Allein auf der fehlenden oder fehlerhaften Protokollierung einer Belehrung gemäß § 257c Abs. 5, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO kann das Urteil nicht beruhen.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Angeklagten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt. Am 27. Hauptverhandlungstag hatte das Oberlandesgericht den Angeklagten einen – als Anlage zu Protokoll genommenen – näher ausgeführten und begründeten „Verständigungsvorschlag gemäß § 257c StPO“ unterbreitet. Am 52. Hauptverhandlungstag wurde laut Protokoll festgestellt, dass unter anderem hinsichtlich des Angeklagten S. S. eine „verfahrensbeendende Absprache entsprechend § 257c StPO“ stattgefunden habe. Mit der Rüge beanstandet die Revision, dass sich aus dem Protokoll nicht ergebe, ob eine Verständigung zustande gekommen und eine Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO erteilt worden sei. Zudem sei nicht dokumentiert, ob und wie die Angeklagten sich zu dem Verständigungsvorschlag geäußert hätten. Überdies habe der gerichtliche Verständigungsvorschlag einzelne Strafnormen zitiert, obschon der Schuldspruch nicht Gegenstand der Verständigung sein dürfe. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Angeklagten:
Bereits unzulässig ist die Verfahrensrüge, soweit der Beschwerdeführer beanstandet, das Zustandekommen einer Verständigung und der nähere Ablauf des vorangehenden Verfahrens seien nicht dokumentiert. Die Revision unterlässt es, die insofern zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen vollständig vorzutragen. So teilt sie den die Verständigung betreffenden Inhalt des Protokolls nicht abschließend mit, sondern verschweigt, dass laut Protokoll zum einen der Vorsitzende bereits am 26. Hauptverhandlungstag über (nach Schluss des vorangegangenen Verhandlungstermins geführte) Besprechungen mit dem Ziel einer möglichen Verständigung berichtete und zum anderen später eine „verfahrensbeendende Absprache“ festgestellt wurde. Die Kenntnis dieser Gesichtspunkte wäre indes für die Prüfung erforderlich, ob das Protokoll den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung in der nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO gebotenen Weise wiedergibt. Der lückenhafte Revisionsvortrag führt insoweit zur Unzulässigkeit der Rüge1.
Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, aus dem Protokoll ergebe sich keine Belehrung des Angeklagten gemäß § 273 Abs. 1a Satz 2, § 257c Abs. 5 StPO, bleibt seine Verfahrensrüge ebenfalls erfolglos, da das Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß nicht beruhen kann (§ 337 Abs. 1 StPO).
Der Beschwerdeführer rügt, dass sich in der Sitzungsniederschrift keine Protokollierung einer gemäß § 257c Abs. 5 StPO etwaig erteilten Belehrung finde. Damit ist Gegenstand der Verfahrensrüge allein die Frage einer ordnungsgemäßen Protokollierung; denn aus der Revisionsbegründung ergibt sich – auch bei einer Auslegung nach ihrem Gesamtzusammenhang – nicht die Behauptung, dass eine Belehrung in der Hauptverhandlung tatsächlich unterblieben ist, und dieser Gesichtspunkt von der Urteilsanfechtung umfasst sein soll.
Die Revisionsbegründung muss bei der Rüge der Verletzung einer Verfahrensnorm die den Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen angeben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit etwa BVerfG, Beschluss vom 12.11.1984 – 2 BvR 1350/84, NJW 1985, 125, 126). Nur in diesem Umfang ist das Revisionsgericht überhaupt zu eigener Prüfung berechtigt (§ 352 Abs. 1 StPO). Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass dem Vorbringen in der Revisionsbegründung, ein bestimmter Verfahrensvorgang sei nicht protokolliert worden, regelmäßig nicht die Behauptung zu entnehmen ist, dieser Verfahrensvorgang habe tatsächlich in der Hauptverhandlung auch nicht stattgefunden2. Dem liegt im Wesentlichen die Überlegung zugrunde, dass bei dem alleinigen Abstellen auf das Protokoll offen bleibt, ob der Vorgang gegebenenfalls stattgefunden hat und nur versehentlich nicht protokolliert worden ist. Im Übrigen würde das Erfordernis des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO übergangen, da an Stelle der bestimmten Behauptung einer Tatsachenangabe lediglich das Protokoll, das nur ein Beweismittel darstellt (vgl. § 274 Satz 1 StPO), angeführt wird.
