Die Vorfälligkeitsentschädigung in einem "negativen" Zinsumfeld.

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB in einem „negativen“ Zinsumfeld zu befassen:

Die Vorfälligkeitsentschädigung in einem "negativen" Zinsumfeld.

Dem zugrunde lag ein Rechtsstreit um die Rückzahlung einer vom klagenden Darlehensnehmer gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung. Die Parteien schlossen am 17.04.2009 einen Immobiliar-Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 350.000 €. Mit einer Anschlusszinsvereinbarung vom 31. Januar/6.02.2014 verlängerten sie die Zinsbindung bis zum 30.04.2024. Für die auf Wunsch des Darlehensnehmers erfolgte vorzeitige Darlehensrückzahlung stellte ihm die Bank eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 33.317,74 € nebst Kosten in Höhe von 150 € in Rechnung, die der Darlehensnehmer im Juni 2021 zahlte. Die Vorfälligkeitsentschädigung umfasste in der Berechnung der Bank auch einen Anteil für „negative Zinsen“ in Höhe von 2.600, 93 €.

Die auf Zahlung von 33.317,74 € nebst Verzugszinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hatte erstinstanzlich vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth in Höhe von 2.750,93 € Erfolg1. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Bank hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Klage auch im Hinblick auf Kosten von 150 € abgewiesen und die Berufung im Übrigen, d.h. in Höhe von 2.600, 93 €, zurückgewiesen2. Mit der vom Oberlandesgericht Nürnberg zugelassenen Revision verfolgt die Bank ihren Klageabweisungsantrag weiter und war vor dem Bundesgerichtshof erfolgreich. Der Bundesgerichtshof änderte die Urteile der Vorinstanzen ab und wies die Klage insgesamt ab.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg hat der Darlehensnehmer keinen Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB. Die Bank hat die Vorfälligkeitsentschädigung insgesamt mit Rechtsgrund erlangt.

Nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB hat der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung des Darlehensvertrags entsteht (Vorfälligkeitsentschädigung).

Das Oberlandesgericht Nürnberg ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Bank den Schaden, der ihr durch die Nichtabnahme oder durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entsteht, sowohl nach der Aktiv-Aktiv-Methode als auch nach der Aktiv-Passiv-Methode berechnen kann3

Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht Nürnberg angenommen, dass sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers bei der von der Bank gewählten Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode als Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei vereinbarungsgemäßer Durchführung des Darlehensvertrags tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite darstellt, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der freigewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Vorfälligkeitsentschädigung abzuzinsen4

Nach diesen Maßgaben hat das Oberlandesgericht Nürnberg zu Unrecht angenommen, dass die von der Bank errechnete Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe des im Revisionsverfahren noch streitigen Teilbetrags von 2.600, 93 € unberechtigt sei. Dies trifft nicht zu.

Im Ausgangspunkt noch zutreffend hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Rendite einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen, die der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank entnommen werden kann, herangezogen5. Die Statistik der Deutschen Bundesbank liefert auf der Grundlage tatsächlich durchgeführter Wertpapiergeschäfte ein hinreichend repräsentatives Bild der Rückkaufrenditen von Pfandbriefen, die gerade von Hypothekenbanken erzielbar sind6. Wird dort der Markt mit einem negativen Wiederanlagezins abgebildet, bedeutet dies, dass die Bank mit dem vorzeitig zurückgeführten Darlehensbetrag bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen nicht nur keine Vorteile erwirtschaften kann, sondern einen Schaden erleidet7.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg ist dieser Schaden bei der Bemessung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen. Der Darlehensgeber soll durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt werden, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Die vom Darlehensnehmer in solchen Fällen angestrebte Änderung des Darlehensvertrags erschöpft sich somit letztlich in der Beseitigung der vertraglichen – zeitlich begrenzten – Erfüllungssperre, d.h. in einer Vorverlegung des Erfüllungszeitpunkts8. Der mit der Aktiv-Passiv-Methode berechnete Zinsverschlechterungsschaden umfasst daher auch die bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen anfallenden negativen Renditen. Diese sind Ausdruck der im Rückzahlungszeitpunkt bestehenden Zinslandschaft, der sich die Bank aufgrund der vorzeitigen Vertragserfüllung ausgesetzt sieht9.

Der vom Oberlandesgericht Nürnberg angestellte Vergleich der Aktiv-Aktiv-Methode mit der Aktiv-Passiv-Methode ist unbehelflich. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt der Bank zwischen beiden Berechnungsmethoden ein Wahlrecht zu10, wobei die Aktiv-Passiv-Methode darüber hinweghilft, dass es einer Bank häufig nicht möglich oder zumutbar ist, durch eine vorzeitige Darlehensablösung frei gewordene Mittel laufzeitkongruent in gleichartige Darlehen anzulegen. Sie gestattet der Bank daher, ihren Nichterfüllungsschaden oder ihre Vorfälligkeitsentschädigung auf der Grundlage einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der frei gewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln zu berechnen11. Dies gilt unabhängig vom jeweiligen Zinsumfeld. 

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg führen die Gesetzgebungsmaterialien zu keinem anderen Ergebnis.

