Der Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland von ihrem Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-II-Verordnung Gebrauch gemacht hat und Asylsuchende, die sich zuvor in Griechenland aufgehalten haben und von dort direkt auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist sind, nicht nach Griechenland zurücküberstellt, lässt die Strafbarkeit eines ihre unerlaubte Einreise unterstützenden Schleusers unberührt.

Im vorliegenden Fall schleuste der Angeklagte im Jahr 2012 syrische Flüchtlinge, die sich illegal in Griechenland aufhielten und nicht im Besitz gültiger Personalpapiere waren, gegen Zahlung mehrerer Tausend Euro in das Bundesgebiet ein. Dabei verschafften sie oder ihre Mittäter den Flüchtlingen gefälschte Ausweise und organisierten ihre Weiterreise nach Deutschland. Die Flüchtlinge wurden auf dem Landweg über die Schweiz, Österreich oder Frankreich und in einigen Fällen auch direkt – per Linienflug – aus Griechenland in die Bundesrepublik verbracht.
Damit hat der Angeklagte anderen unter Verwirklichung von Schleusermerkmalen gewerbsmäßig dazu Hilfe geleistet hat, unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), und deshalb wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, § 53 StGB strafbar ist.
Alle von dem Angeklagten unterstützten syrischen Staatsbürger – auch die Minderjährigen [1] – sind ohne den nach § 3 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Pass und ohne den nach § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel (Sichtvermerk) in das Bundesgebiet eingereist. Ihre Einreise war damit unerlaubt im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG.
a Abs. 1 GG steht dieser Bewertung nicht entgegen. Denn die von dem Angeklagten unterstützten syrischen Staatsangehörigen sind nicht unmittelbar aus dem Verfolgerstaat (Syrien), sondern aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (Griechenland, Österreich) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und konnten sich schon deshalb nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf das Asylgrundrecht berufen [2].
Hieran ist auch in Bezug auf die unmittelbar aus Griechenland eingereisten Asylbewerber festzuhalten.
Nach dem vom verfassungsändernden Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG gewählten Konzept der sicheren Drittstaaten ist der persönliche Geltungsbereich des in Art. 16a Abs. 1 GG gewährten Asylgrundrechts auf Ausländer beschränkt, die nicht aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat eingereist sind, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 [3] – Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) – und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – vom 04.11.1950 [4] sichergestellt ist. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften hat der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm wie auch aus der Zielsetzung, die der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Drittstaatenregelung verfolgt, ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind. Der zweite Halbsatz in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG („… in dem die Anwendung … sichergestellt ist“) bezieht sich ausschließlich auf „den anderen Drittstaat“, mithin auf Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Ausländer in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften generell Schutz vor politischer Verfolgung und vor Weiterschiebung in einen Staat finden kann, in dem ihm politische Verfolgung oder sonstige menschenrechtswidrige Behandlung oder Bestrafung droht; nur für andere Staaten ist diese Annahme noch von der vorgängigen Prüfung abhängig, ob dort ein Schutz entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährt wird [5]. Auch für Griechenland als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ergibt sich damit der Status eines sicheren Drittstaates unmittelbar aus der Verfassung.
Der Umstand, dass zur Tatzeit keine Rücküberstellungen nach Griechenland gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin – II – VO) erfolgen durften, weil dort eine Umsetzung der Schutzmechanismen für Flüchtlinge entsprechend den Standards der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr gewährleistet war [6] und Deutschland deshalb in Bezug auf aus Griechenland eingereiste Asylbewerber von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin – II – VO Gebrauch gemacht hat, steht dem nicht entgegen [7]. Auch wenn Griechenland vor diesem Hintergrund zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Schleusungen nicht mehr uneingeschränkt als „sicherer Drittstaat“ im asylverfahrensrechtlichen Sinn einzuordnen war [8], hat sich dadurch die verfassungsrechtliche Ausgangslage nicht verändert.
