Stimmt ein Wohnungseigentümer einer baulichen Maßnahme gemäß § 22 Abs. 1 WEG nicht zu, ist er gemäß § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG von den damit verbundenen Kosten befreit; es kommt nicht darauf an, ob seine Zustimmung gemäß § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG erforderlich war oder nicht. Er kann die Kostenfreistellung auch nach Bestandskraft des Beschlusses über die Durchführung der baulichen Maßnahme verlangen, sofern der Beschluss die Kostenverteilung nicht abschließend regelt.

Eine Kostenbefreiung setzt voraus, dass die Maßnahme – im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall eine Schwimmbaderweiterung – eine bauliche Veränderung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG darstellt. § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG ist nämlich weder auf Maßnahmen der ordnungsgemäßen Instandsetzung und Instandhaltung gemäß § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG anwendbar [1] noch auf Maßnahmen gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG [2].
Im entschiedenen Streitfall sieht der Bundesgerichtshof die Erweiterung des Schwimmbads als eine solche bauliche Veränderung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG an. Denn aufgrund der Umgestaltung des zuvor anderweitig genutzten Raumes war dieser Teil der Maßnahme keine modernisierende Instandsetzung im Sinne von § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG. Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme, dass sie nicht § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG i.V.m. § 559 Abs. 1 BGB unterfiel. Allerdings erlaubt § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG infolge der Verweisung auf § 559 Abs. 1 BGB die Beschlussfassung durch qualifizierte Mehrheit in mehreren, unterschiedlichen Fallvarianten und hat hierdurch einen weiten Anwendungsbereich [3]. Zudem gibt die angeordnete entsprechende Heranziehung der mietrechtlichen Regelung des § 559 Abs. 1 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Raum für eine großzügigere Handhabung des Modernisierungsbegriffes [4]. Im Hinblick auf die hier alleine in Betracht kommende Alternative einer Maßnahme, die den „Gebrauchswert (…) nachhaltig erhöht“ (§ 22 Abs. 2 Satz 1 WEG i.V.m. § 559 Abs. 1 Alt. 1 BGB) genügt es, dass die Maßnahme aus der Sicht eines verständigen Wohnungseigentümers eine sinnvolle Neuerung darstellt, die voraussichtlich geeignet ist, den Gebrauchswert der Sache nachhaltig zu erhöhen [5]. Die Mehrheitsmacht umfasst dagegen nicht eine Umgestaltung der Wohnanlage, die deren bisherige Eigenart ändert, wie etwa einen Anbau, eine Aufstockung, einen Abriss von Gebäudeteilen oder vergleichbare Änderungen [6]. Danach hält sich die Einschätzung, wonach die Einbeziehung des zuvor anders genutzten Raumes in den Schwimmbadbereich keine gebrauchswerterhöhende Maßnahme darstellt, in den Grenzen des revisionsrechtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren tatrichterlichen Ermessens. Dies gilt auch für die Annahme, die Schwimmbaderweiterung beeinträchtige Rechte des Klägers über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus mit der Folge, dass seine Zustimmung zu der Erweiterung des Schwimmbads erforderlich gewesen wäre. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Beschluss über die Sonderumlage dahingehend ausgelegt hat, dass er keine abschließende Regelung der Kostenverteilung enthielt.
Infolgedessen richtet sich die Verteilung der Kosten nach § 16 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG. Ob die in § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG vorgesehene Kostenbefreiung auch zugunsten derjenigen Wohnungseigentümer eintritt, die der Maßnahme nicht zugestimmt haben, obwohl dies gemäß § 14 Nr. 1 WEG erforderlich gewesen wäre, ist umstritten. Die überwiegende Ansicht sieht die Erforderlichkeit der Zustimmung für die spätere Kostenbefreiung als unerheblich an [7]. Nach anderer Auffassung, der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, ist die Vorschrift nur auf diejenigen Wohnungseigentümer bezogen, die der Maßnahme nicht zustimmen mussten [8]. Der von dem Berufungsgericht herangezogene Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18.01.1979 [9] stützt diese Rechtsauffassung nicht. Er befasst sich zwar mit der Kostenbefreiung zugunsten der nicht zustimmungspflichtigen Wohnungseigentümer, nicht aber mit der Kostenverteilung in Folge eines Beschlusses, der ohne die erforderlichen Zustimmungen Bestandskraft erlangt hat.
Richtigerweise hängt die in § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG angeordnete Kostenbefreiung nicht davon ab, ob die Zustimmung des Wohnungseigentümers zu der Maßnahme gemäß § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG erforderlich war oder nicht.
Dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist eine solche Differenzierung nicht zu entnehmen. Maßgeblich ist danach nur, dass der Wohnungseigentümer einer Maßnahme nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG nicht zugestimmt hat, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt wird oder nicht. Dagegen meint das Berufungsgericht, seine Auslegung sei deshalb mit dem Wortlaut vereinbar, weil die Zustimmung durch die Bestandskraft des Beschlusses ersetzt werde. Das überzeugt nicht. Die Problematik kann nämlich nur entstehen, wenn der Beschluss keine abschließende Regelung der Kostenverteilung enthält. In diesem Fall hat der Eintritt der Bestandskraft keine Auswirkungen auf die Kostenverteilung. Die Bestandskraft reicht nicht weiter als der Inhalt des Beschlusses; sie bewirkt nur, dass ein nicht rechtzeitig angefochtener Beschluss gültig ist, § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG. Folge ist eine Duldungspflicht, nicht aber eine Fiktion der Zustimmung. Vielmehr ist der Beschluss gültig, obwohl die Zustimmung (nach wie vor) fehlt.
Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift im Hinblick auf die Eigentümer, die der Maßnahme nicht zugestimmt haben, lässt sich auch nicht im Wege einer teleologischen Reduktion erreichen.
Eine teleologische Reduktion erfordert, dass der Anwendungsbereich der Norm planwidrig zu weit gefasst worden ist [10]. Die Gesetzgebungsgeschichte ist unergiebig. Mit § 16 Abs. 6 Satz 1 WEG in der ab dem 1.07.2007 geltenden Fassung ist die Regelung des § 16 Abs. 3 WEG aF wortgleich übernommen worden, obwohl die hier in Rede stehende Auslegungsfrage schon vor der Neufassung umstritten war. Ob dieses Problem erkannt und nicht für regelungsbedürftig gehalten oder aber übersehen worden ist, lässt sich den Materialien nicht entnehmen. Deshalb könnte eine teleologische Reduktion nur dann erfolgen, wenn Sinn und Zweck der Vorschrift sie eindeutig erforderten. Das ist nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat zwar mit teilweise erwägenswerten Überlegungen begründet, warum es eine Anwendung der Norm auf die zustimmungspflichtigen Wohnungseigentümer nicht für sinnvoll erachtet. Zwingend ist aber keines dieser Argumente.
Richtig ist allerdings, dass die Kostentragung häufig erst nach Durchführung der Maßnahme im Zusammenhang mit der Jahresabrechnung geregelt wird. Auch kann die Kostenbefreiung einzelner Wohnungseigentümer Folgeprobleme im Hinblick auf den Gebrauch der baulichen Maßnahme nach sich ziehen. Demgegenüber führt die Auffassung des Berufungsgerichts zu dem nicht ohne weiteres einleuchtenden Ergebnis, dass ein Wohnungseigentümer, der besonders beeinträchtigt wird, durch einen rechtswidrigen Beschluss Kostennachteile hinnehmen muss. Für die dem Wortlaut entsprechende Anwendung der Norm spricht jedenfalls, dass sie anders als die Gegenauffassung die oft schwierig zu beantwortende Frage entbehrlich macht, ob ein Wohnungseigentümer über das Maß des § 14 Nr. 1 WEG hinaus beeinträchtigt wird. Sie bewirkt auch, dass der Beschluss über die bauliche Maßnahme nicht allein im Hinblick auf die Kostenfolge angefochten wird. Schließlich ist zu bedenken, dass § 16 Abs. 6 Satz 1 WEG einen begrenzten Anwendungsbereich hat, weil sich die Norm – wie eingangs ausgeführt – allein auf bauliche Veränderungen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG bezieht. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist durch die Neuregelung des § 22 Abs. 2 WEG und die damit verbundene Stärkung der Mehrheitsmacht eingeschränkt worden. Dass Wohnungseigentümer sich an den Kosten für die verbleibenden Maßnahmen, die weder eine modernisierende Instandsetzung noch eine Modernisierungsmaßnahme im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG i.V.m. § 559 Abs. 1 BGB darstellen, nur dann beteiligen müssen, wenn sie der Durchführung zugestimmt haben, ist ein zumindest vertretbares Ergebnis. Ohnehin steht es den Wohnungseigentümern frei, gemäß § 16 Abs. 4 WEG mit qualifizierter Mehrheit eine Kostenverteilung zu beschließen, die dem Gebrauch oder der Möglichkeit des Gebrauchs Rechnung trägt; auch in diesem Fall ist § 16 Abs. 6 Satz 1 WEG unanwendbar, § 16 Abs. 6 Satz 2 WEG.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. November 2011 – V ZR 65/11
- BGH, Urteil vom 13.05.2011 – V ZR 202/10, NJW 2011, 2660 Rn. 15[↩]
- Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 22 Rn. 350; Jennißen in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 16 Rn. 153; Timme/Bonifacio, WEG, § 22 Rn. 259[↩]
- vgl. Häublein, NZM 2007, 752, 759[↩]
- BGH, Urteil vom 18.02.2011 – V ZR 82/10, NZM 2011, 281 Rn. 9[↩]
- BGH, aaO.[↩]
- BT-Drucks. 16/887 S. 30[↩]
- OLG Düsseldorf, NZM 2006, 109 f.; OLG Hamm, NJW-RR 1997, 970, 971; OLG München, ZMR 2008, 905; Becker in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 16 Rn. 141; Jennißen in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 16 Rn. 153; anders als in der Vorauflage auch Niedenführ in Niedenführ /Kümmel/Vandenhouten, WEG, 9. Aufl., § 16 Rn. 86; Riecke/Schmid/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 16 Rn. 284; Staudinger/Bub, BGB [2005], § 16 WEG Rn. 256; Timme/Bonifacio, WEG, § 16 Rn. 237; Becker, ZWE 2011, 231 f.; Blankenstein, DWE 2011, 87, 91 f.; Gottschalg, NZM 2004, 529 f.[↩]
- Spielbauer/Then, WEG, § 16 Rn. 71; Demharter, MDR 1988, 265, 266 f.[↩]
- VII ZB 19/78, NJW 1979, 817, 818[↩]
- BVerfGE 88, 145, 167; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 210 f., 219 f.[↩]