Die Vergütungswegfallbestimmung des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB ist auf Sachverhalte, in denen dem Verpflichteten (hier: Rechtsanwalt) die geschuldete Dienstleistung infolge einer unverschuldeten Erkrankung vorübergehend unmöglich geworden ist, nicht entsprechend anzuwenden.

In dem hier vom Landgericht Heidelberg entschiedenen Fall beauftragte die Mandantin die Rechtsanwaltssozietät im Zeitraum von 2008 bis Anfang 2010 in mehreren Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Trennung von ihrem damaligen Ehemann. Praktisch wurde das Mandat ausschließlich von einer – u.a. auf familienrechtliche Angelegenheiten spezialisierten – Rechtsanwältin wahrgenommen. Der zweite in der Sozietät tätige Rechtswalt war bis zur Erkrankung der mandatsbearbeitenden Rechtsanwältin am 22.10.2009 damit nicht befasst.
Der zwischen den Parteien streitgegenständliche Anwaltsvertrag ist als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter über Dienste höherer Art anzusehen. Die Mandantin war deshalb gemäß 627 BGB berechtigt, den Vertrag mit der Sozietät der Rechtsanwälte jederzeit zu kündigen. Dies hat sie im vorliegenden Fall mit dem Schreiben vom 25.01.2010 auch mit sofortiger Wirkung getan.
Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, insbesondere die Frage, ob und in welchem Umfang den Rechtsanwälten nach der vorzeitigen Beendigung des Mandats Honoraransprüche gegen die Mandantin zustehen, richten sich nach § 628 Abs. 1 BGB1. Gemäß § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB, bei dem es sich um eine den § 611 BGB ergänzende Regelung handelt, kann der Verpflichtete einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen, wenn nach dem Beginn der Dienstleistung das Dienstverhältnis auf Grund des § 626 oder des § 627 gekündigt wird. Im Rahmen des § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB ist insbesondere die Sonderregelung des § 15 Abs. 4 RVG zu beachten2. Danach ist es auf bereits entstandene Gebühren ohne Einfluss, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endigt, bevor die Angelegenheit erledigt ist.
Zwischen den Parteien ist im wesentlichen unstreitig, dass die Rechtsanwälte in sämtlichen Angelegenheiten, die mit den streitgegenständlichen Rechnungen abgerechnet wurden, für die Mandantin tatsächlich auch entsprechend tätig geworden sind. Demnach ist letztendlich nicht zweifelhaft, dass jeweils ein Vergütungsanspruch der Rechtsanwälte entstanden ist.
Die Vergütungsansprüche der Rechtsanwälte sind nicht nach § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz oder teilweise erloschen.
Nach dieser Vorschrift steht dem Verpflichteten, wenn er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teils dazu veranlasst zu sein, kündigt oder wenn er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teils veranlasst, ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben. Muss der Auftraggeber eines Rechtsanwalts wegen einer solchen Kündigung einen anderen Prozessbevollmächtigten neu bestellen, für den die gleichen Gebühren nochmals entstehen, so sind die Aufwendungen für den zuerst bestellten Prozessbevollmächtigten für den Auftraggeber nutzlos geworden, der Vergütungsanspruch geht insoweit unter3. Die Voraussetzungen des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt.
Die Rechtsanwälte haben die Kündigung der Mandantin mit Schreiben vom 25.1.2010 nicht durch ein vertragswidriges Verhalten veranlasst.
Richtig ist allerdings, dass die Rechtsanwälte die Mandantin über einen Monat lang nicht darüber unterrichtet haben, dass die Rechtsanwältin derart erkrankt war, dass sie auf zunächst unabsehbare Zeit bzw. voraussichtlich für einen längeren Zeitraum hinweg nicht in der Lage sein würde, die rechtlichen Angelegenheiten der Mandantin im Rahmen der umfassenden Mandatierung vollwertig wahrzunehmen. Ausweislich des Faxschreibens der Mandantin vom 23.11.2009 an die Rechtsanwaltssozietät hatte die Mandantin erst zu diesem Zeitpunkt auf eigene Nachfrage durch die Kanzleiangestellte B. eine erste Information über die Tatsache der längerfristigen Erkrankung der Rechtsanwältin erhalten. Mit Schreiben vom 27.11.2009 unterrichtete sie der Sozius dann darüber, dass der Krankheitszustand „sich voraussichtlich noch bis Mitte Januar 2010“ hinziehen würde. Erst jetzt war die Mandantin hinreichend über die Situation unterrichtet und in die Lage versetzt, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie das Mandatsverhältnis unter diesen Voraussetzungen fortführen wollte. Spätestens durch die E‑Mail vom 21.1.2010 war für die Mandantin dann auch weiterhin klar, dass sich die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit der Rechtsanwältin noch bis Ende Februar 2010 würde hinziehen können.
