Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs ist die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses verwitweter Alleinerziehender aus dem Anwendungsbereich des Ehegattensplittings nach § 32a Abs. 5 EStG nicht ernstlich zweifelhaft.

Prüfungsmaßstab für den Vergleich der steuerlichen Behandlung von alleinstehenden Eltern mit Kindern und Ehepaaren mit –oder ggf. auch ohne– Kindern ist in erster Linie Art. 3 Abs. 1 GG, insbesondere das aus dem Gleichheitssatz zu entnehmende Gebot der Steuergerechtigkeit, an das der Gesetzgeber gebunden ist; dabei sind die Wertentscheidung des GG zugunsten von Ehe und Familie sowie das Sozialstaatsprinzip zu beachten1.
Hieraus ergeben sich nach der Rechtsprechung des BVerfG2 insbesondere folgende Prüfungsmaßstäbe: Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der untersagt, Eltern oder alleinerziehende Elternteile gegenüber Kinderlosen schlechter zu stellen. Im Bereich des Einkommensteuerrechts wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers durch das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit begrenzt. Insoweit darf der Staat auf die Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann. Der Gesetzgeber ist jedoch berechtigt, bei der steuerlichen Erfassung der Unterhaltsaufwendungen generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, soweit er diese realitätsgerecht am typischen Fall orientiert, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Zudem gebietet es das GG, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie steuerlich zu verschonen. Der existenznotwendige Bedarf bildet so die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer und ist in angemessener und realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen.
Soweit eine Ungleichbehandlung daraus abgeleitet wird, dass Aufwendungen für die Kinder –sei es im Bereich des sächlichen Existenzminimums, sei es im Bereich des Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarfs– bei verwitweten Alleinerziehenden in geringerem Umfang steuerlich berücksichtigt würden als bei verheirateten, zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Steuerpflichtigen mit Kindern, kann der Bundesfinanzhof dem nicht folgen.
Die steuerliche Berücksichtigung der geminderten Leistungsfähigkeit von Familien mit Kindern findet nach der Systematik des EStG nicht über die Anwendung des Grund- oder Splittingtarifs, sondern gemäß § 31 Satz 1 EStG durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG und hinsichtlich des Sonderbedarfs für auswärtig untergebrachte, in Ausbildung befindliche Kinder durch den Freibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG statt. Hierdurch werden sowohl das sächliche Existenzminimum als auch die Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung abgedeckt. Darüber hinaus kommt im Streitjahr eine Berücksichtigung erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten nach § 4f EStG und § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG3 und privater Kinderbetreuungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 8 EStG in Betracht, soweit diese nicht bereits durch den Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (§ 32 Abs. 6 EStG) abgedeckt sind. Diese steuerliche Entlastung wird unabhängig davon gewährt, ob die Eltern des Kindes verheiratet sind oder ob ein Elternteil wegen Versterbens des anderen Elternteils das Kind allein erzieht (s. hierzu insbesondere § 32 Abs. 6 Satz 3 EStG). Das Bundesverfassungsgericht hat gegen das gesetzliche Konzept, das sächliche Existenzminimum und den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf über die Gewährung von Kindergeld oder Kinderfreibeträgen zu berücksichtigen, keine verfassungsrechtlichen Bedenken erkennen lassen4. Entsprechend hat es das BVerfG auch abgelehnt, die Wirkung der unterschiedlichen Tarifvorschriften für zusammenveranlagte und einzeln veranlagte Eltern als Kompensationsmöglichkeit für eine unzureichende steuerliche Erfassung kindbedingter Aufwendungen heranzuziehen5. Zudem hat das BVerfG betont, dass weder aus Art. 3 Abs. 1 GG noch aus Art. 6 Abs. 1 GG eine Verpflichtung des Gesetzgebers folgt, Unterhaltsleistungen für Kinder in der vollen Höhe des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs, der sich regelmäßig nach der Lebensstellung der Eltern bestimmt, zu berücksichtigen6. Hieraus hat der BFH gefolgert, dass mit dieser Aussage zugleich die Entscheidung getroffen wurde, dass ein Familiensplitting im Sinne der grundsätzlichen Berücksichtigung der Unterhaltslasten in tatsächlicher Höhe verfassungsrechtlich nicht geboten ist7. Daran ist festzuhalten.
Dass die im Streitjahr 2006 geltenden Regelungen das Existenzminimum des Kindes oder den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf nicht in realitätsgerechter Weise erfasst hätten, hat die Antragstellerin weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht. Darüber hinaus hat sie auch keine ihr entstandenen Kinderbetreuungskosten geltend gemacht.
Entsprechendes gilt, soweit die Antragstellerin die Besteuerung mit Rücksicht auf ihre Mehrfachbelastung als Alleinerziehende durch die alleinige Erwerbstätigkeit sowie die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung ohne Unterstützung eines anderen Elternteils „in dem Maße“ begehrt, „als wenn der Splittingtarif zur Anwendung gelangen würde“.
