Enteignungsentschädigung und der straßenrechtliche Planfeststellungsbeschluss

Ein Anspruch auf eine „echte“ Enteignungsentschädigung unterliegt hinsichtlich seines Umfangs keiner Beschränkung oder Ausschlusswirkung des straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses1. Der fachplanungsrechtliche Ausgleichsanspruch aufgrund der Planfeststellung und die Enteignungsentschädigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG stehen nebeneinander. Verlangt der Eigentümer die Erfüllung beider Ansprüche, ist das Verbot einer Doppelentschädigung zu beachten.

Enteignungsentschädigung und der straßenrechtliche Planfeststellungsbeschluss

Zum Verhältnis zwischen der Planfeststellung und den dort möglichen Entschädigungsansprüchen nach § 19 Abs. 5 FStrG in Verbindung mit den einschlägigen landesrechtlichen Enteignungsgesetzen beziehungsweise nach § 74 Abs. 2 VwVfG hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass ein Anspruch auf eine „echte“ Enteignungsentschädigung hinsichtlich seines Umfangs keiner Beschränkung wegen einer Ausschlusswirkung des straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses unterliegt2. Ein solcher Enteignungsentschädigungsanspruch entsteht aufgrund des Zugriffs auf die für die Ausführung des Straßenbauvorhabens benötigten Grundstücke, der auch auf der Grundlage der Planfeststellung die Einigung mit dem Rechtsinhaber oder die Durchführung einer Enteignung voraussetzt. Der Ausschluss privater Rechte bei einem unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschluss zielt demgegenüber auf Ansprüche aus Besitz oder Eigentum an den nicht für das Vorhaben benötigten, aber durch dessen Auswirkung beeinträchtigten Grundstücken. Daraus folgt, dass der Planfeststellungsbeschluss keine Verbindlichkeit für das gegebenenfalls nachfolgende Enteignungs(entschädigungs)verfahren hat. Das gilt unbeschadet dessen, dass der Planfeststellungsbeschluss nach dem Grundsatz der Problembewältigung und im Hinblick auf mögliche enteignungsgerichtliche Vorwirkungen auch die Notwendigkeit und Folgen einer Enteignung erörtern muss, soweit das Vorhaben sich möglicherweise nicht ohne eine Enteignung von Grundeigentum verwirklichen lässt3.

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Demgemäß stehen der fachplanungsrechtliche Ausgleichsanspruch aufgrund der Planfeststellung und die Enteignungsentschädigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG nebeneinander. Verlangt der Eigentümer die Erfüllung beider Ansprüche, ist das Verbot einer Doppelentschädigung (siehe Art. 11 Abs. 1 Satz 1 BayEG) zu beachten4.

Auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.01.19995 ergibt sich nichts anderes. Der Bundesgerichtshof hat im damaligen Fall ausgeführt, dass ein Anspruch aus einem enteignenden Eingriff im Hinblick auf Schallschutzmaßnahmen nicht in Betracht komme, da insoweit der fachplanungsrechtliche Ausgleichsanspruch gegebenenfalls im Wege von Rechtsmitteln gegen den Planfeststellungsbeschluss hätte geltend gemacht werden müssen. Dabei handelte es sich nicht um eine Enteignungsentschädigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, was der Bundesgerichtshof in der angegebenen Entscheidung ausdrücklich seinen Ausführungen vorausgeschickt hat6.

Da die Kläger vorliegend eine Enteignungsentschädigung begehren, ist es auch ohne Belang, dass nach der – im Anschluss an das BGH-Urteil vom 21.01.1999 ergangenen – Rechtsprechung des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs neben den im Planfeststellungsverfahren eröffneten Rechtsbehelfen für Ansprüche (privater) Dritter nach § 906 BGB grundsätzlich kein Raum ist7.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 Nr. 2, Art. 11 Abs. 1 Satz 1 BayEG i.V.m. § 19 Abs. 5 FStrG steht den Klägern ein Anspruch auf eine Entschädigung für andere durch die Enteignung eintretende Vermögensnachteile zu. Wie der Bundesgerichtshof zum Inhaltsgleichen § 96 Abs. 1 Satz 1 BauGB entschieden hat, können über die Substanzentschädigung hinaus Folgeschäden entschädigt werden, die ohne dinglichen Wertbezug durch die Enteignung unmittelbar oder zwangsnotwendig begründet werden, wobei auch hier nur rechtlich geschützte konkrete Werte und nicht bloße wirtschaftliche Interessen, Erwartungen oder Chancen dem Eigentumsschutz unterliegen. Die individuellen Nachteile, die nicht allgemein jeden betreffen, müssen als Folge der Enteignung in Erscheinung treten8. Für die Beeinträchtigung eines Restgrundstücks nach einer Teilenteignung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass der dadurch erwachsene Schaden nicht durch die erzwungene Abtretung des Teilgrundstücks unmittelbar herbeigeführt zu sein braucht; vielmehr genügt es, wenn die Schadensursache nur in dem ganzen Unternehmen liegt, für das es enteignet wurde9.

