Nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO).

Nach der für die Schenkungsteuer getroffenen Sonderregelung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 oder 2 AO bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Maßgeblich ist dabei die Alternative, die als erste eingetreten ist. § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO enthält einen auf die Schenkungsteuer beschränkten selbständigen Hemmungstatbestand, der den Beginn der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 1 und 2 AO) auf den Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung festlegt1. Durch diese Vorschrift wird bei einer nach § 30 ErbStG bestehenden Anzeigepflicht die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltene Drei-Jahres-Grenze, bis zu der der Anlauf der Festsetzungsfrist längstens gehemmt ist, außer Kraft gesetzt und bei einer lediglich für Gerichte und Notare bestehenden Anzeigepflicht nach § 34 ErbStG der Anlauf der sonst nach § 170 Abs. 1 AO beginnenden Festsetzungsfrist gehemmt2.
§ 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO verlangt nach seinem Wortlaut positive Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung. Positive Kenntnis in diesem Sinn ist gegeben, wenn das für die Verwaltung der Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht durch Anzeige gemäß § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des Bedachten, Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat. Die Kenntnis von Umständen, die nur zur Prüfung Anlass geben, ob ein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang vorliegt, genügt nicht. Hinsichtlich einer mittelbaren Schenkung hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Finanzbehörde erst dann Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt, wenn sie alle Umstände kennt, die die mittelbare Schenkung begründen. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO dient der Sicherung des Steueranspruchs und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Finanzbehörde von Schenkungen regelmäßig erst spät -meist anlässlich des Todes des Schenkers- Kenntnis erlangt3.
Wendet ein Schenker dem Bedachten mehrere Vermögensgegenstände gleichzeitig zu, erlangt das Finanzamt aber lediglich Kenntnis von der freigebigen Zuwendung eines dieser Gegenstände, führt dies nicht zum Anlauf der Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände. Die nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO für den Anlauf der Festsetzungsfrist erforderliche Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung bezieht sich in einem solchen Fall nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auf die Schenkung eines jeden einzelnen dieser Vermögensgegenstände. Da die Vorschrift die Kenntnis des Finanzamts von der vollzogenen Schenkung voraussetzt, beginnt die Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer für die übrigen zugewendeten Vermögensgegenstände nicht deshalb zu laufen, weil das Finanzamt die Möglichkeit gehabt hätte, durch weitere Ermittlungen Kenntnis von der gesamten freigebigen Zuwendung zu erlangen. Ob das Finanzamt durch das Unterlassen solcher Ermittlungen gegen seine gemäß § 88 Abs. 1 AO bestehende Verpflichtung verstoßen hat, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidungserheblich.
Nachdem im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall nur die Zuwendung des nicht in der Veräußerungsanzeige ausgewiesenen übrigen Grundbesitzes der Schenkungsteuer unterworfen wurde, kann auf sich beruhen, ob die Festsetzungsfrist für die Steuer für den dem Finanzamt zunächst bekannt gewordenen Erwerb eines Vermögensgegenstands gesondert zu laufen beginnt oder ob die Festsetzungsfrist für die Steuer für den gesamten Erwerb erst anläuft, wenn er dem Finanzamt insgesamt bekannt geworden oder der Schenker verstorben ist.
Nach diesen Grundsätzen konnte hier die Schenkungsteuer gegenüber der Beschenkten für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes mit Bescheid vom 01.11.2012 noch festgesetzt werden. Der Steueranspruch war noch nicht wegen Verjährung erloschen. Die vierjährige Festsetzungsfrist begann diesbezüglich mit Ablauf des Jahres 2009 und endete mit Ablauf des Jahres 2013.
Die Festsetzungsfrist für den Erwerb des übrigen Grundbesitzes begann nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem M verstorben war, nämlich mit Ablauf des Jahres 2009.
Ein früherer Beginn nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO lag nicht vor. Das Finanzamt erlangte erst mit Einreichung der Erbschaftsteuererklärung durch den -ebenfalls beschenkten- Bruder der Beschenkten im Oktober 2011 Kenntnis von der vollzogenen Schenkung des übrigen Grundbesitzes. Durch die Veräußerungsanzeige, welche die Schenkungsteuerstelle des Finanzamt im Jahr 2002 erreichte, erlangte das Finanzamt keine positive Kenntnis von der vollzogenen Schenkung hinsichtlich des übrigen Grundbesitzes. Die Veräußerungsanzeige enthielt keine Angaben zu der Schenkung des übrigen Grundbesitzes; sie zählte als Übertragungsgegenstand nur den Grundbesitz B auf. Auch der angegebene Wert des übertragenen Gegenstands und der Wert des eingeräumten Nießbrauchs bezogen sich nur auf den Grundbesitz B. Ob das Finanzamt durch weitere Ermittlungen von Amts wegen -z.B. Anforderung des Schenkungsteuervertrags- positive Kenntnis von der vollzogenen Schenkung des übrigen Grundbesitzes hätte erlangen können, ist nicht entscheidungserheblich.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. Juli 2017 – II R 22/1