In Deutschland lebende Eltern können das Schulgeld, das sie für den Schulbesuch ihres Kindes an eine schweizerische Privatschule zahlen, nicht als Sonderausgabe abziehen.

Hintergrund dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist eine vom Gerichtshof der Europäischen Union angestoßene Gesetzesänderung: Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte 2007 in zwei Urteilen1 entschieden, dass es gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt, wenn ein Staat Schuldgeldzahlungen an inländische Schulen zum Sonderausgabenabzug zulässt, Zahlungen an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht. Daraufhin hat der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 20092 rückwirkend die Abziehbarkeit von Schulgeldzahlungen für solche Privatschulen eingeführt, die in der Europäischen Union (EU) oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässig sind.
Diese Neuregelung gilt jedoch nicht für schweizerische Privatschulen, da die Schweiz weder Mitglied der EU noch des EWR ist. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung kann nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch nicht aus dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz3 abgeleitet werden, da dessen Schutzbereich keinen vergleichbaren umfassenden Schutz vor Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte gewährt.
Kein Sonderausgabenabzug nach § 10 EStG
Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG können 30 % des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält, für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemein bildenden Ergänzungsschule entrichtet, mit Ausnahme des Entgelts für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung, als Sonderausgaben abgezogen werden.
Diese Voraussetzungen liegen unstreitig nicht vor, da die Privatschule weder eine genehmigte oder erlaubte Ersatzschule noch eine anerkannte Ergänzungsschule ist. Der Bundesfinanzhof hat zwar in seinen Urteilen vom 14. Dezember 2004 und vom 5. April 20064 ausgeführt, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG eine Regelungslücke enthalte, die durch eine teleologische Extension für bestimmte, vor allem im Ausland belegene Schulen zu schließen sei. Diese Regelungslücke bezieht sich aber nur auf Sachverhalte, in denen die jeweiligen Schulen als solche aufgrund besonderer staatlicher Akte die Voraussetzungen einer Schule i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfüllten. So wurde die Deutsche Schule in Spanien in einem festgelegten Genehmigungsverfahren durch Beschluss der Kultusministerkonferenz als Deutsche Schule im Ausland anerkannt. In einem anderen Verfahren5 wurde die Europäische Schule in Brüssel zwar nicht durch eine nationale Behörde staatlich genehmigt. Sie erfüllte aber die Voraussetzungen, unter denen bei einer deutschen Schule eine Genehmigung zu erteilen gewesen wäre, und wurde durch den deutschen Gesetzgeber in einer Weise anerkannt, die einer staatlichen Genehmigung gleichkam. Entscheidend ist in allen Fällen, dass sich der staatliche Anerkennungsakt sei es durch den Landesgesetzgeber, den Bundesgesetzgeber oder die Kultusministerkonferenz (KMK), auf die Schule selbst bezieht. Ein Anerkennungsakt, der sich lediglich auf die von der Schule vermittelten Abschlüsse bezieht, genügt hingegen nicht6.
An einer vergleichbaren staatlichen Anerkennung der hier besuchten Privatschule fehlt es im Streitfall. Die Schule war zwar aufgrund eines Beschlusses der KMK ermächtigt worden, die Reifeprüfung nach der Ordnung für deutsche Reifeprüfungen an Privatschulen im deutschsprachigen Ausland abzuhalten. Dieser staatliche Anerkennungsakt bezieht sich aber nur auf den durch die Privatschule vermittelten Abschluss und nicht auf deren Status; er kann somit nicht zum Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG führen.
Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die Privatschule die Voraussetzungen des Sonderungsverbotes gemäß Art. 7 Abs. 4 GG erfüllen würde7.
Kein Sonderausgabenabzug aufgrund unionsrechtskonformer Auslegung
Ein Sonderausgabenabzug folgt auch nicht daraus, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG wegen des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten des EG-Rechts europarechtskonform im Sinne der EuGH-Urteile8 sowie der hierzu ergangenen BFH-Rechtsprechung9 auszulegen wäre.
Da die Schweiz weder Mitglied der EU noch des EWR ist, kommt als europarechtlicher Prüfungsmaßstab allein die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV) in Betracht. Denn nur diese Grundfreiheit ist auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar10.
Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV) verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit überhaupt eröffnet ist, da sich der Kapitalverkehr im Streitfall in der Bezahlung der durch die schweizerische Privatschule erbrachten schulischen Dienstleistungen erschöpft. Die EuGH-Rechtsprechung betrachtet den Transfer von Zahlungsmitteln dann nicht als Kapitalverkehr i.S. des Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV), wenn diesem Transfer wie hier- „eine Zahlungsverpflichtung entspricht, die sich aus einer Transaktion auf dem Gebiet des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ergibt“11.
Zudem ist bei der Entgegennahme von Dienstleistungen einer Privatschule nicht in erster Linie die Kapitalverkehrsfreiheit, sondern vorrangig die Dienstleistungsfreiheit in der Ausgestaltung der passiven Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) berührt. In seinen beiden Urteilen8 hat der EuGH ausdrücklich dargelegt, dass steuerliche Regelungen, nach denen Schulgelder nur bei Zahlung an bestimmte Privatschulen im Inland, nicht aber an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten als Sonderausgaben einkommensteuermindernd berücksichtigt werden können, die in Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) gewährleistete Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen.
Betrifft eine innerstaatliche Maßnahme sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Kapitalverkehr, ist nach ständiger EuGH-Rechtsprechung zu fragen, inwieweit diese Maßnahme die Ausübung der betroffenen Grundfreiheiten berührt und ob unter den gegebenen Umständen eine der Grundfreiheiten hinter die andere zurücktritt. Stellt sich heraus, dass eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber untergeordnet ist und ihr zugeordnet werden kann, ist die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf die vorrangige Grundfreiheit zu prüfen12.
Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen ist. Sollte daher eine nationale Maßnahme neben Beschränkungen anderer den Unionsbürgern zustehenden Grundfreiheiten auch zu nachrangigen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen, wären derartige Auswirkungen die unvermeidliche Konsequenz einer eventuellen Beschränkung der anderen Grundfreiheiten. Sie rechtfertigten keine Prüfung der betroffenen Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Art. 56 bis 58 EG (jetzt Art. 63 bis 65 AEUV)13.
An der Nachrangigkeit der Kapitalverkehrsfreiheit ändert sich auch dann nichts, wenn die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit nur deshalb keine Anwendung finden, weil die Dienstleistung in einem Drittstaat ausgeübt wird14.
Im Streitfall berührt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG derart überwiegend die Dienstleistungsfreiheit, dass der EuGH die mögliche Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit in seinen Urteilen15 nicht einmal erwähnt hat. Damit ist die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG, Art. 56 ff. AEUV) die Grundfreiheit, an der § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu messen ist. Auf diese Grundfreiheit können sich die Kläger im Verhältnis zu Drittstaaten – hier zur Schweiz – jedoch nicht berufen.
Kein Sonderausgabenabzug nach dem Freizügigkeitsabkommen
Ein Sonderausgabenabzug ergibt sich auch nicht aus der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24a EStG n.F. in Verbindung mit dem Freizügigkeitsabkommen.
Gemäß § 52 Abs. 24a EStG n.F. gilt für Schulgeldzahlungen an Schulen in freier Trägerschaft oder an überwiegend privat finanzierte Schulen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat belegen sind, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, eine besondere Übergangsregelung. Danach ist § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes vom 13.12.200616 für noch nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume vor 2008 mit der Maßgabe anzuwenden, dass es sich nicht um eine gemäß Art. 7 Abs. 4 GG erlaubte Ersatzschule oder eine nach Landesrecht anerkannte allgemein bildende Ergänzungsschule handeln muss, sofern diese Schulen zu einem von dem zuständigen inländischen Ministerium eines Landes, von der Kultusministerkonferenz der Länder oder von einer inländischen Zeugnisanerkennungsstelle anerkannten oder einem inländischen Abschluss an einer öffentlichen Schule als gleichwertig anerkannten allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schul, Jahrgangs- oder Berufsabschluss führen.
