beträge- innerhalb der Einspruchsfrist mitzuteilen [6].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. August 2019 – X R 16/17
- so im Fall der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG: BFH, Urteil in BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 10, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 27.10.2015 – X R 44/13, BFHE 252, 94, BStBl II 2016, 278, Rz 17, m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 09.08.2016 – VIII R 27/14, BFHE 255, 51, BStBl II 2017, 821, Rz 19, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 252, 94, BStBl II 2016, 278, Rz 19[↩]
- s.a. Schmidt/Levedag, EStG, 38. Aufl., § 32d Rz 16; Blümich/Werth, § 32d EStG Rz 132[↩]
- so schon BFH, Urteil in BFH/NV 2015, 145, Rz 17, m.w.N.[↩]