Vorliegend stellt die Revisionsbegründung („Ob […] eine Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO erfolgt ist, ergibt sich – falls die Verteidigung insoweit nichts übersehen hat – aus dem Protokoll nicht.“) allein auf die fehlende Protokollierung ab. Dies wird durch die anschließenden Rechtsausführungen bestärkt, denen zufolge das Oberlandesgericht „mit dieser Vorgehensweise […] gegen § 273a Abs. 1a StPO“ verstoßen habe. Zudem geht die Revision selbst von einer „etwaig erfolgten Belehrung“ aus und lässt damit ausdrücklich offen, ob eine solche erteilt worden ist oder nicht. Gerade in der Zusammenschau wird deutlich, dass die Verfahrensrüge die unterlassene Protokollierung und nicht eine unterbliebene Belehrung selbst zum Gegenstand hat.
Es kann offen bleiben, ob die danach allein zu prüfende Rüge, aus dem Protokoll lasse sich die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO nicht erkennen, – wie für „Protokollrügen“ regelmäßig angenommen3 – bereits unzulässig oder in der konkreten Konstellation ausnahmsweise zulässig ist4. Der Beanstandung bleibt der Erfolg jedenfalls versagt; denn es ist denklogisch ausgeschlossen, dass das Urteil auf einer unzureichenden Protokollierung beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Hierzu gilt:
Die Fertigstellung des Protokolls geht der Verkündung des Urteils nach. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Protokoll die Urteilsformel enthalten muss (§ 273 Abs. 1 Satz 1 StPO) und es mithin vor der Urteilsverkündung nicht fertiggestellt (vgl. § 271 Abs. 1 StPO) werden kann. Vor der Fertigstellung steht der tatsächliche Protokollinhalt noch nicht fest und ist im Einzelnen ungewiss. Das Protokoll über den Verlauf der (sich gegebenenfalls über mehrere Tage erstreckenden) Hauptverhandlung bildet eine Einheit und ist erst mit den Unterschriften unter die gesamte Niederschrift fertiggestellt. Zuvor angefertigte Protokollteile sowie Mitschriften haben lediglich Entwurfscharakter und sind nicht Bestandteil der Akten5. Das Gericht hat – ebenso wie alle Verfahrensbeteiligten – keine Kenntnis vom späteren Protokollinhalt. Grundlage für das Urteil ist das tatsächliche Geschehen in der Hauptverhandlung, nicht die spätere Niederschrift. Liegt mithin das Protokoll erst nach der Urteilsverkündung vor, ist ausgeschlossen, dass die Protokollierung einen Einfluss auf das bereits zuvor ergangene Urteil hat6.
Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund geboten, dass das Gesetz zur Regelung der Verständigung in Strafverfahren vom 29.07.2009 (Verständigungsgesetz)7 unter anderem das Ziel verfolgt, eine wirksame „vollumfängliche“ Kontrolle verständigungsbasierter Urteile durch das Rechtsmittelgericht zu ermöglichen8.
