Urheberrechtsverletzung durch ein Computerprogramm – und die Herausgabe des Quellcodes

Einem Anspruch auf Herausgabe des Quellcodes eines Computerprogramms nach § 809 BGB zum Zwecke des Nachweises einer Urheberrechtsverletzung steht nicht entgegen, dass unstreitig nicht das gesamte Computerprogramm übernommen wurde, sondern lediglich einzelne Komponenten und es deswegen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass gerade die übernommenen Komponenten nicht auf einem individuellen Programmierschaffen desjenigen beruhen, von dem der Kläger seine Ansprüche ableitet.

Urheberrechtsverletzung durch ein Computerprogramm – und die Herausgabe des Quellcodes

Gemäß § 809 BGB kann vom Besitzer die Gestattung der Besichtigung einer Sache verlangt werden, wenn der Anspruchsteller gegen den Besitzer einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, sofern die Besichtigung der Sache aus diesem Grund für den Anspruchsteller von Interesse ist. Der Anspruch aus § 809 BGB steht grundsätzlich auch dem Urheber oder dem aus Urheberrecht Berechtigten zu, wenn er sich vergewissern möchte, ob eine bestimmte Sache unter Verletzung – beispielsweise durch Vervielfältigung – des geschützten Werkes hergestellt worden ist. Dabei betrifft der Besichtigungsanspruch gerade auch den hinter der Software stehenden Quellcode, ohne den eine Werkverletzung in der Regel nicht nachgewiesen werden kann1.

Ein Besichtigungsanspruch ist nicht gegeben ist, wenn eine Verletzung von Urheberrechten ausgeschlossen werden kann.

Für den Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB ist das Bestehen eines Anspruchs in Ansehung der Sache nicht Voraussetzung. Ausreichend ist es vielmehr, dass sich der Anspruchsteller erst Gewissheit über das Bestehen eines solchen Anspruchs verschaffen will. Freilich kann der Anspruch nicht wahllos gegenüber dem Besitzer einer Sache geltend gemacht werden, hinsichtlich deren nur eine entfernte Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht. Vielmehr muss bereits ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit vorliegen2. Insbesondere müssen die nicht von der Besichtigung betroffenen Voraussetzungen des Anspruchs, der mit Hilfe der Besichtigung durchgesetzt werden soll, bereits geklärt sein. Ist etwa noch offen, ob der Kläger überhaupt über ein ausschließliches Nutzungsrecht an der fraglichen Software verfügt, kann der Beklagte (noch) nicht zur Vorlage des Quellcodes verurteilt werden3.

Mit der vom Oberlandesgericht München in seinem Berufungsurteil4 gegebenen Begründung kann eine Verletzung von Urheberrechten als Voraussetzung eines Besichtigungsanspruchs nach § 809 BGB jedoch nicht verneint werden. Das Oberlandesgericht hat insoweit die Darlegungslast der Klägerin überspannt.

Die Beurteilung der Frage, wer als Urheber und damit als Inhaber des Urheberrechts an dem Computerprogramm anzusehen ist, ist ebenso nach dem Recht des Schutzlandes zu beurteilen, wie die Frage, ob urheberrechtliche Befugnisse übertragbar sind5, so dass – wovon auch das Oberlandesgericht zutreffend ausgegangen ist – deutsches Urheberrecht Anwendung findet.

Da das Berufungsgericht keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, ist für das Revisionsverfahren davon auszugehen, dass das in Rede stehende Computerprogramm insgesamt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 69a Abs. 1 und 3 UrhG als individuelle geistige Schöpfung der an seiner Entwicklung und Erstellung beteiligten Personen Urheberrechtsschutz genießt.

Das Gesetz setzt für die Schutzfähigkeit eines Computerprogramms keine besondere schöpferische Gestaltungshöhe voraus, sondern stellt in erster Linie darauf ab, dass es sich um eine individuelle geistige Schöpfung des Programmierers handelt. Damit unterstellt es auch die kleine Münze des Programmschaffens dem urheberrechtlichen Schutz und lässt lediglich die einfache, routinemäßige Programmierleistung, die jeder Programmierer auf dieselbe oder ähnliche Weise erbringen würde, schutzlos6. Dies bedeutet, dass bei komplexen Computerprogrammen eine tatsächliche Vermutung für eine hinreichende Individualität der Programmgestaltung spricht. Es ist daher in derartigen Fällen Sache des Beklagten darzutun, dass das Programm, für das Schutz beansprucht wird, nur eine gänzlich banale Programmierleistung ist oder lediglich das Programmschaffen eines anderen Programmierers übernimmt7. Daran fehlt es im Streitfall.