Da die Privatschule in der Schweiz und damit weder in der EU noch im EWR belegen ist, könnten die Kläger nur dann den Sonderausgabenabzug beanspruchen, wenn sich dem Freizügigkeitsabkommen insoweit ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den EU/EWR-Staaten entnehmen ließe, der einer nationalen Steuerregelung vorginge und bei deren Auslegung entsprechend zu berücksichtigen wäre.
Das Freizügigkeitsabkommen als solches ist grundsätzlich bei der Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu beachten. Gemäß Art. 300 ff., Art. 310 EG (jetzt Art. 216 f. AEUV) ist das Freizügigkeitsabkommen Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung und stellt die Handlung eines Gemeinschaftsorgans dar. Damit nimmt der Abkommensinhalt, der für die Organe der Union und die Mitgliedstaaten verbindlich ist (vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV), am Vorrang des EG-Rechts gegenüber nationalem Recht teil und bewirkt im Fall einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Vorschrift deren Nichtanwendbarkeit17.
Aus dem Freizügigkeitsabkommen ergibt sich jedoch kein Anspruch darauf, das an die schweizerische Privatschule geleistete Schulgeld ebenso wie das an in der EU bzw. dem EWR belegene Privatschulen gezahlte Schulgeld als Sonderausgaben abziehen zu können.
In Bezug auf die Geltung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz ist zu berücksichtigen, dass Art. 2 Freizügigkeitsabkommen zwar vom Grundsatz der Nichtdiskriminierung handelt, aber nicht generell und absolut jede Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen einer der Vertragsparteien, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Partei aufhalten, verbietet. Unzulässig sind lediglich Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit, und das auch nur, soweit die Situation dieser Staatsangehörigen in den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen der Anhänge I bis III dieses Abkommens fällt18.
Das Freizügigkeitsabkommen schützt die Kläger nicht in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit.
Das Freizügigkeitsabkommen verfolgt zwar gemäß Art. 1 Buchst. b Freizügigkeitsabkommen das Ziel, die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Schweiz zu erleichtern sowie kurzzeitige Dienstleistungen zu liberalisieren. Art. 5 Abs. 3 Freizügigkeitsabkommen gewährt zudem Personen, die als Dienstleistungsempfänger im Sinne des Abkommens anzusehen sind, ein Einreise- und Aufenthaltsrecht in Bezug auf das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien. Art. 23 des Anhangs – I des Freizügigkeitsabkommen enthält weiterhin besondere Bestimmungen über die Aufenthaltserlaubnis für Dienstleistungsempfänger. Das Freizügigkeitsabkommen und seine Anhänge enthalten jedoch keine spezifische Regelung, „wonach Dienstleistungsempfängern der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Rahmen der Anwendung fiskalischer Regelungen über gewerbliche Transaktionen, die eine Dienstleistung zum Gegenstand haben, zugutekommt“19. Infolgedessen hat es der EuGH als mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar angesehen, einen schweizerischen Staatsangehörigen, der Empfänger einer Dienstleistung in einem EU-Mitgliedstaat ist, bei der Erhebung einer für diese Dienstleistung geschuldeten Abgabe anders zu behandeln als einen Unionsbürger.
Davon ausgehend umfasst das Freizügigkeitsabkommen ebenso nicht den Schutz der passiven Dienstleistungsfreiheit in den Fällen, in denen in der Schweiz erbrachte Dienstleistungen von einem Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats entgegengenommen werden. Diese Dienstleistungen, wie im Streitfall die Leistungen der Privatschule, dürfen infolgedessen in dem EU-Mitgliedstaat, hier in Deutschland, steuerlich anders behandelt werden als Leistungen, die von innerhalb der EU bzw. des EWR ansässigen Schulen erbracht werden.
Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, das Freizügigkeitsabkommen schütze sie gegen eine Beeinträchtigung ihrer allgemeinen Freizügigkeit gemäß Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV).
