Nach dem 30.06.2009 realisierte Verluste aus der Veräußerung von sog. Vollrisikozertifikaten, die nach dem 14.03.2007 angeschafft wurden, unterfallen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG.

Der dem Anleger entstandene Verlust aus der Veräußerung der Zertifikate unterliegt nach § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. (jetzt: § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG) der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG n.F. Der Verlust ist im Rahmen der (Antrags-)Veranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG n.F. als verrechenbarer Verlust (§ 20 Abs. 6 EStG n.F.) zu berücksichtigen.
Der Verlust, den der Anleger aus der Veräußerung der Zertifikate erzielt hat, ist gemäß § 52a Abs. 10 Satz 8 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4, Abs. 6 EStG n.F. steuerbar.
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. ist der Gewinn aus der Veräußerung einer unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. fallenden sonstigen Kapitalforderung steuerbar. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG n.F. auch ein negativer Gewinn ‑ein Veräußerungsverlust- erfasst1.
Zu den Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG n.F. gehören Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG n.F.). Als Veräußerung gilt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG n.F. auch die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft.
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. erfasst auch Erträge aus reinen Spekulationsanlagen (Vollrisikozertifikate), da sowohl die Höhe des Entgelts als auch die Höhe der Rückzahlung von einem ungewissen Ereignis abhängen darf2.
Bei den Zertifikaten handelt es sich um Vollrisikozertifikate und damit um Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. Denn bei ihnen war sowohl die Rückzahlung des Kapitalvermögens als auch die Ertragserzielung unsicher.
Nach den im vorliegenden Fall geltenden Anlagebestimmungen war sowohl das Entgelt als auch die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals allein von der Entwicklung des Basiswertes, dem Dow Jones EURO STOXX 50® Index, abhängig. Dabei war dem Anleger weder ein Mindestentgelt zugesagt noch eine der Höhe nach feststehende Mindestrückzahlung in Bezug auf das investierte Kapital. Der Anleger konnte zwar auch bei Unterschreiten der 50 %-Barriere und einem Schlusskurs des Index am abschließenden Bewertungstag von unter 90 % des Ausgangswertes mit einer von der Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50® Index zwischen dem anfänglichen Bewertungstag und dem abschließenden Bewertungstag abhängenden Rückzahlung rechnen. Jedoch war auch ein Totalausfall des eingesetzten Kapitals möglich. Ein fester Mindestrückzahlungsbetrag war dem Anleger gerade nicht zugesagt.
Der streitige Verlust resultiert aus der Veräußerung der Zertifikate an die B‑Bank im Mai 2012.
Eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. ist die entgeltliche Übertragung des ‑zumindest wirtschaftlichen- Eigentums auf einen Dritten3. Weitere Tatbestandsmerkmale als den entgeltlichen Rechtsträgerwechsel enthält das Gesetz nicht. Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung ist daher insbesondere weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig4. An einer Veräußerung fehlt es jedoch, wenn das ursprüngliche Anschaffungsgeschäft rückabgewickelt wird5.
Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Finanzgericht die vor dem OLG geschlossene Vereinbarung, nach der sich der Anleger verpflichtet hatte, die Zertifikate Zug um Zug gegen Zahlung eines erheblich unter den Anschaffungskosten liegenden Geldbetrages auf die B‑Bank zu übertragen, als Veräußerung angesehen hat. Die dahingehende Würdigung des Finanzgericht ist möglich und für den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend.
§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. ist anwendbar, obwohl der Anleger die Zertifikate bereits im November 2007 bzw.01.2008 erworben hat. Dies folgt aus § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. (jetzt: § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG).
