Die Vermögensbetreuungspflicht des Stadtkämmerers – und die Spekulation mit Finanzderivaten

Die in § 266 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Vermögensbetreuungspflicht1 folgt für den Stadtkämmerer bzw. den (Ober-)Bürgermeister schon aus diesem Amt. Ihnen obliegt es aufgrund ihres Amtes im Rahmen ihrer jeweiligen Tätigkeit, die Finanzwirtschaft der Stadt gemäß den gesetzlich geregelten Haushaltsbestimmungen selbstständig zu führen, alle für eine geordnete Finanzwirtschaft erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und das Vermögen der Stadt vor Nachteilen zu bewahren.

Die Vermögensbetreuungspflicht des Stadtkämmerers – und die Spekulation mit Finanzderivaten

Diese Vermögensbetreuungspflichten haben sie verletzt, indem sie mit Finanzderivaten spekulierten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs konkretisiert sich der Maßstab der Sorgfaltspflicht, den ein kommunaler Entscheidungsträger bei Abschluss von Finanzgeschäften zu beachten hat, aufgrund der kommunalrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere dem für Gemeinden geltenden Spekulationsverbot, das sich als Teilaspekt des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit darstellt, wie folgt2: Ein Finanzgeschäft einer Kommune muss zunächst einen sachlichen und zeitlichen Bezug zu einem konkret vorhandenen oder aktuell neu abgeschlossenen Kreditvertrag dergestalt aufweisen, dass das mit dem Grundgeschäft verbundene Risiko durch das Finanzgeschäft in einer angemessenen Weise abgesichert oder optimiert wird (sachliche und zeitliche Konnexität). Trotz bestehender Konnexität ist der Abschluss eines Finanzgeschäfts aber auch dann pflichtwidrig, wenn das Risiko des Kapitalverlustes die Chance des Kapitalgewinns deutlich übersteigt, also keine günstige Relation zwischen angestrebtem Zweck und dafür eingesetzten Mitteln besteht, und dadurch die kommunale Aufgabenbindung und erfüllung nicht unerheblich gefährdet wird; dies kann insbesondere bei hochspekulativen Finanzgeschäften der Fall sein. Ein Finanzgeschäft darf weiterhin auch dann nicht abgeschlossen werden, wenn die Abwägungsentscheidung infolge von Informationsdefiziten oder Mängeln bei der Sachverhaltserfassung nicht richtig erfolgen konnte. Zudem darf die Entscheidung für das Finanzgeschäft nicht auf Erwägungen beruhen, die der kommunalrechtlichen Haushaltswirtschaft fremd sind. Schließlich dürfen konkrete Anweisungen der zur Aufsicht berufenen Stellen zu Art und Umfang des Geschäfts, Mindestkonditionen, Geschäftspartner etc. nicht zu Gunsten einer Chance auf höhere Kostenreduzierung missachtet werden; sofern diese Stellen umgangen werden, indiziert dies die Pflichtwidrigkeit.

Im hier entschiedenen Fall haben Oberbürgermeister und Stadtkämmerer gegen jedenfalls zwei dieser Anforderungen verstoßen: Zum einen hatten die verfahrensgegenständlichen Finanzderivate keinen ausreichenden Bezug zu den bisherigen Kreditverträgen, weil sie diesen weder hinsichtlich der Laufzeit entsprachen noch geeignet waren, genau deren konkrete Risiken abzusichern, sie im Gegenteil neue Risiken beinhalteten, etwa in Form der Fremdwährungskomponenten bei Tat 3. Zum anderen handelten die Angeklagten jeweils aus sachfremden Erwägungen heraus, da es ihnen nach den insoweit nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts vorrangig darum ging, anstehende Zahlungen in die Zukunft zu verschieben, um die bisherigen Verluste nicht offen legen zu müssen und Zeit zu gewinnen. Übergeordneter Zweck ihres Handelns war es, ihren Ruf zu wahren und ihre Amtsträgerschaft bzw. Wiederwahl nicht zu gefährden. Vor diesem Hintergrund gingen sie auf Vorschläge der beteiligten Banken für risikoärmere, aber mit sofortwirksamen Zahlungspflichten verbundene Lösungsvarianten nicht ein, sondern handelten stets nach der Prämisse, dass keinesfalls Zahlungen anfallen dürften.

