Abschiebehaft – und die umfassende Prüfungspflicht der Gerichte

Die Haftgerichte sind auf Grund von Art.20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich und auf Grund von § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen.

Abschiebehaft – und die umfassende Prüfungspflicht der Gerichte

Die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen.

Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht1.

Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen2.

Hiernach hätte in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Haft bis längstens 23.10.2015 angeordnet bzw. aufrechterhalten werden dürfen:

Die beteiligte Behörde hatte zwar Haft bis zum 11.11.2015 beantragt, aber dargelegt, dass sie für die Beschaffung der Passersatzpapiere, die am 18.09.2015 veranlasst werde, einen Zeitraum von drei Wochen benötige und dass nach Vorliegen der Ausreisedokumente unverzüglich die Abschiebung nach Vietnam vollzogen werden könne. Im Hinblick auf die Verpflichtung zur Begrenzung der Haft auf den kürzest möglichen Zeitraum (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) durfte das Amtsgericht unter Berücksichtigung des erforderlichen Vorbereitungszeitraums und eines zeitlichen Puffers für allfällige Verzögerungen keine Haft über den 23.10.2015 hinaus anordnen. Dass das Amtsgericht zusätzliche Erkenntnisse gewonnen hätte, die eine längere Haft gerechtfertigt hätten, lässt sich seinem Beschluss nicht entnehmen. Es referiert dort lediglich den Vortrag der Behörde, der keine ausreichende tatsächliche Grundlage für die Anordnung einer längeren Haft bot.

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Das Beschwerdegericht hätte die über den 23.10.2015 hinaus angeordnete Haft nicht aufrechterhalten dürfen, sondern hätte sie nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen für den Zeitraum danach aufheben müssen. Es hat nämlich lediglich Bezug auf den Beschluss des Amtsgerichts genommen, ohne die erforderlichen Feststellungen zur Dauer der Haft nachzuholen. Durch dieses Vorgehen wurde die angeordnete Haft für diesen Zeitraum zu einer Vorratshaft, die das Gesetz nicht zulässt3.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Januar 2017 – V ZB 144/15

  1. BVerfGK 15, 139, 144 f.; BGH, Beschluss vom 16.06.2016 – V ZB 12/15, InfAuslR 2016, 429 Rn. 14; Beschluss vom 20.10.2016 – V ZB 167/14, Rn. 9 mwN[]
  2. BGH, Beschluss vom 16.06.2016 – V ZB 12/15, InfAuslR 2016, 429 Rn. 14; Beschluss vom 20.10.2016 – V ZB 167/14, Rn. 9 mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 09.06.2011 – V ZB 26/11 8; Beschluss vom 04.12 2014 – V ZB 77/14, BGHZ 203, 323 Rn. 6[]