§ 52a Abs. 10 EStG n.F. enthält Regelungen zur erstmaligen Anwendbarkeit von § 20 Abs. 2 EStG n.F.; § 52a Abs. 10 Sätze 6 bis 8 EStG n.F. bestimmen, wann Gewinne (bzw. Verluste) aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. erstmals § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. unterfallen. § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. regelt dies für Kapitalforderungen, die zwar nicht die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F., wohl aber die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F. erfüllen. Hierzu bestimmt § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F., dass bei Kapitalforderungen, die zwar nicht die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31.12.2008 anzuwendenden Fassung, aber die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 7 i.d.F. des Art. 1 des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 ‑UntStRefG 2008-6 erfüllen, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 vorbehaltlich der Regelung in § 52a Abs. 11 Sätze 4 und 6 auf alle nach dem 30.06.2009 zufließenden Kapitalerträge anzuwenden ist, es sei denn, die Kapitalforderung wurde vor dem 15.03.2007 angeschafft. Gemäß § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG n.F. ist § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in der am 01.01.1999 geltenden Fassung letztmals auf Veräußerungsgeschäfte anzuwenden, bei denen die Wirtschaftsgüter vor dem 01.01.2009 erworben wurden. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in der am 01.01.1999 geltenden Fassung bestimmte als private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nr. 2 EStG) Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, insbesondere bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.
Die Voraussetzungen des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. sind erfüllt. Die vom Anleger veräußerten Zertifikate sind keine Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F.
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. erfasst Kapitalforderungen nur, wenn entweder die Kapitalrückzahlung zugesagt, aber die Zahlung eines Entgelts dem Grunde und der Höhe nach ungewiss ist (Alternative 1), oder die Kapitalrückzahlung nicht zugesagt ist, aber dem Gläubiger für die Kapitalüberlassung ein Entgelt zugesagt oder gewährt wird, wobei die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängen kann (Alternative 2)7. Die erforderliche „Gewährung“ eines steuerpflichtigen (ungewissen) Entgelts setzt voraus, dass entweder trotz fehlender vertraglicher Vereinbarung die Kapitalrückzahlung oder die Höhe eines (Mindest-)Entgelts im Vorhinein aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung der Kapitalforderung sicher ist8. Daher sind u.a. Vollrisikozertifikate ohne Kapitalrückzahlungsgarantie, bei denen sowohl der Zinssatz als auch die Höhe der Kapitalrückzahlung an einen Index gekoppelt sind, keine Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F.9.
Dementsprechend fallen die streitigen Zertifikate, bei denen wie dargelegt weder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens noch die Rückzahlung des investierten Kapitals zugesagt war, nicht unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. Eine Qualifizierung der Zertifikate als sog. Finanzinnovation i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c EStG a.F. scheidet mithin ebenfalls aus.
Dem steht nicht entgegen, dass der Anleger sog. Ausschüttungen erhalten hat. Erträge aus einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F. sind zwar auch anzunehmen, wenn ein Entgelt nicht zugesagt, aber tatsächlich gewährt worden ist10. Erfasst sind insoweit jedoch nur Fälle, in denen ohne eine ausdrückliche Zusage die Leistung des Entgelts aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung der Kapitalforderung von vornherein, d.h. im Zeitpunkt der Emission sicher ist11. Dies war jedoch bei den streitgegenständlichen Zertifikaten nicht der Fall. Aufgrund der Kopplung des Entgelts an den vereinbarten Index war im Zeitpunkt der Emission kein Entgelt sicher. Auf die tatsächlich gezahlten sog. Ausschüttungen hatte der Anleger nach den Bestimmungen des Verkaufsprospektes keinen Anspruch. Vorschusszahlungen oder Ausschüttungen während der Laufzeit der Zertifikate waren nicht vorgesehen. Vorgesehen waren ‑in Abhängigkeit von der Entwicklung des Index- allein Rückzahlungen an den jeweiligen Beobachtungstagen bzw. am abschließenden Bewertungstag, wobei auch ein Totalverlust möglich war.
Der Anleger hat die Zertifikate am 02.11.2007 bzw. am 02.01.2008 angeschafft und am 22.05.2012 veräußert, so dass auch die weiteren Voraussetzungen des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. erfüllt sind und § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. Anwendung findet.
