Studenten – und die Rundfunkbeitragspflicht

Das Bundesverfassungsgericht hat vor zehn Jahren mit zwei Beschlüssen den aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 1 GG (Schutz des Existenzminimums) und aus Art. 3 Abs. 1 GG fließenden verfassungsrechtlichen Maßstab für die Härtefall-befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht aus Gründen des geringen Einkommens aufgestellt1

Studenten – und die Rundfunkbeitragspflicht

Danach muss ein den sozialrechtlichen Regelleistungen entsprechendes Einkommen (Existenzminimum) zur Begleichung des Rundfunkbeitrags nicht eingesetzt werden. Die einer einkommensschwachen Person dennoch versagte Befreiung verstößt – im Vergleich zu den nach dem damaligen Rundfunkgebührenstaatsvertrag aus Einkommensgründen befreiten Personengruppen – gegen Art. 3 Abs. 1 GG, ohne dass der Staatsvertrag selbst verfassungswidrig wäre2

Die Härtefallklausel ermöglicht dem Rechtsanwender in einem solchen Fall eine das Existenzminimum schonende Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, auch ohne dass ein normierter Befreiungstatbestand erfüllt ist3.

Aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 1 GG folgt, dass ein nachweislich den sozialrechtlichen Regelleistungen entsprechendes oder sogar noch unterschreitendes Einkommen zur Begleichung von Rundfunkbeiträgen nicht eingesetzt werden muss4. Die Regelleistungen schützen und gewährleisten ein menschenwürdiges Existenzminimum, das sowohl die physische Existenz als auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sichert5.

3 Abs. 1 GG gebietet seinerseits, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Bei der Anwendung des Gleichheitssatzes ist daher zunächst zu fragen, ob eine Person oder Gruppe durch die als gleichheitswidrig angegriffene Vorschrift anders gestellt wird als eine andere Personengruppe, die man ihr als vergleichbar gegenüberstellt6. Das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt auch für ungleiche Begünstigungen7. Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt, einem anderen Personenkreis die Begünstigung aber vorenthalten wird8.

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Der Student wird durch die angegriffenen Entscheidungen gegenüber anderen finanziell bedürftigen Personen benachteiligt, denen die Zahlung des Rundfunkbeitrags aus ihren sozialrechtlichen Regelleistungen nicht zugemutet wird, weil diese das Existenzminimum schützen. Sowohl der WDR als auch das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht haben eine Härtefallbefreiung des Studenten von vornherein abgelehnt, ohne die Höhe seines Einkommens und das Vorhandensein von Vermögen zu überprüfen. Nach dem Vortrag des Studenten – etwa zu dem aufgenommenen Kredit bei der KfW – war aber davon auszugehen beziehungsweise jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Höhe seines Einkommens in dem streitgegenständlichen Zeitraum unterhalb der sozialrechtlichen Regelsätze lag.

Durch die versagte Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wurde der Student, der von einer bescheidgebundenen Befreiung gemäß § 4 Abs. 1 RBStV mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen war, gegenüber solchen Personen benachteiligt, die gemäß § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag von der Beitragspflicht zu befreien sind, weil sie einen Anspruch auf Sozial-leistungen haben und ihren das Existenzminimum schützenden Regelsatz zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehungsweise der Sozialhilfe nach dem SGB XII nicht zur Begleichung des Rundfunkbeitrags aufwenden müssen9. Beide Personengrup-pen sind in Bezug auf ihre finanzielle Bedürftigkeit miteinander vergleichbar, weil das dem Studenten zur Verfügung stehende Einkommen seiner Höhe nach mit den sozialrechtlichen Regelsätzen vergleichbar ist beziehungsweise es sogar noch unterschreitet10.

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Diese Schlechterstellung des Studenten gegenüber den nach § 4 Abs. 1 RBStV auf Antrag von der Beitragspflicht befreiten Personengruppen beruht am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG auf keinem sachlichen Grund. Sie findet ihre sachliche Rechtfertigung insbesondere nicht in der Möglichkeit, aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu generalisieren, zu typisieren und zu pauschalieren11. Hierzu wäre unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, dass die mit der Typisierung verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist12.