Das BVerfG hat insoweit keine Bedenken gegen die gesetzgeberische Entscheidung erkennen lassen, diese besondere Belastungssituation durch die in § 24b EStG geregelte Gewährung eines Entlastungsbetrags für Alleinerziehende zu berücksichtigen8. Es hat dabei offen gelassen, ob § 24b EStG einer tatsächlichen Mehrbelastung Rechnung trägt oder allein der sozialen Förderung dient. Soweit tatsächlich eine die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mindernde Mehrbelastung besteht, hat das BVerfG einen Einschätzungsspielraum bestätigt, der dem Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe dieses Entlastungsbetrags zusteht. Dass dieser Entlastungsbetrag im Streitjahr im Hinblick auf Belastungen, welche die Leistungsfähigkeit Alleinerziehender mindern, nicht realitätsgerecht bemessen war, hat die Klägerin weder hinreichend substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Soweit der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende hingegen eine soziale Fördermaßnahme darstellt, weil die die Leistungsfähigkeit mindernden Faktoren bereits durch andere einkommensteuerliche Vorschriften vollständig erfasst sind, scheidet eine Ungleichbehandlung der Antragstellerin gegenüber zusammenveranlagten Eltern bereits deshalb aus, weil letzteren ein entsprechender Entlastungsbetrag nicht gewährt wird.
Schließlich ergeben sich verfassungsrechtliche Bedenken auch nicht daraus, dass der Antragstellerin als verwitwete Alleinerziehende die Möglichkeit der Zusammenveranlagung und damit der Splittingtarif nicht auf Dauer eröffnet wird.
Das BVerfG und ihm folgend der BFH in ständiger Rechtsprechung haben die Vereinbarkeit des Splittingverfahrens mit dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bestätigt9. Das BVerfG hat dies insbesondere damit gerechtfertigt, dass das Splitting an die wirtschaftliche Realität der intakten Durchschnittsehe anknüpft, in der ein Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit zwischen den Partnern stattfindet. Typischerweise findet ein solcher Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit gerade in den von der Antragstellerin als Vergleichsgruppe herangezogenen Fällen der Ehegatten mit einem Alleinverdiener statt, unabhängig davon, ob der keine Einkünfte erzielende Ehegatte Kinder zu betreuen hat oder nicht. Zwar mag es zutreffen, dass gerade bei höheren Einkünften mitunter auch güterrechtliche Vereinbarungen getroffen werden, die den Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit beschränken. Abgesehen davon, dass sich bei einem sehr hohen Einkommen der durch die Anwendung des Splittingtarifs bewirkte Progressionsvorteil relativ erheblich vermindert, tritt indes auch im Fall der vereinbarten Gütertrennung die zwischen den Ehegatten bestehende „Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs“10 nicht vollständig in den Hintergrund, was es aus Sicht des BFHs rechtfertigt, diesen Fall in das Splittingverfahren einzubeziehen, nicht hingegen den Fall einer alleinstehenden Person.
Auch unter Berücksichtigung des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG hat das BVerfG keine Ansatzpunkte für eine Ausdehnung des Splittingvorteils auf die Gruppe der Alleinerziehenden gefunden11. Es hat insoweit darauf abgestellt, dass die Gründe, die den Splittingtarif für Eheleute rechtfertigen, auf Alleinerziehende mit Kindern nicht übertragbar sind. Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern besteht weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führt, sondern ein Unterhaltsverhältnis. Auch kommt für Alleinstehende mit Kindern ein durch Art. 6 Abs. 1 GG zu schützendes Recht, über die Aufgabenverteilung in der Ehe partnerschaftlich zu entscheiden, von vornherein nicht in Betracht.
Im Übrigen hat es das BVerfG dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen, in welchem Regelungsbereich er einer verminderten Leistungsfähigkeit von Alleinerziehenden, die insbesondere durch zwangsläufige Betreuungsaufwendungen ausgelöst werden kann, Rechnung trägt, und dabei die verschiedenen Varianten des Splittings nur als eine unter mehreren möglichen Formen einer steuerrechtlichen Regelung in den Raum gestellt11. Hat jedoch der Gesetzgeber –wie dargestellt– eine Leistungsfähigkeitsminderung bei Alleinerziehenden in anderer Form in ausreichender Weise berücksichtigt, folgt daraus, dass sich aus verfassungsrechtlichen Erwägungen kein Zwang ergibt, den aus anderen Gründen gewährten Splittingvorteil auf Alleinerziehende auszudehnen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17. Oktober 2012 – III B 68/12
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.10.1984 – 1 BvR 441/82, BVerfGE 68, 143, m.w.N.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 16.03.2005 – 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268, BGBl I 2005, 1622, m.w.N.[↩]
- zur Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften vgl. BFH, Urteil vom 09.02.2012 – III R 67/09, BFHE 237, 39, BStBl II 2012, 567[↩]
- Beschluss vom 10.11.1998 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter C.I.[↩]
- BVerfG, Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter B.II.3.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 29.05.1990 – 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, unter C.III.3.d[↩]
- BFH, Urteil vom 22.07.1997 – VI R 114/96, BFHE 183, 549, BStBl II 1997, 697[↩]
- BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 22.05.2009 – 2 BvR 310/07, HFR 2009, 1027[↩]
- BVerfG, Urteil vom 03.11.1982 – 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717; BFH, Urteil vom 27.06.1996 – IV R 4/84, BFHE 181, 31; BFH, Beschlüsse vom 20.09.2002 – III B 40/02, BFH/NV 2003, 157; vom 17.08.2004 – III B 121/03, BFH/NV 2005, 46; vom 28.01.2005 – III B 97/04, BFH/NV 2005, 1050, und vom 05.08.2011 – III B 158/10, BFH/NV 2011, 1870[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil in BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, unter C.I.4.a[↩]
- BVerfG, Urteil in BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717[↩][↩]