Der in § 52a Abs. 10 Satz 8 i.V.m. § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG n.F. enthaltene Vorbehalt zur letztmaligen Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. schließt die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F. im Streitfall nicht aus, denn die Veräußerung der Zertifikate erfolgte außerhalb der Jahresfrist in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.
Die in § 52a Abs. 10 Satz 8 i.V.m. § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG n.F. als Ausnahme von der Anwendung der Abgeltungsteuer in Bezug auf nach dem 30.06.2009 zufließende Gewinne bzw. Verluste aus der Veräußerung von Vollrisikozertifikaten vorgesehene letztmalige Anwendung des § 23 EStG a.F. betrifft die Einlösung bzw. Veräußerung von vor dem 01.01.2009 erworbenen Zertifikaten innerhalb der Jahresfrist des § 23 EStG a.F. Nur diese fallen in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. Die Veräußerung oder Einlösung außerhalb der Jahresfrist unterliegt demgegenüber nach Maßgabe des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. (jetzt: § 52 Abs. 28 Satz 17 EStG) § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG n.F.12. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. Die Ausnahmeregelung wurde eingefügt, um die als missbräuchlich empfundenen Neuemissionen von „Open-End-Zertifikaten“ nach Veröffentlichung des Referentenentwurfes zum UntStRefG 2008 zu erfassen. Ohne die Ausnahmeregelung hätten die Erträge aus Zertifikaten bei einer Anschaffung vor dem 01.01.2009 und nach Ablauf der Behaltensfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. ad infinitum nach altem Recht steuerfrei vereinnahmt werden können13. Der Gesetzgeber wollte mithin entsprechende Veräußerungsgeschäfte erfassen und der Abgeltungsteuer unterwerfen, die nicht bereits gemäß § 23 EStG n.F. steuerpflichtig waren, weil sie außerhalb der Jahresfrist erfolgten.
Die Anwendung des § 20 Abs. 2 EStG n.F. ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Übergangsregelung des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. im Einzelfall dazu führen kann, dass Vollrisikozertifikate, die ‑wegen des Ablaufs der Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.- steuerentstrickt waren, infolge der Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 8 EStG n.F. erneut steuerverstrickt werden. Denn im Streitfall liegt keine unechte Rückwirkung nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts14 vor, da im Zeitpunkt des Erwerbs der streitgegenständlichen Zertifikate am 02.11.2007 bzw. am 02.01.2008 das UntStRefG 2008 ‑und damit auch die Regelungen der §§ 20 Abs. 2, 52a EStG n.F.- bereits in Kraft war, so dass die gesetzliche Grundlage für eine Verlustberücksichtigung feststand. Das UntStRefG 2008 wurde am 17.08.2007 verkündet und trat einen Tag nach der Verkündigung (d.h. am 18.08.2007) in Kraft (Art. 14 Abs. 1 UntStRefG 2008).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Anleger im hier entschiedenen Fall einen Veräußerungsverlust gemäß § 20 Abs. 2, Abs. 4 EStG n.F. erzielt:
Gewinn i.S. des § 20 Abs. 4 EStG n.F. ist der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten (§ 20 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F.). Erfasst ist auch ein negativer Gewinn ‑ein Veräußerungsverlust-3, und zwar selbst dann, wenn dieser von außerhalb des Kapitalmarktes liegenden Gründen (z.B. der Insolvenz des Emittenten eines Zertifikates) beeinflusst ist15.
