Eine die Inkongruenz begründende Drohung mit einem Insolvenzantrag kann auch dann vorliegen, wenn die Möglichkeit eines solchen Vorgehens im Mahnschreiben nur „zwischen den Zeilen“ deutlich gemacht, aber dem Schuldner das damit verbundene Risiko klar vor Augen geführt wird. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der Androhung des Insolvenzantrags und der angefochtenen Deckungshandlung ist gegeben, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung aus objektivierter Sicht die Wirkungen der Drohung noch angedauert haben.

Im vorliegend vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte der vom Gläubiger beauftragte Rechtsanwalt die Schuldnerin unter Setzung einer Zahlungsfrist angemahnt. Anschließend heißt es in der Mahnung: „Sollten Sie diese Frist verstreichen lassen, bin ich beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um die Forderung meines Mandanten durchzusetzen, d.h., wir werden ohne weitere Mahnung Klage erheben. Mein Mandant kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass … (die Schuldnerin) nicht in der Lage ist, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen (wofür in der Tat einiges spricht). Sollte sich dieser Verdacht erhärten und wir keinen Zahlungseingang innerhalb der vorgegebenen Frist verzeichnen können, so behalten wir uns ausdrücklich vor, Insolvenzantrag zu stellen.“
Die Schuldnerin überwies daraufhin die Forderung, stellte aber drei Monate später einen Eigenantrag, aufgrund dessen das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter focht nun die erfolgte Zahlung gegenüber dem Gläubiger an, da die Schuldnerin bereits zum Zeitpunkt von Mahnung und Zahlung zahlungsunfähig gewesen sei. Die Zahlung sei inkongruent, weil der Vertreter des Gläubigers die Schuldnerin mit der Drohung, Insolvenzantrag zu stellen, unter Druck gesetzt habe. Dem anwaltlichen Vertreter des Gläubigers sei die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin aus einer Vielzahl von Mandaten bekannt gewesen.
Wie zuvor bereits das Brandenburgische Oberlandesgericht1 bejahte auch der Bundesgerichtshof die Anfechtbarkeit der erfolgten Zahlung:
Die Annahme, es liege eine Drohung mit einem Insolvenzantrag vor, ist für den Bundesgerichtshof nicht zu beanstanden:
Wer den Insolvenzantrag zur Durchsetzung von Ansprüchen eines einzelnen Gläubigers missbraucht, erhält eine Leistung, die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf diesem Weg nicht zusteht. Die Leistung ist inkongruent, auch außerhalb des Dreimonatszeitraums der Deckungsanfechtung2.
Entsprechendes gilt, wenn ein Insolvenzantrag nicht gestellt, sondern nur angedroht ist3. Eine die Inkongruenz begründende Drucksituation ist dann anzunehmen, wenn sich die mit der Mahnung verbundenen Hinweise auf ein mögliches Insolvenzverfahren nicht in Unverbindlichkeiten erschöpfen, sondern gezielt als Mittel der persönlichen Anspruchsdurchsetzung verwendet werden4. Wo genau bei der mit einem angekündigten Insolvenzantrag zusammenhängenden Zahlungsaufforderung die Grenze zwischen einer unbedenklichen Mahnung und einer die Inkongruenz begründenden Drohung verläuft, hat der Bundesgerichtshof bislang allerdings offengelassen5.
Diese Grenze ist hier überschritten. Eine zur Abwendung der Einzelzwangsvollstreckung erbrachte Leistung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs inkongruent, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner – objektivierten – Sicht damit rechnen muss, dass ohne sie der Gläubiger nach dem Ablauf der Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung beginnt6. Für die Frage, ob eine die Inkongruenz begründende Drohung mit einem Insolvenzantrag vorliegt, ist es ausreichend, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner – ebenfalls objektivierten – Sicht ernsthaft damit rechnen muss, der Gläubiger werde nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist Insolvenzantrag stellen. Hierfür genügt eine Formulierung, die dies zwar nicht ausdrücklich androht, ein derart geplantes Vorgehen aber „zwischen den Zeilen“ deutlich werden lässt7.