Der Bundesgerichtshof braucht nicht zu entscheiden, ob die einer Rücküberstellung entgegenstehenden Defizite im griechischen Asylverfahren und das generelle Ausüben des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin – II – VO dazu geführt haben, dass die eingeschleusten Ausländer trotz ihres zwischenzeitlichen Aufenthalts in Griechenland als „Flüchtling“ im Sinne von § 95 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 31 Abs. 1 GFK einzustufen sind [9]. Zwar geht ein Flüchtling seines Schutzes durch Art. 31 Abs. 1 GFK grundsätzlich nicht schon dadurch verlustig, dass er aus einem Drittstaat einreist und nicht direkt aus dem Herkunftsstaat, sofern er diesen Drittstaat nur als „Durchgangsland“ nutzt und sich der Aufenthalt in diesem nicht schuldhaft verzögert [10]. Durch den Schutz des Art. 31 Abs. 1 GFK entstünde aber lediglich ein den Asylsuchenden betreffender persönlicher Strafaufhebungsgrund, der das bereits verwirklichte Unrecht der unerlaubten Einreise unberührt ließe und deshalb auf die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 1 AufenthG ohne Einfluss wäre [11].
Der Einwand, die noch im nichtöffentlichen Bereich der Flughäfen Frankfurt und München von der Bundespolizei kontrollierten syrischen Staatsangehörigen seien erlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, weil ihnen die Einreise von den kontrollierenden Bundespolizeibeamten zur Durchführung des Asylverfahrens nach § 18 Abs. 1, § 18a AsylVfG gestattet worden sei [12], geht fehl.
Für eine grenzpolizeiliche Einreisegestattung nach § 18 Abs. 1 AsylVfG war kein Raum, weil die angeführten Asylbewerber im Zeitpunkt der Kontrolle durch die Beamten der Bundespolizei bereits eingereist waren.
Der Begriff der Einreise bestimmt sich nach der Verordnung (EG) 562/2006 vom 15.03.2006 (Schengener Grenzkodex), die im Rahmen ihres Geltungsbereiches der nationalen Regelung in § 13 AufenthG vorgeht. Nach Art.20 Schengener Grenzkodex dürfen Binnengrenzen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Der damit verbundene Wegfall jedweder Grenzübergangskontrolle und der Abbau aller Grenzübergangsstellen führt dazu, dass sich der Grenzübertritt nicht mehr nach § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, sondern nach § 13 Abs. 2 Satz 3 AufenthG richtet. Ein Ausländer ist daher an einer Binnengrenze bereits dann eingereist, wenn er die Grenzlinie (physisch) überschritten und das Hoheitsgebiet des Zielstaates betreten hat [13]. Reist der Ausländer mit einem Binnenflug (Art. 2 Nr. 3 Schengener Grenzkodex) ein, gilt nach Art. 2 Nr. 1b Schengener Grenzkodex der „Flughafen“ als Binnengrenze. Dies hat zur Folge, dass der für die Vollendung der Einreise maßgebliche (physische) Grenzübertritt nicht schon mit dem Überfliegen der (geografischen) Grenzlinie stattfindet [14], sondern erst mit dem Betreten des Hoheitsgebietes des Zielstaates am Flughafen erfolgt [15]. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass der Passagier eines Binnenfluges (Art. 2 Nr. 3 Schengener Grenzkodex) auch schon in den öffentlichen Bereich des Flughafengeländes gelangt ist oder den Flughafenbereich verlassen hat. Beide Gesichtspunkte knüpfen an die in § 13 Abs. 2 Satz 1 AufenthG geregelte Grenzsituation an und setzen voraus, dass der Flughafen eine Grenzübergangsstelle ist, an der Grenzübertrittskontrollen stattfinden [16]. Dies ist aber nur bei ankommenden Flügen aus Drittstaaten der Fall, bei denen der Flughafen als Außengrenze gilt (Art. 2 Nr. 2 iVm Art. 2 Nr. 1b Schengener Grenzkodex) und Grenzübergangsstelle (Art. 2 Nr. 8 Schengener Grenzkodex) ist, nicht aber bei Binnenflügen [17].
Danach hatten die von dem Angeklagten eingeschleusten den Tat- bestand der unerlaubten Einreise im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG bereits vollständig verwirklicht, als sie im nichtöffentlichen Bereich der Flughäfen in Frankfurt/Main und München von Bundespolizeibeamten angetroffen wurden und erstmals ein Asylersuchen anbrachten.
Der Hinweis auf das sog. Flughafenverfahren nach § 18a AsylVfG verfängt ebenfalls nicht. Dieses Verfahren ist als Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise konzipiert [18] und kommt nicht mehr in Betracht, wenn – wie hier – die Einreise bereits vollendet ist [19].