Zu den Einnahmen aus der Veräußerung gehört jede Gegenleistung, die der Veräußerer in Geld oder Geldeswert für das Wirtschaftsgut erhält. Neben dem Verkaufserlös sind auch alle sonstigen geldwerten Güter i.S. des § 8 EStG n.F. erfasst, die der Steuerpflichtige als Gegenleistung für das veräußerte Wirtschaftsgut erhält. Bei einem Kaufvertrag zwischen fremden Dritten ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Veräußerungspreis dem vereinbarten Kaufpreis entspricht. Anders kann dies jedoch sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Gegenleistung nicht nur für die Übertragung des Erworbenen erbracht wird, sondern dass damit zugleich eine andere Leistung abgegolten oder ein Teil der Gegenleistung unentgeltlich zugewendet werden soll. Maßgeblich ist, welcher Teil einer einheitlichen Geldleistung als Gegenleistung für die Hingabe des Wirtschaftsgutes oder für eine andere Verpflichtung erbracht worden ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Erwerber für die Übertragung des Wirtschaftsgutes unter fremden Dritten regelmäßig nicht bereit sein dürfte, mehr als dessen Verkehrswert zu zahlen16. Einnahmen aus Kapitalvermögen liegen nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG n.F. erst vor, wenn sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Der Zufluss ist grundsätzlich erst mit der Erfüllung des Anspruchs gegeben17. Auch die Verrechnung wechselseitiger Ansprüche kann einen Zufluss gemäß § 11 EStG n.F. bedeuten18.
Von den Einnahmen aus der Veräußerung sind nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. die Anschaffungskosten abzuziehen. Anschaffungskosten sind in Übereinstimmung mit § 6 EStG n.F., § 255 Abs. 1 HGB alle Kosten, die getragen werden, um ein Wirtschaftsgut in die eigene Verfügungsmacht zu überführen. Mit dem Anschaffungsgeschäft im Zusammenhang stehende Ermäßigungen der Aufwendungen für die Anschaffung führen zu einer Minderung der Anschaffungskosten (vgl. § 255 Abs. 1 Satz 3 HGB)19.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Anleger im vorliegenden Fall aus der Veräußerung der Zertifikate einen Verlust in Höhe von 40.800 € erzielt (Anschaffungskosten in Höhe von 51.000 € abzüglich Einnahmen aus der Veräußerung in Höhe von 10.200 €).
Der Anleger hat für die Anschaffung der Zertifikate einen Betrag von 51.000 EUR aufgewendet. Die ‑vor dem Streitjahr erfolgte- Zahlung der sog. Ausschüttungen führt nicht zu einer Minderung der Anschaffungskosten, denn es fehlt an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass hiermit eine Erstattung auf die Anschaffungskosten erfolgen sollte.
Als Entgelt für die Zertifikate hat der Anleger 10.200 EUR erhalten. Dass die B‑Bank die von ihr geschuldete Leistung nicht nur für die Übertragung der Zertifikate, sondern auch aus anderen Gründen erbracht hat, ist nicht ersichtlich, auch wenn die Vergleichsvereinbarung im Rahmen eines Schadenersatzprozesses geschlossen wurde und sie eine Regelung zur Erledigung sämtlicher Ansprüche der Beteiligten enthält. Denn nach den Feststellungen des Finanzgericht orientierte sich der von der B‑Bank für die Übertragung der Zertifikate zu zahlende Betrag von 10.200 EUR an der prognostizierten Insolvenzquote und damit an dem Betrag, den der Anleger im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten erwarten konnte. Dieses Entgelt ist dem Anleger im Streitjahr zugeflossen, obwohl die B‑Bank nach Maßgabe der Vergleichsvereinbarung tatsächlich lediglich einen Betrag von 8.552,77 € auszuzahlen hatte (10.200 € abzüglich der sog. Ausschüttungen in Höhe von 1.647,23 €). Da es keine Rechtsgrundlage für die Zahlung von Ausschüttungen bzw. Vorschüssen an den Anleger gab, stand der B‑Bank bezüglich der bereits geleisteten 1.647,23 € ein Rückforderungsanspruch gegen den Anleger zu. Dieser war nach dem Sinn und Zweck der Vergleichsvereinbarung mit dem Kaufpreisanspruch des Anlegers in Höhe von 10.200 € zu verrechnen. Hierin liegt eine zum Zufluss führende Aufrechnung.