Erforderlich für eine strafbare Untreue ist darüber hinaus jedoch, dass durch die verfahrensgegenständlichen Vertragsabschlüsse das Vermögen der Stadt etwa in Höhe der jeweiligen Gewinnmarge des Vertragspartnersgeschädigt wurde.

Ein dem betreuten Vermögen zugefügter Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB ist jede durch die Tathandlung verursachte Vermögenseinbuße. Die Vermögensminderung ist dabei nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung festzustellen; maßgeblich ist der Vergleich der Vermögenswerte unmittelbar vor und nach der pflichtwidrigen Verhaltensweise zu Lasten des betroffenen Vermögens3. Ein Nachteil liegt deshalb nicht vor, wenn durch die Tathandlung zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird. Werterhöhend kann auch eine vermögenswerte realistische Gewinnerwartung wirken4.

Ein Nachteil im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB kann als sog. Gefährdungsschaden auch darin liegen, dass das Vermögen des Geschädigten aufgrund der bereits durch die Tathandlung begründeten Gefahr des späteren endgültigen Vermögensabflusses in einem Maße konkret beeinträchtigt wird, dass dies schon zu diesem Zeitpunkt eine faktische Vermögensminderung begründet. Jedoch darf dann die Verlustwahrscheinlichkeit nicht so diffus sein oder sich in so niedrigen Bereichen bewegen, dass der Eintritt eines realen Schadens letztlich nicht belegbar bleibt. Voraussetzung ist vielmehr, dass unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls der Eintritt eines Schadens so naheliegend erscheint, dass der Vermögenswert aufgrund der Verlustgefahr bereits gemindert ist5. Unter diesen Voraussetzungen kann auch bereits in dem Abschluss wirtschaftlich nachteiliger Verträge eine vermögensnachteilsgleiche Vermögensgefährdung liegen6.

Da der Vermögensnachteil ein selbstständiges, neben der Voraussetzung der Pflichtverletzung stehendes Tatbestandsmerkmal darstellt, das nicht in dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit aufgehen darf (sog. Verschleifungsverbot)7, ist dieser – von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen abgesehen, etwa bei einem ohne weiteres greifbaren Mindestschaden – eigenständig zu ermitteln, anhand üblicher Maßstäbe des Wirtschaftslebens zu konkretisieren und zu beziffern8. Nach bilanzieller Betrachtungsweise liegt dabei beim Abschluss von ZinsswapVerträgen ein Nachteil in Höhe der zu bildenden Drohverlustrückstellungen (§ 249 HGB) vor, die nach dem Marktwert des Derivats zu bewerten sind9. Bei der Ermittlung des Marktwertes eines Anlageoder Derivatgeschäfts auf Grundlage der Höhe des konkreten Ausfallrisikos sowie des Wahrscheinlichkeitsgrades einer Gewinnerzielung unter Anwendung finanzmathematischer Berechnungen bzw. betriebswirtschaftlicher Bewertungskriterien hat sich das Tatgericht gegebenenfalls der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen10.

Nach diesen Maßgaben ist es nicht ausreichend, allein darauf abzustellen, dass der Abschluss der Finanzderivate dem Spekulationsverbot zuwidergelaufen sei, und zur Bezifferung der Vermögensnachteile die jeweiligen Gewinnmargen der Vertragspartner heranzieht, da diesen keine Gegenleistungen der Banken gegenüber gestanden hätten. Ein Schaden oder eine schadensgleiche Vermögensgefährdung wird so nicht hinreichend belegt.