Ob die verspätete Unterrichtung der Mandantin über die Erkrankung der Rechtsanwältin und infolgedessen deren zumindest vorübergehend erheblich eingeschränkte Fähigkeit, die Belange der Mandantin weiter wahrzunehmen, über den Zeitraum von einem Monat hinweg in Anbetracht der Gesamtumstände ein im Rahmen von § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB hinreichend vertragswidriges Verhalten darstellte, bedarf letztlich keiner Entscheidung. Allerdings lässt ein geringfügiges vertragswidriges Verhalten die Pflicht, die bis zur Kündigung erbrachten Dienste zu vergüten, unberührt4. Selbst wenn man die verspätete Unterrichtung der Mandantin durch die Rechtsanwälte, insbesondere auch wegen eines von der Mandantin als dringend angesehenen Beratungsbedarfes, als hinreichende erhebliche Pflichtverletzung bewertet, ist schon nach dem zeitlichen Ablauf offensichtlich, dass dadurch die von der Mandantin ausgesprochene Kündigung nicht veranlasst war. Die Kündigung wurde erst mit Schreiben vom 25.1.2010 erklärt und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Mandantin durch den Erhalt der notwendigen Informationen bereits zwei Monate zuvor längst über die Situation in Kenntnis gesetzt war. Die ausgesprochene Kündigung beruhte damit nicht auf der Pflichtverletzung. Die Mandantin hat die Kündigung hierauf ersichtlich auch nicht gestützt, was nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine weitere notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB gewesen wäre5.
Ob eine im Sinne von § 628 Abs. 1 Satz 2 hinreichend erhebliche Pflichtverletzung der Rechtsanwälte darin gesehen werden kann, dass der zweite in der Sozietät tätige Rechtsanwalt insbesondere im Schreiben vom 27.11.2009 wahrheitswidrig behauptet habe, er sei in der Lage, das familienrechtliche Mandat von seiner Sozia zu übernehmen, kann im Ergebnis ebenfalls dahinstehen.
Allerdings sind insoweit erhebliche Zweifel schon deshalb angebracht, weil die hierzu von der Mandantin hervorgehobene Angabe des Rechtsanwalts in dem Schreiben vom 27.11.2009 („Es ist auch nicht zutreffend, dass ich diesen Fall nicht übernehmen kann.“) im Gesamtkontext des Schreibens zu sehen ist. Darin wurde die Mandantin jedoch an mehreren Stellen unmissverständlich darauf hingewiesen, dass es die zur Zeit erkrankte Rechtsanwältin sei, die das Mandat voraussichtlich fortführen werde. Insoweit kann von einer bewussten Falschinformation der Mandantin durch den Rechtsanwalt kaum die Rede sein. Davon abgesehen gehört es zur Pflicht eines Rechtsanwaltes, sich zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Mandates nötigenfalls auch in ihm nicht geläufige Rechtsgebiete einzuarbeiten. Dass der Rechtsanwalt, der über eine abgeschlossene juristische Ausbildung verfügt, hierzu nicht in der Lage gewesen sein soll, ist jedoch nicht ersichtlich.