Der Verlust ist gemäß § 20 Abs. 6 EStG n.F. verrechenbar. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG n.F. steht einer Verlustverrechnung nicht entgegen. Diese Vorschrift, nach der Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden dürfen, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG n.F. vorliegt, dient der Verhinderung eines doppelten Verlustabzuges. Eine solche Gefahr ist im vorliegenden Fall ‑wie die Bescheinigung der B‑Bank vom 30.09.2013 bestätigt- nicht gegeben. Es wäre reiner Formalismus, in diesem Fall für die Verlustverrechnung eine Bescheinigung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG n.F. zu verlangen20.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VIII R 16/16
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, m.w.N.[↩]
- BT-Drs. 16/4841, S. 54; BR-Drs. 220/07, S. 89; BFH, Urteil vom 20.11.2018 – VIII R 37/15, BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507; BFH, Beschluss vom 28.05.2019 – VIII R 7/16, BFHE 265, 132, BStBl II 2019, 610; Schmidt/Levedag, EStG, 38. Aufl., § 20 Rz 116; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 283 f.; Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz C/7 13; zweifelnd Oertel in Kirchhof, EStG, 18. Aufl., § 20 Rz 112[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, m.w.N.[↩][↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 06.09.2016 – IX R 27/15, BFHE 255, 176, BStBl II 2018, 335, zu § 23 EStG[↩]
- BGBl I 2007, 1912[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 27.10.2015 – VIII R 70/13, BFH/NV 2016, 736[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 04.12.2007 – VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563; in BFH/NV 2016, 736; vgl. auch Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 302[↩]
- vgl. z.B. Gratz, Betriebs-Berater 2005, 2678, 2680; vgl. auch Jachmann, Deutsches Steuerrecht 2007, 877, 878, 882; vgl. Korn/Strahl in Korn, § 52a EStG Rz 4; Harenberg in Herrmann/Heuer/Raupach, Jahresband 2008 ‑HHR‑, § 20 EStG Anm. J 07–11; Storg, in Frotscher/Geurts, EStG, Freiburg 2018, § 52a Rz 24[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563; in BFH/NV 2016, 736[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563; in BFH/NV 2016, 736, m.w.N.[↩]
- vgl. auch BMF, Schreiben vom 18.01.2016 – IV C 1‑S 2252/08/10004:017, Rz 320; vom 14.12.2007 – IV B 8‑S 2000/07/0001 – Schreiben an die Verbände der Kreditwirtschaft[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/5491, 21 f.; HHR/Harenberg, § 20 EStG Anm. J 07–11[↩]
- vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, zur rückwirkenden Verlängerung der Veräußerungsfrist bei Spekulationsgeschäften[↩]
- vgl. auch Nds. FG, Urteil vom 21.05.2014 – 2 K 309/13, EFG 2014, 1584; Delp, Der Betrieb 2015, 1919, 1924; a.A. noch zu § 20 EStG a.F.: BFH, Urteile vom 07.12.2010 – VIII R 37/08, BFH/NV 2011, 776; und vom 13.12.2006 – VIII R 62/04, BFHE 216, 199, BStBl II 2007, 568[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 255, 176, BStBl II 2018, 335, zum Veräußerungspreis gemäß § 23 Abs. 3 EStG[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 16.09.2014 – VIII R 15/13, BFHE 247, 220, BStBl II 2015, 468, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.02.2002 – IX R 36/98, BFHE 198, 198, BStBl II 2003, 126, m.w.N.[↩]
- vgl. hierzu z.B. BFH, Urteile vom 26.02.2002 – IX R 20/98, BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796; vom 16.03.2004 – IX R 46/03, BFHE 206, 231, BStBl II 2004, 1046, m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Urteil in BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, m.w.N.[↩]
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