§ 15a RVG – und die Schuldigensuche für die Anrechnungsrechtsprechung

Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung von § 15 a Abs. 1 RVG1 die bereits unter Geltung des § 118 BRAGO und nachfolgend unter Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG bestehende Gesetzeslage klargestellt. Die Anrechnungsvorschrift wirkt sich danach grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus.

§ 15a RVG – und die Schuldigensuche für die Anrechnungsrechtsprechung

Im Kostenfestsetzungsverfahren musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15 a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist.

Damit dürfte der Bundesgerichtshof seine verquere, stark kritisierte Anrechnungsrechtsprechung auch für solche Verfahren ad acta gelegt zu haben, die sich auf die Zeit vor Inkrafttreten der neuen § 15a Abs. 1 RVG beziehen, deren Kostenfestsetzungsverfahren aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.

Und jetzt will es natürlich keiner gewesen sein – und man hat es schon immer gewusst, dass es so wie in der jüngeren Rechtsprechung nicht geht.. Beim Bundesgerichtshof (II. Senat) liest sich das dann so:

Die Beklagten stützen – vor allem im Rechtsbeschwerdeverfahren – ihre Ansicht auf die neuere Rechtsprechung einiger Senate des Bundesgerichtshofs. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung mit Beschluss vom 22. Januar 2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 ff.) – abweichend von der bis dahin feststehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (Beschl. v. 20. Oktober 2005 – I ZB 21/05, NJW-RR 2006, 501; v. 27. April 2006 – VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560 und v. 30. Januar 2007 – X ZB 7/06, NJW 2007, 3289) und ohne sich mit ihr auseinanderzusetzen – entschieden, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Verfahrensgebühr nur in Höhe von 0,55 festgesetzt werden könne, da sie im Hinblick auf die vorgerichtliche Tätigkeit des Bevollmächtigten und die Anrechnungsregelung in Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG überhaupt nur in dieser Höhe „entstehe“. Dem haben sich mehrere Senate des Bundesgerichtshofs ohne eigene Begründung angeschlossen.

[…]

Den erkennenden [II.] Senat überzeugt die Ansicht des VIII. Zivilsenats nicht. Ohne die gegen diese Lösung des Anrechnungsproblems anzuführenden systematischen, teleologischen und sprachlichen Argumente im Einzelnen dar-zustellen, vermag der [II.] Senat ihr nicht zuletzt im Hinblick auf die teilweise zu Recht als katastrophal bezeichneten Folgen aber auch, weil er sie aus den gesetzlichen Bestimmungen nicht abzuleiten vermag, nicht zu folgen.

Statt im Hinblick auf seine abweichende Meinung den Großen Senat für Zivilsachen anzurufen, hat der Senat die Bearbeitung des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens zurückgestellt, nachdem der Gesetzgeber die vom VIII. Zivilsenat begründete Rechtsprechung zum Anlass für eine klarstellende Änderung des RVG genommen hat. Das Gesetzgebungsverfahren hat am 4. August 2009 durch Verkündung des § 15 a RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften) im Bundesgesetzblatt (BGBl I S. 2449) sein Ende gefunden. § 15 a RVG ist gemäß Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung (5. August 2009) in Kraft getreten.

Mit dem neu eingefügten § 15 a RVG hat der Gesetzgeber das RVG nicht geändert, sondern lediglich die seiner Ansicht nach bereits vor Einfügung von § 15 a RVG bestehende Gesetzeslage in dem Sinne, wie auch der erken-nende Senat sie verstanden hat, klargestellt, derzufolge sich die Anrechnung gemäß Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirkt. Die Anrechnungsvorschrift betrifft vielmehr grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. In der Kostenfestsetzung musste und muss daher eine Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Sichergestellt wird durch § 15 a Abs. 2 RVG lediglich, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz und Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann (siehe hierzu BT-Drucks. 16/12717 S. 2 und S. 67 f.; Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 5. April 2009; ebenso OLG Stuttgart, Beschl. v. 11. August 2009 – 8 W 339/09, juris Tz. 10; OLG Dresden, Beschl. v. 13. August 2009 – 3 W 0793/09, n.v.; OVG Münster, Beschl. v. 11. August 2009 – 4 E 1609/09, juris Tz. 9 ff.; Kallenbach, AnwBl. 2009, 442; Schons, AGS 2009, 216, 217; Hansens, RVG-Report 2009, 241, 246; ders. AnwBl. 2009, 535 ff.).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. September 2009 – II ZB 35/07

  1. Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft so-wie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl I S. 2449[]