Wenn’s der Gesetzgeber eilig hat – oder: 2 Tage reichen

Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat in einem von Abgeordneten der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag beantragten abstrakten Normenkontrollverfahren entschieden, dass das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2023 und das Haushaltsbegleitgesetz zum zweiten Nachtragshaushalt 2023 mit der Niedersächsischen Verfassung vereinbar sind.

Wenn’s der Gesetzgeber eilig hat – oder: 2 Tage reichen

Die antragstellenden Abgeordneten der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag haben die Feststellung begehrt, dass das Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2022/2023 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2023) vom 3. Mai 2023 (Nds. GVBl. S. 75) und das Haushaltsbegleitgesetz zum zweiten Nachtragshaushalt des Haushaltsjahres 2023 vom 3. Mai 2023 (Nds. GVBl. S. 80) mit der Niedersächsischen Verfassung (NV) unvereinbar und deshalb nichtig sind. Ihr Recht auf gleichberechtigte Beteiligung am parlamentarischen Entscheidungsprozess sei im Gesetzgebungsverfahren durch eine unangemessen kurze Beratungsdauer im Haushaltsausschuss verletzt worden. Eine ausreichende Durchdringung der von den Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zwei Tage vor der abschließenden Ausschussberatung eingebrachten Änderungsvorschläge zu den Gesetzentwürfen sei nicht möglich gewesen.

Der Antrag hatte vor dem Staatsgerichtshof keinen Erfolg. Verfahrensmängel im Gesetzgebungsverfahren, die zur formellen Verfassungswidrigkeit der zur Überprüfung gestellten Haushaltsgesetze führen, lagen nach Ansicht der Verfassungsrichter nicht vor:

Der Status der Gleichheit der Abgeordneten aus Art. 12 und Art. 19 Abs. 2 Satz 1 NV garantiert das Recht aller Abgeordneten, gleichermaßen an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken. Die gleichberechtigte Teilhabe umfasst das Recht, sich über den Beratungsgegenstand auf der Grundlage ausreichender Informationen eine eigene Meinung bilden und davon ausgehend an der Beratung und Beschlussfassung des Parlaments mitwirken zu können.

Nicht jede Verletzung der originär im Innenverhältnis zum Landtag bestehenden Abgeordnetenrechte bewirkt aber die formelle Nichtigkeit der vom Landtag beschlossenen Gesetze. Diese Rechtsfolge tritt nur ein, wenn der Gesetzesbeschluss nicht mehr in einem demokratischen Anforderungen genügenden Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen ist, sondern auf einer missbräuchlichen Verfahrensgestaltung beruht. Maßgeblicher Bezugspunkt der insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung ist dabei die Schlussabstimmung im Plenum, denn erst dort wird der Gesetzesinhalt vom Landtag rechtsverbindlich festgestellt. Eine Verletzung von Abgeordnetenrechten in früheren Phasen des Gesetzgebungsverfahrens, etwa in der Phase der Ausschussberatungen, führt deshalb im Regelfall nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.

Wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus sind hingegen verletzt, wenn die Parlamentsmehrheit im Plenum ohne jeden Sachgrund ein Gesetzgebungsverfahren beschleunigt oder in manipulativer Absicht in der Plenardebatte Teilhaberechte der Abgeordneten abschneidet, etwa zur Unterbindung einer kritischen Debatte zu Zielsetzung und Regelungsgehalt eines Gesetzes oder mit dem Ziel, eine gesetzliche Regelung vor den Augen der Öffentlichkeit zu verstecken. Dasselbe gilt, wenn den Abgeordneten vor dem Gesetzgebungsakt im Plenum nur eine evident unzureichend bemessene Zeitspanne zur Vorbereitung auf die Plenarsitzung und zur Auseinandersetzung mit der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses geblieben ist. Dann beschränkt sich die Rechtsverletzung nicht mehr auf den innerparlamentarischen Bereich, sondern infiziert zugleich den Gesetzgebungsakt im Außenverhältnis, weil es diesem an der erforderlichen demokratischen Legitimation fehlt. Die Verletzung von Abgeordnetenrechten unterhalb dieser Schwelle kann im Rahmen eines Organstreitverfahrens geltend gemacht werden.

Ob die vorliegend knapp bemessene Vorbereitungszeit in der Ausschussberatung Abgeordnetenrechte verletzt hat, konnte dahinstehen. Die maßgebliche abschließende Beratung und Beschlussfassung im Plenum entsprachen den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Sie fanden entsprechend § 29 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtags (GO LT) frühestens am zweiten Tag nach der Verteilung der Beschlussempfehlung des vorbereitenden Ausschusses statt. Die Änderungsvorschläge waren nicht übermäßig umfangreich und von durchschnittlicher Komplexität; liegen – wie vorliegend – auch sonst keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, indiziert die Einhaltung der von den Abgeordneten auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 NV autonom beschlossenen Geschäftsordnung die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Niedersächsischer Staatsgerichtshof, Urteil vom 14. August 2025 – StGH 1/24

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