Eine Wohnung dient – im Rahmen der doppelten Haushaltsführung – dem Wohnen am Beschäftigungsort, wenn sie dem Arbeitnehmer ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen ermöglicht, seine Arbeitsstätte täglich aufzusuchen. Die Entscheidung darüber, ob eine solche Wohnung so gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Das Gesetz selbst konkretisiert nicht weiter, was unter dem Wohnen am Beschäftigungsort im Einzelnen zu verstehen ist. Es entspricht allerdings schon der bisherigen langjährigen Rechtsprechung des erkennenden BFHs, den Begriff des Beschäftigungsorts weit auszulegen und darunter insbesondere nicht nur dieselbe politische Gemeinde zu verstehen. So hatte der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 9. November 19711 entschieden, dass ein Arbeitnehmer auch dann am Beschäftigungsort i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG wohnt, wenn er in der Umgebung der politischen Gemeinde wohnt, in der sich seine Arbeitsstätte befindet, und von hier aus zur Arbeitsstätte fährt.
Daran hält der Bundesfinanzhof grundsätzlich fest. Der Tatbestand der doppelten Haushaltsführung selbst konkretisiert das Merkmal des Wohnens am Beschäftigungsort. Denn liegt eine doppelte Haushaltsführung dann vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt, und ist die Errichtung des Zweithaushalts am Beschäftigungsort beruflich veranlasst, wenn der Arbeitnehmer den Zweithaushalt unterhält, um von dort aus seinen Arbeitsplatz aufsuchen zu können2, dann wohnt der Arbeitnehmer in einer Wohnung am Beschäftigungsort, wenn er von dort aus ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen seine Arbeitsstätte täglich aufsuchen kann. Dementsprechend haben auch bisher schon Entscheidungen der Finanzgerichte sowie die Kommentarliteratur eine Wohnung am Beschäftigungsort bejaht, wenn sie in einem Bereich liegt, von dem aus der Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren kann3.
Die Entscheidung darüber, ob die fragliche Wohnung in der Weise am Beschäftigungsort, nämlich so zur Arbeitsstätte gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht. Denn die Antwort darauf kann nur aufgrund der Berücksichtigung und Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles gegeben werden und ist insbesondere von den individuellen Verkehrsverbindungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte abhängig; dabei ist naturgemäß die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein wesentliches, allerdings nicht allein entscheidungserhebliches Merkmal.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.4.2012, VI R 59/11
- BFH, Urteil vom 09.11.1971 – VI R 96/70, BFHE 103, 506, BStBl II 1972, 134, s. auch BFH, Urteil vom 16.12.1981 – VI R 227/80, BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302[↩]
- BFH, Urteile vom 05.03.2009 – VI R 23/07, BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016; – VI R 58/06, BFHE 224, 413, BStBl II 2009, 1012; – VI R 31/08, BFH/NV 2009, 1256[↩]
- vgl. FG Saarland, Urteil vom 25.06.1993 – 1 K 189/92, EFG 1994, 201; FG Münster, Urteil vom 19.10.1999 – 13 K 2468/94 E; von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz G 50; Wagner, in: Heuermann/Wagner, LohnSt, F, Rz 313; Hartz/Meeßen/Wolf, ABCFührer Lohnsteuer, „Doppelte Haushaltsführung“ Rz 46; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 505; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 365; jeweils m.w.N.[↩]