Zwar kann in den Fällen, in denen die betroffenen Dienstleistungen nicht unter Art. 49 ff. EG (jetzt Art. 56 ff. AEUV) fallen, die allgemeine Freizügigkeit gemäß Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) berührt sein. Deshalb hat der EuGH in den beiden Urteilen20 die allgemeine Freizügigkeit durch eine Regelung als verletzt angesehen, welche zwar ermöglicht, Schulgeldzahlungen an bestimmte Schulen im Inland als Sonderausgaben einkommensteuermindernd zu berücksichtigen, dies aber für Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell ausschließt21.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das Freizügigkeitsabkommen eine Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) vergleichbare umfassende Freizügigkeit gewährt, da nach Art. 2 Freizügigkeitsabkommen nur Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit verboten sind, und das auch nur, soweit die Situation dieser Staatsangehörigen in den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen der Anhänge I bis III dieses Abkommens fällt22.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Vorschriften der in Anhang – I des Freizügigkeitsabkommen geregelten Freizügigkeit, die eine Gleichbehandlung fordern, ist erkennbar, dass die Gleichbehandlung nur im Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 9 Abs. 2 Freizügigkeitsabkommen), von Selbstständigen (Art. 15 Abs. 1 Freizügigkeitsabkommen) sowie von Dienstleistungserbringern (Art.19 Freizügigkeitsabkommen) postuliert wird.
Diese Bereiche sind jedoch im Streitfall, in dem es um den Besuch einer Privatschule geht, nicht einschlägig. Die Kläger sind Dienstleistungsempfänger und keine Dienstleistungserbringer. Auch ist weder der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) noch der der Niederlassungsfreiheit in Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) betroffen. Hierzu hat der EuGH in seinem Urteil in Slg. 2007, I-6849 ausdrücklich dargelegt, dass Eltern, die in einem Mitgliedstaat einkommensteuerpflichtig sind und ihre Kinder zur Schulausbildung in eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat schicken, dort aber keiner abhängigen Beschäftigung oder wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen so wie im Streitfall die Kläger, weder von ihrem Recht Gebrauch machen, eine abhängige Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, noch von ihrem Recht, sich dort als Selbstständige niederzulassen23.
Vor allem aber schließt Art. 16 Abs. 2 Freizügigkeitsabkommen die Anwendung der aktuellen EuGHRechtsprechung zur allgemeinen Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem Besuch einer Privatschule aus.
Soweit für die Anwendung des Freizügigkeitsabkommen Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 Freizügigkeitsabkommen nur die Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens, dem 21.06.1999, berücksichtigt. Um das ordnungsgemäße Funktionieren des Freizügigkeitsabkommen sicherzustellen, stellt der nach Art. 14 Freizügigkeitsabkommen eingesetzte Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen der nach diesem Datum ergangenen EuGHRechtsprechung fest. Damit ist grundsätzlich die Gleichwertigkeit der wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Freizügigkeitsabkommen auf der Basis der anzuwendenden Begriffe des Gemeinschaftsrechts, zu denen neben der Dienstleistungsfreiheit auch die Freizügigkeit gehört, unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens zu beurteilen. Später ergangene Entscheidungen des EuGH zu inhaltsgleichen Bestimmungen können wegen dieses statischen Verweises dagegen nicht zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommens herangezogen werden, soweit der Gemischte Ausschuss dies wie im Streitfall- nicht beschlossen hat. Infolgedessen gibt das Freizügigkeitsabkommen eine qualitativzeitliche Begrenzung zur Berücksichtigung der EuGHRechtsprechung vor24.
Dem steht die Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung des Art. 6 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWRA)25 nicht entgegen. Zwar sind nach Art. 6 EWRA die Bestimmungen des Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des EGVertrags und der aufgrund dieses Vertrags erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes vor der Unterzeichnung dieses Abkommens auszulegen. Dennoch sieht der EuGH die Notwendigkeit, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWRA, die im Wesentlichen mit denen des EGVertrags identisch sind, einheitlich ausgelegt werden26.