Diese kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Für den Studenten liegt schon ein intensiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, für dessen Beurteilung insbesondere die Beitragsbelastung maßgeblich ist13. Zwar ist der Betrag eines Rundfunkbeitrags absolut nicht sehr hoch. Er stellt aber für den Studenten, der seinen Lebensunterhalt nach eigenen, ungeprüften Angaben aus einem Einkommen unterhalb der zur Deckung des Existenzminimums konzipierten sozialrechtlichen Regelleistungen5 bestreitet, eine intensive Belastung dar14.

Das in § 4 Abs. 7 RBStV verankerte System der so genannten bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit dient zwar der Verwaltungsvereinfachung, weil es den Rundfunkanstalten grundsätzlich eine Bedürftigkeitsprüfung erspart. Wegen der verfassungsrechtlichen Grenzen der Typisierung kann es allerdings nicht so weit reichen, dass die Rundfunkanstalten auch im Anwendungsbereich der Härtefallklausel des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV von einer Bedürftigkeitsprüfung generell absehen könnten. Bei nachweislich einkommensschwachen Beitrags-schuldnern sind sie vielmehr gehalten, im Rahmen ihrer Prüfung eines besonderen Härtefalls eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen15.

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Der Student musste für eine Härtefallbefreiung insbesondere auch nicht, wie nach der der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen damals verlangt, vorrangig Leistungen nach § 7 Abs. 5 in Verbindung mit § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der bis zum 31.07.2016 gültigen Fassung beantragen und in Anspruch nehmen. Diese vom Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV nicht erfassten Vorschriften sehen vor, dass in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts, gegebenenfalls als Darlehen, geleistet werden können.

Denn die maßgebliche (Verfassungsgerichts-)Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG und der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht als Härtefall16 gilt unabhängig davon, ob ein Betroffener dem Grunde nach einer der in § 4 Abs. 1 RBStV katalogisierten Bedürftigkeitsgruppen unterfällt, aber deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt, oder aber einer Personengruppe angehört, deren Bedürftigkeit der Rundfunkgesetzgeber in § 4 Abs. 1 RBStV von vornherein nicht erfasst hat. Maßgeblich ist allein, dass ein Betroffener nur über ein den sozialrechtlichen Regelsätzen entsprechendes oder sie unterschreitendes Einkommen verfügt und nicht auf Vermögen zurückgreifen kann. Ob das der Fall ist, ist im Rahmen der eröffneten Härtefallprüfung von der Rundfunkanstalt festzustellen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 BvR 2513/18

  1. vgl. BVerfGK 19, 181 <184 ff.> BVerfG, Beschluss vom 30.11.2011 – 1 BvR 3269/08 u.a., Rn. 14 ff.[]
  2. vgl. BVerfGK 19, 181 <184 ff.>[]
  3. vgl. BVerfGK 19, 181 <185 f.>[]
  4. vgl. BVerfGK 19, 181 <185> BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, Rn. 25[]
  5. vgl. BVerfGE 125, 175 <228> 152, 68 <113 Rn. 119>[][]
  6. vgl. BVerfGE 22, 387 <415> 52, 277 <280>[]
  7. vgl. BVerfGE 79, 1 <17> 110, 412 <431>[]
  8. vgl. BVerfGE 110, 412 <431> 121, 108 <119>[]
  9. vgl. BVerfGK 19, 181 <185> BVerfG, Beschluss vom 30.11.2011 – 1 BvR 3269/08 u.a., Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, Leitsatz 3, Rn. 22 ff.[]
  10. vgl. BVerfGK 19, 181 <184> BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, Rn. 26[]
  11. vgl. BVerfGE 100, 138 <174> 103, 310 <319> 112, 268 <280>[]
  12. vgl. BVerfGE 100, 138 <174> 103, 310 <319> BVerfGK 19, 181 <185> stRspr[]
  13. vgl. BVerfGE 63, 119 <128> 84, 348 <360>[]
  14. vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.11.2011 – 1 BvR 3269/08 u.a., Rn.19[]
  15. vgl. BVerfGK 19, 181 <185> BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, Rn. 27[]
  16. vgl. BVerfGK 19, 181 <184 ff.> BVerfG, Beschluss vom 30.11.2011 – 1 BvR 3269/08 u.a., Rn. 14 ff.; BVerwG, Urteil vom 30.10.2019 – 6 C 10.18, Leitsatz 3, Rn. 22 ff.[]
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