Ist dem Architekten bekannt, dass die Parteien des Bauvertrages eine Vertragsstrafenabrede getroffen haben oder hätte ihm dies bekannt sein müssen, gehört es zu seinen Beratungs- und Betreuungspflichten, durch nachdrückliche Hinweise an den Bauherrn sicherzustellen, dass bei einer förmlichen Abnahme der erforderliche Vertragsstrafenvorbehalt nicht versehentlich unterbleibt, es sei denn, der Auftraggeber besitzt selbst genügende Sachkenntnis oder ist sachkundig beraten.

Die Pflichtverletzung des Architekten besteht vorliegend darin, dass er es bei der Abnahme versäumt hat, die Geltendmachung der Vertragsstrafe vorzubehalten bzw. den Bauherrn auf diese Notwendigkeit hinzuweisen. Auf Grund dieser Pflichtverletzung konnte der Bauherr seinen Vertragsstrafenanspruch gegen die bauausführende Firma S. nicht durchsetzen.
Nach § 11 Nr. 4 VOB/B kann der Auftraggeber die Vertragsstrafe aber nur dann geltend machen, wenn er sie sich bei der Abnahme vorbehält. Nach einhelliger Auffassung kann der für den Auftraggeber tätige bauleitende Architekt nicht ohne weiteres als zur Geltendmachung des Vertragsstrafenvorbehalts bevollmächtigt angesehen werden, da die Vertragsstrafe in erster Linie Vermögensinteressen des Auftraggebers betrifft und mit der Bauleistung und damit auch mit der Tätigkeit des Architekten unmittelbar nichts zu tun hat1. Soll der Architekt dennoch den Vorbehalt der Vertragsstrafe erklären, so bedarf es dazu einer besonderen Bevollmächtigung durch den Auftraggeber. Dabei reicht eine spezielle Vollmacht für die rechtsgeschäftliche Abnahme, die dann die Vollmacht zum Vorbehalt der Vertragsstrafe umfasst2. Der übliche Architektenvertrag, der auf das in § 15 HOAI beschriebene Leistungsbild abstellt, ersetzt die Vollmacht zur Geltendmachung des Vertragsstrafenvorbehalts aber nicht2. Dazu, dass dem Architekten eine derartige Vollmacht erteilt worden ist, fehlt, jedenfalls für den von der Bauherrin behaupteten Abnahmetermin 17.03.1999, der entsprechende Vortrag.
Bestand eine solche Vollmacht nicht, kommt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung des Architekten dann in Betracht, wenn er in diesem Zusammenhang eine Beratungspflicht verletzt hat. Ist dem Architekten bekannt, dass die Parteien des Bauvertrages eine Vertragsstrafenabrede getroffen haben oder hätte ihm dies bekannt sein müssen, gehört es nach wohl überwiegender Ansicht zu den Beratungs- und Betreuungspflichten des Architekten, durch nachdrückliche Hinweise an den Bauherrn sicherzustellen, dass bei einer förmlichen Abnahme der erforderliche Vertragsstrafenvorbehalt nicht versehentlich unterbleibt, es sei denn, der Auftraggeber besitzt selbst genügende Sachkenntnis oder ist sachkundig beraten3. Der BGH führt in der genannten Entscheidung dazu aus, dass der Architekt als geschäftlicher Oberleiter, sachkundiger Berater und Betreuer des Bauherrn auf dem Gebiete des Bauwesens nicht unerhebliche Kenntnisse des Werkvertragsrechts, des Bürgerlichen Gesetzbuches und der entsprechenden Vorschriften der VOB/B besitzen muss. Dazu gehöre auch, dass eine Vertragsstrafe nach § 341 Abs 3 BGB, § 11 Nr 4 VOB/B bei der Abnahme vorbehalten werden muss4.
Allerdings wird auch vertreten, dass eine solche Hinweispflicht zu weitgehend sei, da dem Architekten heute zugestanden werde, für bestimmte Bereiche (z.B. Statik, Klimatechnik, Akustik) Sonderfachleute hinzuzuziehen, weil Spezialkenntnisse von ihm insoweit nicht mehr gefordert werden könnten. Deshalb sei der Schluss gerechtfertigt, dass die vom Bundesgerichtshof vertretene Ansicht einen zu strengen Maßstab anlege, wenn sie von dem Architekten Spezialkenntnisse in einer ihm fremden Disziplin verlange5.
Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen folgt der vorgenannten Auffassung nicht. Bei den dort6 angeführten Beispielen aus der Technik, bei denen dem Architekten mangels eigener Spezialkenntnisse zugestanden wird, Sonderfachleute hinzuzuziehen, ist in den vergangenen Jahren eine zunehmende Spezialisierung und Komplexität auf Grund der fortschreitenden technischen Entwicklungen eingetreten, die es ggf. rechtfertigen, diese Spezialkenntnisse vom Architekten nicht mehr zu verlangen. Bei den Voraussetzungen des § 11 Nr. 4 VOB/B hinsichtlich der Erklärung des Vorbehaltes bei einer Vertragsstrafe haben sich die Anforderungen seit der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. April 1979 aber nicht geändert. Auch technische Entwicklungen spiele insoweit keine Rolle. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Vereinbarung von Vertragsstrafen gängige Praxis bei Bauverträgen ist, mit deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen ein Architekt vertraut sein muss.
Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Architekten ist hier also jedenfalls in der Verletzung der Beratungspflicht zu sehen.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 3 U 16/11
- Bewersdorf, in Ganten/Jagenburg/Motzke, VOB/B, 2. Aufl., § 11 Rn. 24; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, VOB/B, 3. Aufl. § 11 Rn. 96; Ingenstau/Korbion/Döring, VOB/B, 16. Aufl., § 11 Nr. 4 Rn. 12 f.; Leinemann/Hafkesbrink, VOB/B, 3. Aufl., § 11 Rn. 66, jeweils m.w.N.[↩]
- Bewersdorf, a.a.O.; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, a.a.O.; Ingenstau/Korbion/Döring, a.a.O.[↩][↩]
- BGH, Urteil vom 26.04.1979 – VII ZR 190/78; Ingenstau/Korbion/Döring, a.a.O. Rn. 14 sowie die Nachweise bei Bewersdorf, a.a.O. Rn. 25 [↩]
- BGH, a.a.O.[↩]
- Bewersdorf, a.a.O., Rn. 26; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, a.a.O.[↩]
- Bewersdorf, a.a.O.[↩]
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