Weiterbelastung von Kosten auf dem Schlachthof – und die Umsatzsteuer

Ein Schlachthof, der beim Erwerb von zur Schlachtung bestimmten Tieren die im Rahmen der Schlachtung anfallenden Kosten (sog. „Vorkosten“) vom Kaufpreis für das jeweilige Tier abzieht, erbringt damit keine sonstigen Leistungen an die Lieferanten der Tiere, wenn die diesen Kosten zugrundeliegenden Vorgänge im eigenen Interesse des Schlachthofs liegen. Allein der Umstand, dass eine empfangene Leistung an eine andere Person vertraglich weiterberechnet wird, führt nicht dazu, dass sie vom Leistenden direkt an den Zahlenden oder auch vom Leistungsempfänger an den Zahlenden erbracht sein muss.

Weiterbelastung von Kosten auf dem Schlachthof – und die Umsatzsteuer

Ein steuerbarer Umsatz in Form einer Leistung gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt voraus, dass der Leistungsempfänger identifizierbar ist und einen Vorteil erhält, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems führt1. Der individuelle Leistungsempfänger muss in der Lage sein, aus der Leistung einen konkreten Vorteil zu ziehen2. Ein einem Dritten entstehender Vorteil ist dann als nebensächlich einzustufen, wenn er sich aus einer Dienstleistung ergibt, die im eigenen Interesse des Steuerpflichtigen liegt3.

Eine sonstige Leistung der Großschlachterei an die Lieferanten der Tiere hat erstinstanzlich bereits das Finanzgericht München4 zutreffend verneint:

Das Finanzgericht hat angenommen, dass die Vorgänge nach dem Abladen der Tiere auf dem Betriebsgelände der Großschlachterei im anschließenden Produktionsprozess der Schlachtung der Tiere (Qualitätsmanagement, „audits“, Hygiene und Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit) internen Unternehmensabläufen der Großschlachterei gedient hätten. Die damit verbundenen Kosten seien ein Kostenfaktor der Tätigkeit der Großschlachterei gewesen, die diese preismindernd beim Einkauf der Tiere berücksichtigt habe. Die Tierlieferanten, die aus Sicht des Finanzamtes Leistungsempfänger seien, hätten keinen unmittelbaren Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems geführt habe. Es bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der angeblichen Leistung der Großschlachterei und dem angeblichen Entgelt, das das Finanzamt in den sog. Vorkosten sieht. Diese Vorkosten hätten durchweg gesetzliche und vertragliche Verpflichtungen aus der Sphäre der Großschlachterei betroffen, die diese ihren Lieferanten durch den Ansatz einer Pauschale von dem ermittelten Preis für das gelieferte Fleisch pro Tier abgezogen habe. Die Großschlachterei habe dadurch ihre selbst obliegenden Verpflichtungen erfüllt und dann die daraus entstehenden Kosten teilweise und pauschal durch eine Minderung des Entgelts für das gelieferte Fleisch auf ihre Lieferanten abgewälzt. Außerdem fehle es an gesonderten vertraglichen Vereinbarungen über die den Vorkosten zugrundeliegenden Leistungen. Im Ergebnis habe die Großschlachterei die bei ihr vor allem wegen gesetzlicher Vorgaben entstehenden Kosten an ihre Lieferanten „weitergereicht“, was sie u.a. aufgrund ihrer starken Stellung am Markt auch habe durchsetzen können. Es habe keinen Unterschied gemacht, ob die Großschlachterei den für das angelieferte Tier zu zahlenden Preis von vornherein niedriger festgesetzt oder ob sie stattdessen die sog. Vorkosten aus historischen Gründen als preismindernden Verrechnungsposten in den Gutschriften ausgewiesen habe. Auch spreche die „Vorkostenpauschale“ gegen das Vorliegen von Leistungen durch die Großschlachterei.

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Diese tatsächliche Würdigung des Finanzgericht ist möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und bindet daher den Bundesfinanzhof (§ 118 Abs. 2 FGO). Denn zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen, die den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO binden, gehört auch die Auslegung von Verträgen und die sich daraus ergebende Bestimmung des Leistungsgegenstands5. Dass das Finanzamt eine andere tatsächliche Würdigung für vorzugswürdig hält, ändert an dieser Bindungswirkung nichts. Der gegenteiligen Verwaltungsauffassung6 folgt der Bundesfinanzhof daher ebenfalls nicht.