Aus den tatrichterlichen Feststellungen ergibt sich, dass der Quellcode und Rechte an der Software im Jahr 1991 zu einem Preis von 600.000 USDollar veräußert worden sind. Ferner steht fest, dass mit Hilfe des Programms „UniBasic-IDOS“ Software, die für die Anwendung unter einem bestimmten veralteten Betriebssystem konzipiert ist, so umgeschrieben werden kann, dass die unter den modernen Betriebssystemen Unix und Windows eingesetzt werden kann. Diese Umstände rechtfertigen bereits die Vermutung, dass die Software insgesamt gemäß § 69a UrhG geschützt ist. Dem sind die Beklagten nicht mit substantiiertem Vortrag entgegengetreten. Der Umstand, dass das Computerprogramm jedenfalls teilweise vor Einführung des § 69a UrhG geschaffen wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Vorschrift des § 69a UrhG gilt gemäß § 137d Abs. 1 UrhG auch für Programme, die vor der Einführung des § 69a UrhG geschaffen wurden.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt grundsätzlich nichts Abweichendes, wenn – wie im Streitfall – auf der einen Seite das Computerprogramm des Berechtigten aus mehreren Komponenten besteht, die nicht von dem oder den angeblichen Programmierern stammen, und auf der anderen Seite nicht das gesamte Computerprogramm, sondern lediglich einzelne Komponenten übernommen wurden.

Der Gesetzgeber ist bei der Einführung des § 69a UrhG durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 09.06.19938, das die Richtlinie 91/250/EWG vom 14.05.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen umgesetzt hat, von der unbestrittenen Notwendigkeit ausgegangen, Computerprogrammen effektiven Rechtsschutz zu gewähren9. Danach ist es Aufgabe der Rechtsprechung, in praxisgerechter Weise bei der Bestimmung der Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Urheberrechtsschutz für Computerprogramme nunmehr die Regel ist. Der Berechtigte hat grundsätzlich nur dazulegen, dass sein Programm nicht lediglich das Werk eines anderen nachahmt10.

Nach dem Wortlaut des § 69a Abs. 1 und 3 UrhG sowie gemäß Art. 1 Abs. 1 und 3 der in Verbindung mit dem 8. Erwägungsgrund der Richtlinie 91/250/EWG werden dabei individuelle Werke geschützt, die das Ergebnis einer eigenen geistigen Schöpfung darstellen, ohne dass es auf qualitative oder ästhetische Vorzüge des Computerprogramms ankommt. Es ist grundsätzlich Sache des Beklagten darzutun, dass das Programm, für das Schutz beansprucht wird, nur eine gänzlich banale Programmierleistung ist oder lediglich das Programmschaffen eines anderen Programmierers übernimmt11. Dies gilt auch dann, wenn unstreitig vorbekannte Komponenten in der Programmgestaltung übernommen wurden. Gegenstand des Schutzes können gemäß § 69a Abs. 2 UrhG auch die Be, Um- und Einarbeitung vorbekannter Elemente und Formen sein12.

Der Umstand, dass im Streitfall unstreitig nicht das gesamte Computerprogramm übernommen wurde, sondern lediglich einzelne Komponenten, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Zwar ist es denkbar, dass die übernommenen Komponenten nicht oder nicht zugunsten der Klägerin urheberrechtlichen Schutz genießen und eine urheberrechtlich relevante Verletzungshandlung deshalb abzulehnen wäre. Diese Möglichkeit reicht aber nicht aus, um einen Besichtigungsanspruch gemäß § 809 BGB zu verneinen. Anderenfalls würde der vom Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie gewollte Schutz eines Computerprogramms insgesamt unzumutbar erschwert.

Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich Computerprogramme in der Regel aus verschiedenen Komponenten zusammensetzen, die nicht sämtlich auf eine individuelle Schöpfung des Programmierers zurückgehen müssen. So mag ein Computerprogramm in Teilen aus nicht geschützten oder aus Bestandteilen bestehen, die der Programmierer „hinzugekauft“ und für die er eine einfache Lizenz erworben hat. Auch die behauptete Verletzung liegt häufig nicht in einer 1zu1Übernahme des Programms, für das der Schutz beansprucht wird. Vielmehr ist es durchaus nicht untypisch, dass die behauptete Verletzung darin besteht, dass lediglich Komponenten dieses Programms übernommen worden sein sollen, weil etwa die angegriffene Ausführungsform das übernommene Programm fortentwickelt und in einen neuen Anwendungsrahmen stellt. Wäre der Kläger in einem solchen Fall schon für den Besichtigungsanspruch gehalten, im Einzelnen darzulegen, worin seine individuelle Leistung liegt und dass es gerade diese Leistung ist, die sich in der angegriffenen Ausführungsform wiederfindet, wäre er praktisch schutzlos gestellt: Zum einen käme ihm die tatsächliche Vermutung nicht zugute, die zugunsten des Schöpfers eines komplexen Programms streitet13, und es bliebe unberücksichtigt, dass der Quellcode in der Regel ein Betriebsgeheimnis darstellt14. Zum anderen wäre es dem Kläger, auch wenn er seinen Quellcode offenbart und die einzelnen auf das individuelle Programmierschaffen zurückgehenden Programmierschritte dargelegt hätte, ohne Kenntnis des Quellcodes des angegriffenen Programms in der Regel nicht möglich, eine Urheberrechtsverletzung darzulegen.

Im Streitfall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass für das als urheberrechtsverletzend beanstandete Programm unstreitig Komponenten des Klageprogramms übernommen worden sind, kann die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung, wie sie für den Besichtigungsanspruch erforderlich ist, nicht verneint werden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür festgestellt oder ersichtlich, dass lediglich eine entfernte Möglichkeit besteht, dass bei der Entwicklung von CXBasic und NTBasic Programmteile von UniBasic-IDOS übernommen worden sind. Vielmehr lässt der Umstand, dass die U. Hamburg für die Übergabe des Quellcodes von UniBasic-IDOS seinerzeit 600.000 USDollar gezahlt hat, nach der Lebenserfahrung den Schluss zu, dass es der U. Hamburg zu- mindest auch auf den Erwerb der individuell von der DCI erstellten, nicht von Dritten oder frei auf dem Markt erhältlichen Softwarekomponenten von UniBasic-IDOS ankam. Gegenteilige Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

Die von der Klägerin begehrte Besichtigung des Quellcodes durch einen zur Gemeinhaltung verpflichteten Sachverständigen soll gerade dazu dienen, eventuelle Übereinstimmungen in Programmteilen zu ermitteln. Ist dies geschehen, mögen die Beklagten darlegen, dass die übernommenen Programmteile nicht auf ein individuelles Programmierschaffen desjenigen zurückgehen, von dem die Klägerin ihre Rechte herleitet.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. September 2012 – I ZR 90/09 – UniBasic-IDOS

  1. BGH, Urteil vom 02.05.2002 – I ZR 45/01, BGHZ 150, 377, 382, 384 – Faxkarte[]
  2. BGH, Urteil vom 08.01.1985 – X ZR 18/84, BGHZ 93, 191, 205 – Druckbalken; BGHZ 150, 377, 385 f. – Faxkarte[]
  3. vgl. BGHZ 93, 191, 205 f. – Druckbalken; Habersack in MünchKomm-BGB, 5. Aufl., § 809 Rn. 6; Staudinger/Marburger, Bearb.2009, § 809 Rn. 7[]
  4. OLG München, Urteil vom 28.05.2009 – 29 U 1930/08[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 02.10.1997 – I ZR 88/95, BGHZ 136, 380, 385 ff. – Spielbankaffaire[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2005 – I ZR 111/02, GRUR 2005, 860, 861 = WRP 2005, 1263 – Fash 2000, mwN[]
  7. vgl. BGH, GRUR 2005, 860, 861 – Fash 2000[]
  8. BGBl. I 1993 S. 910[]
  9. vgl. den Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/4022, S. 9[]
  10. vgl. BT-Drucks. 12/4022, S. 10[]
  11. vgl. BGH, GRUR 2005, 860, 861 – Fash 2000; Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl., § 69a Rn. 29; Erdmann/Bornkamm, GRUR 1991, 877, 879; differenzierend Grützmacher in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. § 69a UrhG Rn. 36 ff.[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 09.05.1985 I ZR 52/83, BGHZ 94, 276, 287 – Inkasso-Programm[]
  13. BGH, GRUR 2005, 860, 861 – Fash 2000[]
  14. vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 69a UrhG Rn. 22; Czychowski in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 69a UrhG Rn. 37; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 69a UrhG Rn. 29[]

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