Hauptversammlungsbeschluss und Nachteilsausgleich bei einer abhängigen Aktiengesellschaft

Wenn die Hauptversammlung einer abhängigen Aktiengesellschaft mit der Stimmenmehrheit des herrschenden Unternehmens einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich vorsehen. Wenn der Nachteil, der der abhängigen Gesellschaft auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens zugefügt wird, bezifferbar ist, muss eine Ausgleichsvereinbarung nach § 311 Abs. 2 AktG, die einen Zahlungsanspruch begründet, den Ausgleichsanspruch beziffern und darf ihn nicht von der späteren Feststellung des Nachteils abhängig machen.

Hauptversammlungsbeschluss und Nachteilsausgleich bei einer abhängigen Aktiengesellschaft

Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Dazu zählen die Vorschriften zur Kapitalerhaltung in § 57 AktG1.

Ein Hauptversammlungsbeschluss verletzt § 57 AktG aber nicht nur dann, wenn er unmittelbar zur Einlagenrückgewähr führt. Auch wenn der Vorstand – wie bei einem Beschluss zur Geschäftsführung (§ 119 Abs. 2 AktG) – eine Entscheidung der Hauptversammlung einholt und erst die Umsetzung des Beschlusses zur Einlagenrückgewähr führt, verstößt die Billigung durch die Hauptversammlung gegen gläubigerschützende Vorschriften. Nach § 241 Nr. 3 AktG kommt es allein auf den Inhalt des Beschlusses an.

Der Nichtigkeit der Beschlüsse steht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht entgegen, dass die U. herrschendes Unterneh- men, der Verkauf unter Wert für die Beklagte ein nachteiliges Rechtsgeschäft nach § 311 Abs. 1 AktG war und ein Nachteilsausgleich grundsätzlich erst am Ende des Geschäftsjahres bestimmt werden muss (§ 311 Abs. 2 Satz 1 AktG). Wenn die Hauptversammlung einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich vorsehen. Die Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlung vom 25.10.2006 haben keinen Nachteilsausgleich vorgesehen.

§ 311 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubt dem herrschenden Unternehmen, den Nachteilsausgleich zeitlich gestreckt erst zum Ende des Geschäftsjahrs vorzunehmen oder zu bestimmen, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen werden soll, auch wenn der Nachteil gleichzeitig eine unzulässige Einlagenrückgewähr im Sinn von § 57 Abs. 1 AktG ist2. Die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen an das herrschende Unternehmen unter ihrem Wert ist ein nachteiliges Rechtsgeschäft im Sinne von § 311 Abs. 1 und 2 AktG.

Wenn die Hauptversammlung einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss bereits der Beschluss selbst den Nachteilsausgleich vorsehen.

Die Ausübung des Stimmrechts des herrschenden Unternehmens in der Hauptversammlung ist eine nachteilige Veranlassung im Sinn des § 311 Abs. 1 AktG, wenn nachteilige Geschäftsführungsmaßnahmen nach § 119 Abs. 2 AktG beschlossen werden3. Dazu genügt auch die Zustimmung zu einer nachteiligen Geschäftsführungsmaßnahme, selbst wenn sie noch umgesetzt werden muss, da der Vorstand Beschlüsse der Hauptversammlung grundsätzlich umzusetzen hat. Aufgrund der Legitimationswirkung eines Zustimmungsbeschlusses und seines Gewichts ist entgegen der Revisionserwiderung auch nicht entscheidend, ob dem Vorstand für die Umsetzung der Geschäftsführungsmaßnahme trotz der Zustimmung der Hauptversammlung noch ein Entscheidungsspielraum verbleibt. Dem Zustimmungsbeschluss fehlt die Bedeutung für eine nachteilige Maßnahme auch nicht, wenn der Vorstand nach § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung verlangt, ohne dazu – etwa nach den Grundsätzen der GelatineEntscheidung4 – verpflichtet zu sein.

Wenn die nachteilige Veranlassung in einem mit der Stimmenmehrheit des herrschenden Unternehmens gefassten Hauptversammlungsbeschluss besteht, kann der Nachteilsausgleich nicht aufgeschoben werden, sondern muss bereits im Beschluss vorgesehen sein. Die Privilegierung des herrschenden Aktionärs, einen Nachteilsausgleich erst zum Ende des Geschäftsjahres zu vereinbaren, kann nicht greifen, wenn die Hauptversammlung über ein nachteiliges Rechtsgeschäft beschließt. Teilweise wird zwar – allerdings in der Regel im Zusammenhang mit der Anfechtung nach § 243 Abs. 2 AktG – die Ansicht vertreten, die Privilegierung von § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG müsse dem herrschenden Unternehmen auch erhalten bleiben, wenn die Hauptversammlung das nachteilige Geschäft beschließt5. Überwiegend wird dagegen verlangt, dass der Nachteilsausgleich bereits im Beschluss selbst geregelt wird6.