Der Bundesfinanzhof weist ergänzend auf Folgendes hin:

Die Großschlachterei war trotz des noch fehlenden zivilrechtlichen Gefahrübergangs für sich selbst, d.h. in ihrem eigenen Interesse tätig, weil diese Vorgänge entscheidend dafür waren, welches Fleisch die Großschlachterei zu welchem Preis verkaufen konnte und dementsprechend ankaufen wollte. Allein der Umstand, dass eine empfangene Leistung an eine andere Person vertraglich weiterberechnet wird, führt nicht dazu, dass sie vom Leistenden direkt an den Zahlenden erbracht sein muss7.

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in gegenseitigen Verträgen verpflichtet haben, der erforderliche Leistungsverbrauch grundsätzlich vorliegt8, führt zudem im Streitfall zu keiner anderen Beurteilung, weil sich die Großschlachterei gegenüber den Lieferanten nicht zur Durchführung der den Vorkosten zugrundeliegenden Tätigkeiten vertraglich verpflichtet hatte. Das Finanzgericht hat jedenfalls nicht festgestellt, dass der jeweilige Lieferant darauf einen Anspruch gehabt hätte.

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Ebenso zutreffend ist die Annahme des Finanzgericht, dass die Großschlachterei sicherstellen musste, dass auf allen ihrer Kontrolle unterstehenden Produktions, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln die einschlägigen Hygienevorschriften erfüllt sind (Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004). Sie musste weiter auf allen Produktions, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen dafür sorgen, dass die Lebensmittel die Anforderungen des Lebensmittelrechts erfüllen, die für ihre Tätigkeit gelten, und die Einhaltung dieser Anforderungen überprüfen (Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit -VO Nr. 178/2002/EG-). Sie hatte u.a. in der Lage zu sein, jede Person festzustellen, von der sie ein der Lebensmittelgewinnung dienendes Tier erhalten hat, und Systeme und Verfahren einzurichten, mit denen diese Informationen den zuständigen Behörden auf Aufforderung mitgeteilt werden können (Art. 18 der VO Nr. 178/2002/EG). Die Leistungsbezüge, die zum Entstehen der weiterberechneten Vorkosten berechtigt haben, bezog sie deshalb aus eigenem Interesse, was gegen das Vorliegen einer Leistung an die Lieferanten spricht9.

Soweit das Finanzamt darauf hinweist, dass die „audits“ auch den Lieferanten wirtschaftlich zugutekommen, indem diese für qualitativ hochwertigere Produkte höhere Verkaufspreise erzielen können, gilt dies für die Großschlachterei gleichermaßen, sodass auch dies in ihrem eigenen Interesse lag9.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. Oktober 2022 – XI R 12/20

  1. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 06.04.2016 – V R 12/15, BFHE 253, 475, BStBl II 2017, 188, Rz 26; vom 23.09.2020 – XI R 35/18, BFHE 271, 243, BStBl II 2022, 344, Rz 43[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 18.12.2008 – V R 38/06, BFHE 225, 155, BStBl II 2009, 749, Rz 38; BFH, Beschluss vom 15.12.2021 – XI R 30/19, BFHE 275, 414, BStBl II 2022, 577, Rz 29[]
  3. vgl. zum Vorsteuerabzug: EuGH, Urteil Vos Aannemingen vom 01.10.2020 – C-405/19, EU:C:2020:785, Rz 29 und 30[]
  4. FG München, Urteil vom 18.03.2020 – 3 K 3318/18[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 18.12.2019 – XI R 21/18, BFHE 267, 560, BStBl II 2020, 723, Rz 19; in BFHE 271, 243, BStBl II 2022, 344, Rz 45[]
  6. Bayerisches Landesamt für Steuern vom 28.02.2012, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2012, 699; Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom 24.03.2016, UR 2016, 453[]
  7. vgl. in den Streitjahren § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG sowie BFH, Beschluss vom 30.04.2014 – XI R 33/11, BFH/NV 2014, 1239, Rz 20 ff.[]
  8. vgl. BFH, Urteile vom 10.08.2016 – XI R 41/14, BFHE 255, 300, BStBl II 2017, 590, Rz 33; vom 18.11.2021 – V R 38/19, BFHE 274, 355, Rz 36[]
  9. vgl. BFH, Beschluss vom 13.09.2022 – XI R 8/20[][]
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