Heimtücke – und die Abwehrversuche des Tatopfers

Die Bewertung des Vorgehens des Täters als heimtückisch (§ 211 Abs. 2 2. Gruppe 1. Merkmal StGB) ändert sich nichts dadurch, dass das Tatopfer noch in der Lage war, mit bloßen Händen Abwehrversuche gegen die Messerstiche des Täters zu unternehmen.

Heimtücke – und die Abwehrversuche des Tatopfers

Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein „heimliches“ Vorgehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs1.

Ein solcher Fall ist zum Beispiel anzunehmen, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken2.

Mithin stehen Abwehrversuche, die der überraschte und in seinen Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkte Geschädigte im letzten Moment unternimmt, in solchen Konstellationen der Annahme von Heimtücke nicht entgegen3.

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So lag es hier: Der Täter lockte sowohl seine Ehefrau als auch deren Freundin W. in die Familienwohnung im 5. Stock, indem er beide darüber belog, er wolle ein Versöhnungsgespräch führen. Tatsächlich fasste er bereits zuvor den Tötungsvorsatz und schloss, um beiden Opfern jegliche Möglichkeit zur Flucht oder zum Hilferuf zu nehmen, die Wohnungstür ab und zog den Stecker des Telefonanschlusses. Derart in eine Falle gelockt, waren beide Tatopfer, die beim Messerangriff des Täters auf dem Ecksofa saßen, zu diesem Zeitpunkt überrascht und dem Angriff ausgeliefert. Die im rechtsmedizinischen Gutachten aufgezeigten kleineren Abwehrverletzungen ändern demnach nichts an der heimtückischen Vorgehensweise des Täters.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 3 StR 204/18

  1. siehe nur BGH, Urteil vom 03.09.2015 – 3 StR 242/15, NStZ 2016, 340, 341; Beschluss vom 28.06.2016 – 3 StR 120/16, NJW 2016, 2899, jeweils mwN[]
  2. siehe nur BGH, Urteil vom 17.01.1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f.; Beschlüsse vom 07.04.1989 – 3 StR 83/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8; vom 24.01.2017 – 2 StR 459/16 11[]
  3. st. Rspr.; siehe BGH, Urteile vom 22.08.1995 – 1 StR 393/95, NJW 1996, 471 [insoweit in BGHSt 41, 222 nicht abgedruckt]; vom 16.06.1999 – 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 03.09.2002 – 5 StR 139/02, NStZ 2003, 146, 147; vom 11.10.2005 – 1 StR 250/05, NStZ 2006, 96[]
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