Der Umstand, dass die Beamten der Bundespolizei in allen Fällen nach der Feststellung der pass- und aufenthaltstitellosen Einreise keine aufenthaltsbeenden Maßnahmen (Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 iVm Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG, § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) veranlasst haben, hat den aufgrund ihrer Einreise aus einem sicheren Drittstaat von der grundrechtlichen Asylgewährung nach Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossenen Ausländern zwar nach § 26a Abs. 1 Satz 3 iVm § 18 Abs. 4 Nr. 2 AsylVfG einen einfachgesetzlichen Zugang zum Asylrecht eröffnet [20]. An der zu diesem Zeitpunkt bereits vollendeten unerlaubten Einreise ändert dies aber nichts [21].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Februar 2015 – – 4 StR 233/14
- vgl. dazu BayObLG, NStZ-RR 2003, 275, 276[↩]
- vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 02.03.2010 – 4 Ss 1558/09 9 m. Anm. Senge, jurisPR-StrafR 20/2010 Anm. 2; OLG Köln, NStZ-RR 2004, 24 f.; BayObLG, BayObLGSt 1998, 172, 173; BVerwG, NVwZ 1992, 682, 684; NVwZ 1984, 591; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 183 ff.; Stoppa in: Huber, AufenthG, § 95 Rn. 354 mwN[↩]
- BGBl. II 1953, S. 560[↩]
- BGBl. II 1952, S. 953[↩]
- BVerfGE 94, 49, Rn. 159; vgl. BT-Drs. 12/4152, S. 4[↩]
- vgl. EGMR (GK), NVwZ 2011, 413 [Verstoß gegen Art. 3 und 13 EMRK]; EuGH, NVwZ 2012, 417; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 08.12 2014 – 2 BvR 450/11 29; NVwZ 2010, 318; BGH, Beschluss vom 25.02.2010 – – V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726, Rn. 26; BVerwG, EZAR NF 65 Nr. 14, S. 3; Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 409[↩]
- a.A. Schott-Mehring, ZAR 2014, 142, 146 ff.; Schott, Einschleusen von Ausländern, 2. Aufl., S. 187 f.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12 2014 – 2 BvR 450/11 29[↩]
- vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 08.12 2014 – 2 BvR 450/11 29; siehe auch OLG Köln, NStZ-RR 2004, 24[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12 2014 – 2 BvR 450/11 31 mwN[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 08.12 2014 – 2 BvR 450/11 22; BGH, Beschluss vom 25.03.1999 – 1 StR 344/98, NStZ 1999, 409 zu § 92 Abs. 4 AuslG; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 95 AufenthG Rn. 68; Gericke in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 118[↩]
- vgl. BeckOK-AuslR/Hohoff, 6. Edition, AufenthG, § 95 Rn. 33; Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 53[↩]
- vgl. BeckOK-AuslR/Dollinger, 6. Edition, AufenthG, § 13 Rn. 9; Fränkel in HK-AuslR, § 13 AufenthG Rn.20; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2014, § 13 AufenthG Rn. 18; Ritter, ZAR 2000, 69; Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137, 2138[↩]
- so aber Stoppa in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 95 Rn. 117[↩]
- vgl. OLG München, EZAR NF 57 Nr. 10; GK-Aufenthaltsgesetz/Mosbacher, § 95 Rn. 99[↩]
- vgl. Westphal in Huber, Aufenthaltsgesetz, § 13 Rn. 17[↩]
- zur notwendigen Trennung der Passagierströme aus ankommenden Binnenflügen und Flügen aus Drittstaaten vgl. Anhang – VI Nr. 2.01.1 zum Schengener Grenzkodex; Nanz, ZAR 1994, 99, 101; Haas, Die Schengener Abkommen und ihre strafprozessualen Implikationen, 2001, S. 52 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93, NVwZ 1996, 678, 680 f.[↩]
- OLG München, EZAR NF 57 Nr. 10; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2014, § 18a AsylVfg Rn. 42; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 195. Ergänzungslieferung 2013, § 18a AsylVfG Rn. 3[↩]
- vgl. Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 10; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Ergänzungslieferung 2013, § 26a AsylVfG Rn. 8; Schmidt-Sommerfeld in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 26a AsylVfG Rn. 2[↩]
- vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 06.05.2010 – – V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 8[↩]