Zwar ist zuzugeben, dass die zahlungsauslösende Mahnung des Anwalts des Gläubigers für den Fall der Nichtzahlung in erster Linie Klageerhebung androhte, was unbedenklich ist. Nachfolgend wird jedoch dargestellt, dass der Mandant den Eindruck habe, die Schuldnerin sei zahlungsunfähig. Nach Auffassung des Gläubigersvertreters spreche hierfür einiges. Zahlungsunfähigkeit ist, was bekannt ist, allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren (vgl. § 17 Abs. 1 InsO). Ein Insolvenzantrag wird für den Fall „vorbehalten“, dass sich der Verdacht erhärten sollte und kein Zahlungseingang festzustellen sei. Dem Wortlaut nach wird damit zwar noch kein Insolvenzantrag angekündigt. Zudem müsste sich der Verdacht der Zahlungsunfähigkeit erhärten, wobei unklar bleibt, ob hierfür aus Gläubigersicht die Nichtzahlung ausreicht. Für den Schuldner wird durch eine solche Formulierung allerdings klar erkennbar die Möglichkeit des Insolvenzantrags in den Raum gestellt; er soll sich gerade des damit verbundenen Risikos bewusst werden. Dies ist jedoch ausreichend, um die Wirkung einer Drohung mit einem Insolvenzantrag zu entfalten.
Der Beklagte verlangte von der Schuldnerin ein Verhalten, welches auf seine Bevorzugung auf Kosten der übrigen Gläubiger hinauslief und damit den im Insolvenzverfahren geltenden Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger zuwiderlief8.
Das Berufungsgericht hat auch den erforderlichen zeitlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Drohung und Zahlung zutreffend bejaht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedarf es auch im Falle der Drohung mit einem Insolvenzantrag eines Zurechnungszusammenhangs zwischen der Drohung und der Zahlung. Entscheidend ist hierbei, ob die aus objektivierter Sicht zu beurteilende Wirkung der Androhung bis zur Zahlung fortgewirkt hat, gegebenenfalls über die gesetzte Zahlungsfrist hinaus8. Hier erfolgte die Zahlung einen Tag nach Ablauf der gesetzten Frist. Die Wirkungen der Drohung gegen die Schuldnerin dauerten offenkundig noch an.
Ob der von dem Gläubigersvertreter durch die „zwischen den Zeilen“ angekündigte Insolvenzantragstellung ausgeübte Druck bei der Schuldnerin im Einzelfall konkret den Entschluss hervorrief, die Leistung zu bewirken, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Es genügt, dass die Androhung objektiv hierzu geeignet war. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang bezieht sich lediglich auf das Zeitmoment. Ist dieses gegeben, hat der Gläubiger eine Leistung erhalten, die er in der Art – nach Androhung eines Insolvenzantrags – nicht zu beanspruchen hatte, weil es den Zwecken eines Insolvenzantrags zuwider läuft, mit diesem Mittel die Durchsetzung von Ansprüchen einzelner Gläubiger zu verfolgen9.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 216/12
- OLG Brandenburg, Urteil vom 20.07.2012 – 7 U 123/11[↩]
- BGH, Urteil vom 18.12.2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 246 f; vom 18.06.2009 – IX ZR 7/07, ZIP 2009, 1434 Rn. 5; vom 25.10.2012 – IX ZR 117/11, WM 2012, 2251 Rn. 10[↩]
- BGH, Urteil vom 29.04.1999 – IX ZR 163/98, ZIP 1999, 973, 974; vom 18.12.2003, aaO S. 247[↩]
- BGH, Urteil vom 18.12.2003, aaO S. 247 f; vom 18.06.2009, aaO Rn. 5[↩]
- BGH, Urteil vom 18.12.2003, aaO S. 248[↩]
- BGH, Urteil vom 15.05.2003 – IX ZR 194/02, ZIP 2003, 1304, 1305; vom 18.12.2003, aaO S. 248[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.11.2008 – 4 StR 495/08, NStZ 2009, 263[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2003, aaO S. 248[↩][↩]
- BGH, Urteil vom 18.12.2003, aaO S. 246[↩]