Der Gesetzgeber hat mehrfach die von der Bundesgerichtshofsrechtsprechung entwickelten Berechnungsgrundsätze zur Vorfälligkeitsentschädigung gebilligt und bewusst davon abgesehen, diese für Immobiliar-Darlehensverträge näher gesetzlich zu kodifizieren12. Die von der Bundesgerichtshofsrechtsprechung entwickelten Berechnungsmethoden dienen der Ermittlung des dem Darlehensgeber durch die vorzeitige Darlehensablösung entstandenen Schadens, ohne ihn im Ergebnis finanziell zu benachteiligen oder zu begünstigen, und vermeiden daher gerade auch eine Überkompensation des Darlehensgebers13. Dabei begründet es keinen Verstoß gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, dass eine abstrakte Schadensermittlung vorgenommen wird. Dies ist den Besonderheiten des Geschäftsbetriebs von darlehensgebenden Banken geschuldet und verhindert, dass der materielle Ersatzanspruch durch praktisch nicht erfüllbare Beweisanforderungen seine Wirkung verliert14. Dies verkennt das Oberlandesgericht Nürnberg, wenn es Vortrag der Bank zu einem tatsächlich erlittenen Schaden vermisst. Dieser ist nicht erforderlich, weil die Schadensberechnung nach der Aktiv-PassivMethode auf eine fiktive Wiederanlage abstellt15

Soweit das Oberlandesgericht Nürnberg sich auf eine Entscheidung des Obergerichts des Kantons Zürich16 stützt, betrifft diese schon nicht das anwendbare nationale Recht und verhält sich im Übrigen einzelfallbezogen dazu, ob eine einschlägige Regelung im streitgegenständlichen Kreditvertrag eine Auslegung dahingehend zulässt, „negative“ Wiederanlagezinsen bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen.

Das Berufungsurteil war mithin auf die Revision aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgte und keine weiteren Feststellungen erforderlich waren, sondern die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts Nürnberg zur Endentscheidung reif war, hat der Bundesgerichtshof eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. März 2024 – XI ZR 159/23

  1. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 24.08.2022 – 10 O 1623/22[]
  2. OLG Nürnberg, Urteil vom 25.07.2023 – 14 U 2764/22, MDR 2023, 1464[]
  3. BGH, Urteile vom 01.07.1997 – XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 168 ff. und – XI ZR 197/96, WM 1997, 1799, 1801; vom 07.11.2000 – XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 10 ff.; vom 30.11.2004 – XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196, 201; vom 20.02.2018 – XI ZR 445/17, WM 2018, 782 Rn. 37; und vom 05.11.2019 – XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 43[]
  4. BGH, Urteile vom 01.07.1997 – XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 171; vom 07.11.2000 – XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 10 f.; vom 30.11.2004 – XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196, 201; und vom 20.02.2018 – XI ZR 445/17, WM 2018, 782 Rn. 37[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 07.11.2000 – XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 12 f.; und vom 30.11.2004 – XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196, 201[]
  6. BGH, Urteil vom 30.11.2004, aaO, BGHZ 161, 196, 203[]
  7. vgl. Ausführungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Vorfälligkeitsentschädigung vom 18.09.2018, S. 99; OLG Stuttgart, BKR 2022, 588 Rn. 58 ff.; OLG Hamburg, Urteil vom 23.03.2022 – 13 U 102/21 32; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.10.2022 – 3 U 201/21 41; Haffner/Reichart, AJP/PJA 2015, 1398, 1406[]
  8. BGH, Urteil vom 01.07.1997 – XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 166[]
  9. vgl. OLG Stuttgart, BKR 2022, 588 Rn. 58 ff.; OLG Hamburg, Urteil vom 23.03.2022 – 13 U 102/21 32; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.10.2022 – 3 U 201/21 41; BeckOGK BGB/C. Weber, Stand: 01.11.2023, § 490 Rn. 125.3; BeckOK BGB/Rohe, 68. Ed., Stand 01.11.2023, § 490 Rn. 31; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearbeitung 2015, § 490 Rn. 97; Samhat in Ellenberger/Bunte, BankrechtsHandbuch, 6. Aufl., § 54 Rn. 181; Rösler/Wimmer/Lang, Vorzeitige Beendigung von Darlehensverträgen, 2. Aufl., Rn. 980; Rösler/Wimmer, NJW 2021, 1194, 1196; aA Schwintowski in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: 23.01.2024, § 490 BGB Rn. 51.2; Löhmer, NJW 2020, 367 ff.; Wehrt, BKR 2018, 221, 230 f.[]
  10. vgl. nur BGH, Urteil vom 05.11.2019 – XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 43 mwN[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 01.07.1997 – XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 170 mwN; Menges in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., D. Bank- und Börsenrecht IV: Das Kreditgeschäft und die Kreditsicherung Rn. 107[]
  12. vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 254 f.; BT-Drs. 16/11643, S. 87; BT-Drs. 18/5922, S. 91[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2016 – XI ZR 388/14, BGHZ 208, 290 Rn. 29[]
  14. vgl. BGH, Urteile vom 01.07.1997 – XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 170; und vom 07.11.2000 – XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 11; Samhat in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 54 Rn. 177; Binder, WM 2019, 757, 764[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 07.11.2000, aaO; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 83. Aufl., § 488 Rn. 17[]
  16. Obergericht Zürich, Urteil vom 22.08.2019 – PP190013-O/U[]