Letztendlich kommt es hierauf jedoch deshalb nicht an, weil weder ersichtlich noch von der insoweit beweisbelasteten Mandantin nachgewiesen ist, dass die (unterstellt) vorgenannte Pflichtverletzung die ausgesprochene Kündigung veranlasst hat. Die mit Schreiben vom 25.1.2010 von der Mandantin wörtlich „zu meinem Bedauern“ ausgesprochene Kündigung wurde (auch) auf diesen Gesichtspunkt nicht gestützt. Vielmehr hat die Mandantin erst im Laufe des Rechtsstreits durch ihre Prozessbevollmächtigten auch die vorgenannte (angebliche) Pflichtverletzung des Rechtsanwalts als angeblichen Grund für eine Kündigung nachträglich in den Rechtsstreit eingeführt. Dies ist jedoch für die Anwendbarkeit des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ausreichend5.
Der von der Mandantin unter Hinweis auf die Ausführungen von Henssler/Deckenbrock6 sowie von Henssler im Münchener Kommentar7 vorgebrachten Rechtsauffassung, die entsprechende Anwendung des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB sei auch für den vorliegenden Fall geboten, in dem einem dienstverpflichteten Rechtsanwalt die Fortführung des Mandats aufgrund Krankheit unmöglich geworden sei, vermag das Landgericht Heidelberg nicht zu folgen.
Insoweit kann dahinstehen, ob durch die Erkrankung der mandatierten Rechtsanwältin ein Fall der (vorübergehenden) Unmöglichkeit der Mandatswahrnehmung in Bezug auf die Sozietät der Rechtsanwälte als Vertragspartner überhaupt vorlag. Selbst wenn man dies unterstellt, kann der vorgenannten (Minder-)Meinung8 nicht zugestimmt werden. Zwar trifft es zu, dass eine Erkrankung in gewisser Weise der „Sphäre des Rechtsanwalts“ zuzurechnen ist, wie Henssler aaO hervorhebt. Jedoch kann dieser Gedanke für die Anwendung der Vergütungswegfallbestimmung des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Sachverhalte, in denen wie bei der Rechtsanwältin die Schlaganfallerkrankung plötzlich und ohne erkennbares Eigenverschulden eingetreten ist, nicht genügen. Dabei ist zum einen zu sehen, dass es sich bei § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB um einen Ausnahmetatbestand handelt. Zudem verlangt der Gesetzgeber nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Vorschrift und setzt voraus, dass der Dienstverpflichtete die Kündigung des anderen Teils durch sein vertragswidriges Verhalten veranlasst hat. Insofern mag allenfalls eine von dem Dienstverpflichteten nachweislich verschuldete Unmöglichkeit die entsprechende Anwendung des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB rechtfertigen, nicht jedoch eine nicht zu vertretende Erkrankung, die nach allgemeinen Grundsätzen auf so genannter höherer Gewalt beruht. Hier behält der Dienstverpflichtete seinen Vergütungsanspruch, mithin vorliegend auch die Rechtsanwälte.
Die Vergütungsansprüche der Rechtsanwälte sind nicht durch die von der Mandantin erklärten Aufrechnungen erloschen.
Die Mandantin kann auch nicht mit einem Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 BGB in Höhe von 2.165,80 EUR aufrechnen, da wie festgestellt ein vertragswidriges Verhalten der Rechtsanwälte nicht vorliegt. Die Mandantin hat keinen Zahlungsanspruch gegenüber den Rechtsanwälten. Alleine in Betracht kommende Anspruchsgrundlage ist insoweit § 628 Abs. 2 BGB, dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind, da ein vertragswidriges Verhalten der Rechtsanwälte nicht vorliegt.
Landgericht Heidelberg, Urteil vom 9. August 2013 – 3 O 63/10
- st. Rspr., vgl. nur BGH NJW 1987, 315 Rn. 18 f.[↩]
- vgl. Belling in: Erman, BGB, 13. Auflage, 628 BGB Rn.2[↩]
- BGH MDR 2011, 1387 Rn. 13 ff. m.w.N.[↩]
- BGH NJW 2011, 1674 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH NJW 2011, 1674 Rn. 16[↩][↩]
- Henssler/Deckenbrock, NJW 2005, 1 ff.[↩]
- MünchKomm-BGB/Henssler, 6. Auflage, § 628, Rn. 27[↩]
- vgl. zur g.h.M. die Zitatstellen bei Henssler aaO im Münchener Kommentar Rn. 27; OLG Nürnberg MDR 2003, 647[↩]