Der EuGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung zum Freizügigkeitsabkommen indes ausdrücklich betont, das Freizügigkeitsabkommen sei unterzeichnet worden, nachdem die Schweizerische Eidgenossenschaft am 6.12.1992 das Abkommen über den EWR zurückgewiesen hat. Damit sei das Vorhaben eines integrierten wirtschaftlichen Ganzen mit einem einheitlichen Markt, gestützt auf gemeinsame Regeln für seine Mitglieder, abgelehnt worden. Die Schweiz habe es vielmehr vorgezogen, in bestimmten Bereichen bilaterale Vereinbarungen mit der Union und ihren Mitgliedstaaten abzuschließen. Die Schweiz sei damit nicht dem Binnenmarkt der Union beigetreten, so dass die den unionsrechtlichen Bestimmungen über den Binnenmarkt gegebene Auslegung nicht automatisch auf die Auslegung des Abkommens übertragen werden könne, sofern dies nicht im Abkommen selbst ausdrücklich vorgesehen sei27.
Da es demgegenüber gemäß Art. 1 EWRA Ziel des Abkommens ist, einen homogenen Wirtschaftsraum zu schaffen, unterscheidet sich das EWRA grundlegend vom Freizügigkeitsabkommen. Die Rechtsprechung des EuGH zum EWRA kann daher, selbst wenn sie zu fast wortgleichen Vorschriften ergangen ist, insofern nicht ohne weiteres übertragen werden28.
Die EuGH-Urteile vom 11. September 200729 haben nicht lediglich eine bereits vor dem 21. Juni 1999 existierende gefestigte EuGH-Rechtsprechung präzisiert.
Der EuGH verweist in diesen Urteilen, in denen er aus der durch Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) geforderten Inländergleichbehandlung den Anspruch auf die gleiche steuerliche Behandlung von Schulgeldzahlungen ableitet, lediglich auf solche Entscheidungen, die nach dem 21.06.1999 ergangen sind, nämlich auf seine früheren Urteile30. Bereits dies zeigt, dass eine entsprechende vor dem 21. Juni 1999 ergangene Rechtsprechung fehlte.
Zudem hat der EuGH in zwei anderen Entscheidungen zu Fragen des Schulgelds, die vor 1999 ergangen sind, im Zusammenhang mit der Erbringung von Schul- und Hochschulleistungen lediglich die Dienstleistungsfreiheit, nicht aber das Recht auf allgemeine Freizügigkeit als betroffen angesehen31. In dem Urteil in Slg.1988, 5365 konnte das Recht auf allgemeine Freizügigkeit bereits deswegen kein Prüfungsmaßstab sein, weil Art. 8a Abs. 1 EG a.F. – die Vorgängervorschrift der Art. 18 EG und Art. 21 AEUV – erst durch den Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.199232 in den EWG-Vertrag eingefügt wurde.
Der Bundesfinanzhof vermag nicht nachzuvollziehen, inwieweit sich aus den §§ 1a und 62 EStG ein Anspruch auf Gleichstellung der Schulgeldzahlungen an eine schweizerische Schule ableiten lassen könnte.
Da den Klägern aus dem Freizügigkeitsabkommen i.V.m. § 52 Abs. 24a EStG n.F. kein Anspruch auf Berücksichtigung des an die schweizerische Privatschule gezahlten Schulgeldes zusteht, bedarf es keiner Entscheidung, ob im Rahmen der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24a EStG das Sonderungsverbot des Art. 7 Abs. 4 GG zu prüfen ist.