Ein durch die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten bei der Stadt eingetretener Vermögensnachteil läge unter Beachtung der vorgenannten Rechtsprechung hinsichtlich der einzelnen Taten einerseits dann vor, wenn der jeweilige Vertragsschluss deshalb wirtschaftlich nachteilig für die Stadt gewesen wäre, weil das von dieser für den Vertragsabschluss erbrachte Entgelt (Gewinnmarge der Bank) in der im Vertragsschluss liegenden Gegenleistung des jeweiligen Finanzinstituts kein gleichwertiges Äquivalent gefunden hätte. Andererseits wäre von einem Vermögensnachteil der Stadt auszugehen, wenn der Wert des jeweils abgeschlossenen Finanzderivats hinter dem Wert der dadurch jeweils abgelösten Zahlungspflicht zurückgeblieben wäre.

Zur Ermittlung eines etwaigen Vermögensnachteils im erstgenannten Sinne hätte sich das Landgericht – insoweit wäre, soweit die Kammer nicht selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt, die Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens geboten gewesen – damit auseinander setzen müssen, ob die dem Finanzinstitut jeweils eingeräumte Gewinnmarge das marktübliche Entgelt für den Abschluss des jeweiligen Derivatvertrags sein könnte, so dass der jeweilige Vertragsabschluss und die damit eingeräumten Zahlungsaufschübe und Gewinnchancen als gleichwertige Gegenleistung für die eingeräumte Gewinnmarge zu verstehen ist. Die Strafkammer hat indes das Fehlen einer Gegenleistung der Banken für die ihnen jeweils eingeräumte Gewinnmarge ohne tragfähige Begründung unterstellt. Die Urteilsfeststellungen sind diesbezüglich auch nicht frei von Widersprüchen, da das Landgericht selbst hervorhebt, dass die Übernahme von Risiken und die Einräumung neuer Chancen durch ein Derivatgeschäft nicht „umsonst“ zu haben seien.

Für die Feststellung eines Nachteils in der zweitgenannten Form hätte das Landgericht demgegenüber den Wert der verfahrensgegenständlichen Finanzderivate zum Zeitpunkt der einzelnen Vertragsabschlüsse mit Hilfe konkreter Feststellungen zum Verlustrisiko und zum Wahrscheinlichkeitsgrad einer Gewinnerzielung unter Berücksichtigung der Vertragskosten ermitteln und das Ergebnis zum Wert der jeweils abgelösten Finanzgeschäfte ins Verhältnis setzen müssen. Nur soweit danach jeweils ein Minderwert vorgelegen hätte, wäre die Annahme eines Vermögensnachteils – ohne dass es auf den tatsächlichen Verlauf der Vertragsverhältnisse (noch) angekommen wäre – gerechtfertigt gewesen. Zum Wert der sich aus den verfahrensgegenständlichen Finanzderivaten ergebenden Ansprüche verhalten sich aber weder die Feststellungen noch die beweiswürdigenden Ausführungen des angefochtenen Urteils. Auch der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erweist sich insoweit als unergiebig.

Die Feststellung, dass die einzelnen Verträge mit theoretisch unbegrenzten Verlustrisiken verbunden gewesen seien, reicht insoweit zur Begründung eines Vermögensnachteils der Stadt jedenfalls nicht aus. Denn für eine tragfähige Feststellung des wirtschaftlichen Wertes der Verträge wäre darüber hinaus aufzuklären gewesen, wie hoch die jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten der Risiken einerseits und wie hoch auf der anderen Seite die Wahrscheinlichkeiten einer Gewinnerzielung waren. Nur auf dieser Grundlage wäre auch ein Vergleich des Wertes der einzelnen Finanzderivate möglich gewesen und könnte damit beurteilt werden, ob und inwiefern sich die schon zuvor schwierige finanzielle Lage der Stadt durch die einzelnen Restrukturierungsmaßnahmen tatsächlich weiter verschlechtert hat. Da sich im vorliegenden Fall etwa das zuvor unbegrenzte Verlustrisiko im Zuge des Wechels des Finanzinstituts auf ein „worstcase“Risiko von 147.000.000 € reduziert hat, versteht sich dies nicht von selbst.

