Im Fall eines Kletterunfalls besteht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen eine sichernde Person, die einen anderen Kletterer gesichert hat, es sei denn, dass der sichernden Person ein fahrlässiges Fehlverhalten bewiesen werden kann. Dagegen hat die Betreiberin der Kletterhalle ihre Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt, dass erkennbar war, dass aufgrund der räumlichen Enge Personen in den Sturzraum von Kletterern geraten konnten.

So hat das Oberlandesgericht Stuttgart in dem hier vorliegenden Fall entschieden und der Betriebsführergesellschaft der Kletteranlage die überwiegende Haftung und dem Kläger ein Mitverschulden von lediglich mit 25 % zugesprochen. Im Oktober 2011 ereignete sich in einem Durchgangsbereich zwischen zwei Kletterhallen. In diesem ca. 2,80 m breiten und ca. 8 m langen Durchgang befanden sich damals (die Situation ist heute eine andere) an beiden Seitenwänden Klettervorrichtungen, auf der einen Seite zum Seil-Klettern, auf der anderen Seite insbesondere für Kinder und Jugendliche zum Bouldern. Der damals 36 Jahre alte Kläger, der zum Unfallzeitpunkt selbst weder kletterte noch sicherte, wurde durch einen herabstürzenden Kletterer getroffen; er erlitt u.a. mehrfache Frakturen der Wirbelsäule und ist seither querschnittsgelähmt. Der Kläger hat deswegen den herabstürzenden Kletterer und die diesen mit Seil und Sicherungsgerät sichernde Frau sowie die Betriebsführerin der Kletteranlage beim Landgericht Stuttgart auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt mehr als 600.000 € verklagt.
Das Landgericht Stuttgart1 hat die streitigen Fragen der Höhe der Ansprüche zurückgestellt und in einem sehr aufwändigen Verfahren mit Zeugen und mehreren Sachverständigen zunächst nur über die Haftung dem Grunde nach entschieden. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass gegen den kletternden Mann kein Anspruch bestehe. Insoweit hat der Kläger das Urteil des Landgerichts akzeptiert. Mit seiner Berufung hat der Kläger das erstinstanzliche Urteil angegriffen, wonach die Betriebsführerin der Kletteranlage ihm gegenüber nicht hafte. Umgekehrt greift die damals sichernde Frau das Urteil des Landgerichts, wonach sie dem Kläger zu 100 % hafte, mit ihrer Berufung an.
In seiner Urteilsbegründung hat das Oberlandesgericht Stuttgart ausgeführt, dass es dem Kläger nicht gelungen ist, ein fahrlässiges Fehlverhalten der sichernden Frau zu beweisen. Dass die beklagte Frau – die sich in erster Linie auf den Kletterer zu konzentrieren hatte – erkannte, dass der Kläger im Sturzbereich stand, war im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Außerdem ist das Oberlandesgericht Stuttgart nach einer detaillierten Befragung des Sachverständigen nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte einen Sicherungsfehler begangen hat. Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen ist nämlich nicht auszuschließen, dass es durch eine Verkettung unglücklicher, der Beklagten nicht im Sinne einer Fahrlässigkeit vorzuwerfender Umstände zu dem bodennahen Sturz des Kletterers kam. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat insoweit auch festgestellt, dass eine nähere Aufklärung, etwa durch ein weiteres Sachverständigengutachten, nicht möglich ist.
Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht Stuttgart in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landgerichts entschieden, dass die Betriebsführergesellschaft durch die damalige Anlage von zahlreichen Kletter- und Boulderrouten in dem relativ engen und häufig stark frequentierten Durchgang zwischen zwei Kletterhallen ihre Verkehrssicherungspflicht fahrlässig verletzt hat, weil es für deren verantwortliche Mitarbeiter vorhersehbar und vermeidbar war, dass durch die räumliche Enge in dem Durchgangsbereich Personen viel häufiger als an anderen Stellen der Anlage in den Sturzraum von Kletterern geraten.
Dagegen ist das Oberlandesgericht Stuttgart jedoch der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht gefolgt, die von der Betriebsführerin geschaffene räumliche Situation in dem Durchgangsbereich sei für den Unfall nicht ursächlich. Die – wie der Unfall zeigt, unzutreffende – damalige Meinung des Klägers, er befinde sich von der Kletterwand aus gesehen hinter der Sichernden niemals im gefährlichen Sturzraum des Kletterers, gibt keinen Anlass zu unterstellen, der Kläger hätte sich auch dann nicht weiter von der Gefahrenzone entfernt, wenn dies räumlich möglich gewesen wäre.
Allerdings ist das Oberlandesgericht davon überzeugt, dass auch der Kläger, selbst ein Kletterer, die Gefahrensituation hätte erkennen und vermeiden können und dass ihn deswegen ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. In Abwägung der Verursachungsbeiträge der Betriebsführergesellschaft und des Klägers sieht das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Grundurteil die überwiegende Haftung bei der Betriebsführerin der Kletteranlage, so dass das Mitverschulden des Klägers lediglich mit 25 % zu bewerten ist.
In einem zweiten Schritt wird nun auf der Basis dieser Quote über die Höhe der Ansprüche des Klägers gegen die Betriebsführergesellschaft Beweis zu erheben und zu entscheiden sein – falls sich die Parteien insoweit nicht noch einigen.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 17. März 2020 – 6 U 194/18
- LG Stuttgart, Urteil vom 13.07.2018 – 3 O 38/15[↩]
Bildnachweis:
- Kletterhalle,Bouldern: Pixabay