Das Verständigungsgesetz hat die revisionsrechtlichen Regelungen der StPO – von dem Ausschluss eines Rechtsmittelverzichts nach einer Verständigung (§ 302 Abs. 1 Satz 2 StPO) abgesehen – unverändert gelassen. Zum einen sind die allgemeinen Vorschriften, nach denen dem Revisionsgericht die Prüfung von Verfahrensverstößen nur aufgrund einer entsprechenden Rüge und der Angabe der zu ihrer Beurteilung erforderlichen Tatsachen erlaubt ist (§ 344 Abs. 2 Satz 2, § 352 Abs. 1 StPO), nicht modifiziert worden9. Zum anderen hat das Verständigungsgesetz davon abgesehen, Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung den absoluten Revisionsgründen zuzuordnen10. Soweit das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen ist, dass ein Urteil regelmäßig auf einem Verstoß gegen „Transparenz- und Dokumentationspflichten“ des Verständigungsverfahrens beruhe11, war jeweils nicht allein die fehlende oder fehlerhafte spätere Protokollierung Entscheidungsgegenstand, sondern zumindest auch die Nichtbeachtung einer vor dem Urteilsspruch gegenüber Verfahrensbeteiligten bestehenden Transparenzpflicht an sich. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts können deshalb nicht dahin verstanden werden, dass – entgegen den Gesetzen der Logik – kraft Verfassungsrechts grundsätzlich bereits auf die Rüge der unterlassenen Protokollierung eines nach den Regeln des Verständigungsverfahrens erforderlichen Hinweises oder einer notwendigen Belehrung die Aufhebung des angefochtenen Urteils geboten sei.
Die Fragen, inwieweit das Bundesverfassungsgericht überhaupt allgemeine Vorgaben für eine im Tatsächlichen zu klärende Beruhensprüfung machen kann12 und wie weit die Bindungswirkung der Entscheidung im Einzelnen reicht13, bedürfen hier daher keiner weiteren Erörterung.
Soweit der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Urteil vom 10.07.201314 die Auffassung vertreten hat, dass das Prozessverhalten des Angeklagten durch das Fehlen einer Dokumentation im Protokoll beeinflusst und ein Beruhen des Urteils auf dem Protokollierungsfehler nicht ausgeschlossen werden könne, vermag der Bundesgerichtshof dem aus den dargelegten Gründen nicht zu folgen. Eines Verfahrens nach § 132 Abs. 2 GVG bedarf es deswegen jedoch nicht. Zum einen betraf das dortige Urteil nicht die hier zu prüfende fehlende Protokollierung der Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO. Zum anderen handelt es sich bei der Frage, ob das Urteil auf einem bestimmten Verfahrensfehler beruhen kann, nicht um eine Rechtsfrage im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG, sondern um eine im Einzelfall zu prüfende Tatsachenfrage15.
Eine unzulässige Verständigung über den Schuldspruch (§ 257c Abs. 2 Satz 3 StPO) liegt entgegen der Ansicht der Revision nicht vor.
Der Beschwerdeführer begründet seine diesbezügliche Annahme allein mit dem Wortlaut des gerichtlichen Verständigungsvorschlags, der konkrete Straftatbestände und diesen zugeordnete Sachverhalte aufführt. Indes ist dies ersichtlich nicht dahin zu verstehen, dass entsprechende Schuldsprüche Gegenstand der Verständigung sein sollten. Vielmehr hat das Oberlandesgericht lediglich dargelegt, auf Grund welcher Erwägungen es „im Bewusstsein der Problematik einer vorläufigen Beweisprognose“ zu dem allein die Rechtsfolgen betreffenden Vorschlag gekommen ist. Einer solchen unverbindlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage steht weder Verfassungs- noch Strafverfahrensrecht entgegen16. Das Gericht ist sogar grundsätzlich dazu gehalten, in seinem Vorschlag das vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung erwartete Prozessverhalten genau zu bezeichnen und „unter antizipierender Berücksichtigung dieses Verhaltens und Beachtung der Vorgaben des materiellen Rechts eine strafzumessungsrechtliche Bewertung des Anklagevorwurfs vorzunehmen“17. Eine solche Bewertung ist schwerlich möglich, ohne zunächst klarzustellen, von welchen Delikten und Strafrahmen das Gericht ausgeht. Vor diesem Hintergrund folgt aus dem Hinweis auf einen bestimmten Sachverhalt und eine rechtliche Wertung, die es seinem Vorschlag vorläufig zugrunde legt, keine Verständigung über den Schuldspruch.