Keine Vorlagepflicht zum EuGH
Es bestehen keinerlei Zweifel daran, dass die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf das an eine in der EU bzw. dem EWR belegene Privatschule gezahlte Schulgeld sowohl mit den Grundfreiheiten des EG (jetzt AEUV) als auch mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar ist. Der BFH ist daher nicht verpflichtet, diese Rechtsfrage dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV (früher Art. 234 EG) vorzulegen33.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. Mai 2012 – X R 3/11
- EuGH, Urteile vom 11.09.2007 – C-76/05 [Schwarz und Gootjes-Schwarz], Slg. 2007, I-6849; und C-318/05 [Kommission gegen Deutschland], Slg. 2007, I-6957[↩]
- vom 19.12.2008, BGBl I 2008, 2794[↩]
- vom 21. Juni 1999, BGBl II 2001, 811[↩]
- BFH, Urteile vom 14.12.2004 – – XI R 32/03, BFHE 209, 40, BStBl II 2005, 518; und vom 05.04.2006 – – XI R 1/04, BFHE 213, 345, BStBl II 2006, 682[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 213, 345, BStBl II 2006, 682[↩]
- siehe auch jüngst BFH, Urteil vom 09.11.2011 – X R 12/10, BFH/NV 2012, 566[↩]
- vgl. dazu BFH, Urteile vom 17.07.2008 – X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976; und vom 21.10.2008 – X R 15/08, BFH/NV 2009, 559[↩]
- EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849; und Slg. 2007, I-6957[↩][↩]
- BFH, Urteile in BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, und in BFH/NV 2009, 559[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 18.12.2007 – C-101/05 A, Slg. 2007, I-11531, Rz 20 ff.[↩]
- EuGH, Urteil vom 31.01.1984 – C-286/82 [Luisi und Carbone], Slg. 1984, I-377, Rz 22[↩]
- so EuGH, Urteile vom 01.07.2010 – C-233/09 [Dijkman und DiekmannLavaleije], Slg. 2010, I-6649, Rz 33; und vom 03.10.2006 – C-452/04 [Fidium Finanz AG], Slg. 2006, I-9521, Rz 34, m.w.N.[↩]
- siehe EuGH, Urteil vom 25.10.2007 – C-464/05 [Geurts und Vogten], Slg. 2007, I-9325, Rz 16; vgl. in diesem Sinne auch EuGH, Entscheidungen vom 13.03.2007 – C-524/04 [Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation], Slg. 2007, I-2107, Rz 33 und 34; sowie vom 10.05.2007 – C-102/05 [A und B], Slg. 2007, I-3871, Rz 26 und 27[↩]
- siehe jüngst auch EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Verica Trsrenjak vom 20.03.2012 – C-31/11 [Scheunemann/Finanzamt Bremerhaven], Rz 62 f., m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957[↩]
- BGBl – I 2006, 2878[↩]
- so zu Recht BFH, Beschluss vom 07.09.2011 – I B 157/10, BFHE 235, 215, Rz 31, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil vom 15.07.2010 – C-70/09 Hengartner/Gasser, IStR 2012, 338, Rz 39[↩]
- EuGH, Urteil in IStR 2012, 338, Rz 40[↩]
- EuGH in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957[↩]
- EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849, Rz 99, und in Slg. 2007, I-6957, Rz 137[↩]
- EuGH, Urteil in IStR 2012, 338, Rz 39[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 2007, I-6849, Rz 33[↩]
- ebenso BFH, Beschluss in BFHE 235, 215, Rz 33[↩]
- vom 02.05.1992, BGBl II 1993, 267[↩]
- EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-471/04 [Keller Holding GmbH], Slg. 2006, I-2107, Rz 48, m.w.N.[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 12.11.2009 – C-351/08 [Grimme], Slg. 2009, I-10777, Rz 27; vom 11.02.2010 – C-541/08 [Fokus Invest], Slg. 2010, I-1025, Rz 27 f.; und in IStR 2012, 338, Rz 41 f.[↩]
- a.A. wohl Lang/Lüdicke/Reich, I-StR 2008, 709, 714[↩]
- EuGH, Urteile vom 11.09.2007 in Slg. 2007, I-6849; und in Slg. 2007, I-6957[↩]
- EuGH, Urteile vom 20.09.2001 – C-184/99 [Grzelczyk], Slg. 2001, I-6193, Rz 31; vom 11.07.2002 – C-224/98 [D’Hoop], Slg. 2002, I-6191, Rz 28; vom 02.10.2003 – C-148/02 [Garcia Avello], Slg. 2003, I-11613, Rz 22 und 23; sowie vom 29.04.2004 – C-224/02 [Pusa], Slg. 2004, I-5763, Rz 16; siehe dazu auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, 341 ff.[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 27.09.1988 – C-263/86 [Humbel und Edel], Slg.1988, 5365; und vom 07.12.1993 – C-109/92 [Wirth], Slg.1993, I-6447[↩]
- BGBl II 1992, 1253[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 – 283/81 [C.I.L.F.I.T. u.a.], Slg.1982, 3415, Rz 14 und 16[↩]