Der Bundesgerichtshof schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Wenn ein Beschluss – wie dies regelmäßig der Fall ist – neben dem Nachteil für die abhängige Gesellschaft auch Sondervorteile für einen herrschenden Aktionär bietet, muss schon nach dem Wortlaut von § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG mit dem Beschluss ein angemessener Ausgleich vorgesehen sein, um die Anfechtbarkeit zu beseitigen. Der Aktionär kann nicht darauf verwiesen werden, den Beschluss in der Hoffnung auf einen ungewissen Ausgleich unanfechtbar werden zu lassen. Das muss auch gelten, wenn der Beschluss nicht nur anfechtbar, sondern wegen Verstoß gegen gläubigerschützende Vorschriften nichtig ist. Zwar wird ein nichtiger Beschluss nicht infolge Fristablaufs bestandskräftig. Dem Minderheitsaktionär ist aber nicht zumutbar, mit einer Klage zuzuwarten, ob und wie das herrschende Unternehmen noch eine Vereinbarung über den Nachteilsausgleich trifft. Die Hauptversammlung kann auch – anders als etwa der Vorstand – nicht selbst nach der nachteiligen Veranlassung dafür Sorge tragen, dass der Nachteil spätestens bis zum Ende des Geschäftsjahres durch Vorteile ausgeglichen oder ein Rechtsanspruch auf die Vorteile vereinbart wird, weil sie nicht ständig zusammentritt.

Wenn der Nachteil, der der abhängigen Gesellschaft auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens zugefügt wird, bezifferbar ist, muss eine Ausgleichsvereinbarung, die einen Zahlungsanspruch begründet, den Ausgleichsanspruch beziffern und darf ihn nicht von der späteren Feststellung des Nachteils abhängig machen. Wenn sich der Nachteil bilanziell niederschlägt, muss der Vorteil bilanzierbar sein; das gilt dann auch für die Gewährung eines Anspruchs auf Ausgleich. Jede Ausgleichsvereinbarung muss zudem Art, Umfang und Leistungszeit der als Ausgleich zugesagten Vorteile festlegen, um den Ausgleich nicht auf die lange Bank zu schieben und die Grenzen zum Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG nicht zu verwischen7. Wird nur ein unbezifferter Anspruch auf Ausgleich später festgestellter Nachteile eingeräumt, wird die erforderliche Klarheit nicht geschaffen und der Forderung des § 311 Abs. 2 nach konkreter Festlegung der Vorteile nicht entsprochen8, jedenfalls dann nicht, wenn der Nachteil bezifferbar ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Juni 2012 – II ZR 30/11

  1. MünchKomm- AktG/Hüffer, 3. Aufl., § 241 Rn. 55; Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 241 Rn. 210; Hölters/Englisch, AktG, § 241 Rn. 61; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 241 Rn. 21[]
  2. BGH, Urteil vom 01.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rn. 11 – MPS; Urteil vom 31.05.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rn. 48 – Dritter Börsengang[]
  3. H.F. Müller in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 311 Rn. 21[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 – Gelatine I[]
  5. Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl., 1996, S. 288 ff.; Abrell, BB 1974, 1463, 1467; für § 119 Abs. 2 AktG auch Strohn, Die Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, 1977, S. 39 ff.[]
  6. OLG Frankfurt, WM 1973, 348, 350 f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 311 Rn. 48 und § 243 Rn. 43; MünchKomm-AktG/Hüffer, 3. Aufl., § 243 Rn. 105; Koppensteiner in KKAktG, 3. Aufl., § 311 Rn. 166; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 6. Aufl., § 311 Rn. 85; H.F. Müller in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 311 Rn. 65; K. Schmidt in GroßkommAktG, 4. Aufl., § 243 Rn. 58; Zöllner in KKAktG, 1. Aufl., § 243 Rn. 258; Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 243 Rn. 220 f.; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 311 Rn. 123; Fett in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., § 311 AktG Rn. 59; im Ergebnis auch MünchKomm-AktG/Altmeppen, 3. Aufl., § 311 Rn. 130, 132[]
  7. Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 6. Aufl., § 311 Rn. 63 m.w.N.[]
  8. vgl. MünchKomm-AktG/Altmeppen, 3. Aufl., § 311 Rn. 365[]