Dafür, dass das Oberlandesgericht lediglich eine nicht abschließende und nicht von der eigentlichen Verständigung umfasste Einschätzung abgegeben hat, spricht ferner, dass es den Angeklagten trotz der getroffenen Verständigung nicht in dem Umfang schuldig gesprochen hat, der sich aus der im Vorschlag genannten Zwischenbewertung ergab18.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 210/13
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 02.11.2010 – 1 StR 544/09, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Anforderungen 1; vom 16.04.1999 – 3 StR 642/98; BVerfG, Beschluss vom 25.01.2005 – 2 BvR 656/99 u.a., BVerfGE 112, 185, 208 f. mwN[↩]
- vgl. allgemein BGH, Urteile vom 01.02.1955 – 5 StR 678/54, BGHSt 7, 162 ff. mwN; vom 20.04.2006 – 4 StR 604/05, NStZ-RR 2007, 52, 53; vom 12.01.2005 – 2 StR 138/04, NStZ 2005, 281; vom 20.10.1970 – 1 StR 225/70; Beschluss vom 04.04.2006 – 3 StR 23/06; RG, Urteil vom 26.05.1914 – II 374/14, RGSt 48, 288, 289 f.; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 86[↩]
- etwa BGH, Beschluss vom 04.04.2006 – 3 StR 23/06; Urteil vom 17.01.1978 – 1 StR 734/77[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.10.1980 – StB 43/80, BGHSt 29, 394, 395; Urteil vom 20.11.1961 – 2 StR 395/61, BGHSt 16, 306, 307[↩]
- st. Rspr.; instruktiv RG, Urteil vom 29.01.1909 – II 975/08, RGSt 42, 168, 170 f.; s. auch BGH, Urteile vom 20.04.2006 – 4 StR 604/05, NStZ-RR 2007, 52, 53; vom 01.02.1955 – 5 StR 678/54, BGHSt 7, 162, 163; Beschluss vom 11.10.2010 – 1 StR 359/10, NStZ 2011, 170; Radtke, NStZ 2013, 669[↩]
- BGBl. I S. 2353[↩]
- BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1066 [Rn. 94][↩]
- vgl. im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 47/13, BGHSt 58, 315; Urteil vom 03.09.2013 – 5 StR 318/13, NStZ 2013, 671; BT-Drs. 16/12310 S. 9[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1067 [Rn. 97][↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1067 [Rn. 97 ff.]; Beschluss vom 30.06.2013 – 2 BvR 85/13, NStZ-RR 2013, 315, 316[↩]
- vgl. etwa Knauer, NStZ 2013, 433, 436; Stuckenberg, ZIS 2013, 212, 215 f.[↩]
- s. BVerfG, Beschlüsse vom 06.11.1968 – 1 BvR 727/65, BVerfGE 24, 289, 297; vom 10.06.1975 – 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, 93 f.; vom 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97, 109 f.; BFH, Urteil vom 11.08.1999 – XI R 77/97, NJW 1999, 3798; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn. 88 [Stand: Juli 2013][↩]
- 2 StR 195/12, BGHSt 58, 310[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23.08.2006 – 1 StR 466/05, NJW 2006, 3582, 3586; Herdegen, NStZ 1990, 513, 515[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1068 [Rn. 106][↩]
- BGH, Urteil vom 21.06.2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 278; vgl. auch BT-Drs. 16/12310 S. 14[↩]
- s. auch zum Bindungsumfang BGH, Beschluss vom 25.10.2012 – 1 StR 421/12, NStZ-RR 2013, 184[↩]