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Vorliegend machen die Kläger geltend, die Vermietbarkeit ihrer Häuser auf der nicht von der Enteignung betroffenen Teilfläche ihres Grundstücks sei beeinträchtigt. Die Vermietbarkeit eines Hauses gehört zu den eigentumsrechtlich geschützten Rechtspositionen10.

Maßstab für die Höhe der Entschädigung ist, ob und in welchem Maße die mit dem Betrieb der Straße aufgrund der Verlegung ihrer Führung über den von der Enteignung betroffenen Grundstücksteil verbundenen Nachteile stärker auf den dem Eigentümer verbliebenen Restbesitz einwirken, als dies ohne Enteignung der entsprechenden Flächen der Fall gewesen wäre. Es ist dabei zu berücksichtigen, ob und in welchem Maße die von der Enteignung betroffenen Flächen die Möglichkeit geboten hätten, den Grundbesitz gegen diese Einwirkung abzuschirmen und ob ein Wegfall der „Schutzzone“ zu einer spürbaren Beeinträchtigung des übrigen Eigentumsrechts geführt hat11. Der Bundesgerichtshof hat dabei die Grenze der noch entschädigungslos hinzunehmenden Geräuschbelastung aufgrund der Umstände des Einzelfalls bestimmt und es zugelassen, dass Richtwerte, die in Verwaltungsvorschriften angegeben oder im Schrifttum befürwortet werden, als Orientierungshilfe herangezogen werden12. Sollte deshalb durch die Verlegung der Straße von einem Abstand von 12,50 m auf 2,50 m eine Steigerung der Lärmbelastung in spürbarer Weise festzustellen sein, was zur Folge hat, dass die Kläger Mietminderungen ihrer Mieter ausgesetzt werden, wird ein Anspruch auf eine Entschädigung bestehen. Es gilt jedoch der Grundsatz, dass die Auswirkungen eines Enteignungsunternehmens, das auf dem abgetretenen Teilstück eines Grundstücks durchgeführt wird, einen enteignungsrechtlichen Entschädigungsanspruch nur begründen, wenn die Auswirkungen oder Belästigungen, die das Enteignungsunternehmen mit sich bringt, das Maß dessen überschreiten, was ein Nachbar – am Maßstab des § 906 BGB gemessen – ohne Ausgleich hinnehmen muss13.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. September 2012 – III ZR 264/11

  1. Anschluss an BGH, Urteile vom 15.02.1996 – III ZR 143/94, BGHZ 132, 63; und vom 21.01.1999 – III ZR 168/97, BGHZ 140, 285[]
  2. BGH, Urteile vom 15.02.1996 – III ZR 143/94, BGHZ 132, 63, 69 und vom 21.01.1999 – III ZR 168/97, BGHZ 140, 285, 290[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1999 aaO S. 290 f[]
  4. vgl. Aust in Aust/Jakobs/Pasternak, Die Enteignungsentschädigung, 6. Aufl., Rn. 779[]
  5. BGH, aaO[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1999 aaO S. 293[]
  7. BGH, Urteil vom 30.10.2009 – V ZR 17/09, NJW 2010, 1171 Rn. 15 ff mwN[]
  8. BGH, Urteil vom 11.10.2007 – III ZR 298/06, BGHZ 174, 25, Rn.19 mwN[]
  9. vgl. BGH, Urteile vom 04.10.1973 – III ZR 138/71, BGHZ 61, 253, 254; vom 01.12.1977 – III ZR 130/75, DVBl 1978, 374, 375; vom 21.01.1999 – III ZR 168/97, NJW 1999, 1247, 1250, insoweit in BGHZ 140, 285 nicht abgedruckt[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 28.11.2007 – III ZR 114/07, NVwZ 2008, 348[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 06.03.1986 – III ZR 146/84, NJW 1986, 2424, 2425[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 06.03.1986 aaO[]
  13. vgl. BGH, Urteile vom 20.03.1975 – III ZR 215/71, BGHZ 64, 220, 222; vom 07.05.1981 – III ZR 67/80, BGHZ 80, 360, 362 f; vom 01.12.1977 – III ZR 130/75, DVBl.1978, 374, 375; vom 14.07.1977 – III ZR 41/75, NJW 1978, 318, 319[]
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