Eine Bezifferung der jeweiligen Vermögensnachteile war vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (sog. Evidenzfall)11. Insbesondere ist nach den Urteilsfeststellungen nicht ausgeschlossen, dass die den Banken eingeräumten Gewinnmargen ein marktübliches Entgelt für den jeweiligen Vertragsschluss darstellten und die verfahrensgegenständlichen Umstrukturierungen bei wirtschaftlicher Betrachtung – maßgeblich für die Frage der Strafbarkeit der Angeklagten wegen Untreue ist dabei allein der Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses – unter Berücksichtigung der jeweils bestehenden Ausgangslage für die Stadt nicht nachteilig waren. Dass dies nicht von vornherein fernliegend ist, zeigt sich bereits daran, dass sich die abgeschlossenen Derivate ausweislich der Urteilsfeststellungen im weiteren Verlauf positiv entwickelten, wovon die Stadt aber wegen der diesbezüglich nachfolgenden Umstrukturierung nicht mehr profitieren konnte.

Sollte das neue Tatgericht – ggf. nach Einholung entsprechender Sachverständigengutachten – zu der Annahme gelangen, dass der Stadt durch das verfahrensgegenständliche Verhalten der Angeklagten Vermögensnachteile entstanden sind, wird es insbesondere in Anbetracht der im Jahr 2007 einsetzenden Finanzkrise ferner in den Blick zu nehmen haben, ob und inwieweit die Vermögensminderungen gerade auf dem pflichtwidrigen Verhalten der Angeklagten beruhten oder diese auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wären.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. September 2018 – 1 StR 194/18

  1. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21.02.2017 – 1 StR 296/16, BGHSt 62, 144, 147 f. Rn. 49 ff. mwN[]
  2. vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 21.02.2017 – 1 StR 296/16, aaO mwN[]
  3. st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11.12 2014 – 3 StR 265/14, BGHSt 60, 94, 109 f. Rn. 33; Beschlüsse vom 08.03.2017 – 1 StR 540/16, wistra 2017, 437, 438 Rn. 14; und vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, 304 Rn. 41 jeweils mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09, aaO mwN[]
  5. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 221 ff.; BGH, Urteil vom 21.02.2017 – 1 StR 296/16, BGHSt 62, 144, 154 f. Rn. 81 mwN[]
  6. BGH, Beschluss vom 26.11.2015 – 3 StR 17/15, wistra 2016, 314, 321 Rn. 62[]
  7. vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 221 ff.; BGH, Beschluss vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, 304 Rn. 43 mwN[]
  8. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21.02.2017 – 1 StR 296/16, BGHSt 62, 144, 155 Rn. 82; Beschlüsse vom 26.11.2015 – 3 StR 17/15, wistra 2016, 314, 321 Rn. 62; und vom 13.09.2010 – 1 StR 220/09, aaO jeweils mwN; BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 229[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 18.02.2009 – 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 202 f. Rn. 13; LG Augsburg, Urteil vom 14.05.2012 – 43 ff.; Schneider, wistra 2018, 281, 284; Bader/Wilkens, wistra 2013, 81, 84 f.; Gehrmann/Lammers, KommJur 2011, 41, 47; Graf/Jäger/Wittig/Waßmer, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl., § 266 StGB Rn.192[]
  10. BGH, Urteil vom 21.02.2017 – 1 StR 296/16, BGHSt 62, 144, 155 Rn. 82; vgl. auch LG Augsburg, aaO[]
  11. vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26.11.2015 – 3 StR 17/15, wistra 2016, 314, 321 Rn. 63 mwN[]