Erledigungserklärung – und die zwischenzeitliche Zwangsvollstreckung

Wenn die Parteien bei einer Unterlassungsklage die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat das Gericht bei der gemäß § 91a Abs. 1 ZPO zu treffenden Kostenentscheidung grundsätzlich keinen Anlass zu prüfen, ob die Erledigungserklärung des Gläubigers auch auf die Vergangenheit bezogen war, wenn die Parteien keine gegenteiligen Anträge stellen.

Erledigungserklärung – und die zwischenzeitliche Zwangsvollstreckung

Im vorliegenden Rechtsstreit stritten die Parteien um Ordnungsgeldbeschlüsse, die erlassen worden waren, bevor beide Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Das Oberlandesgericht München befand, die Ordnungsgeldbeschlüsse seien nicht entsprechend § 775 Nr. 1, § 776 Satz 1 ZPO aufzuheben, weil die Erledigungserklärung des Gläubigers vorliegend dahin auszulegen sei, dass ihr nur ab dem erledigenden Ereignis Wirkung zukommen sollte1. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies und wies die Schuldnerin der Vollstreckungsschuldnerin zurück:

Eine solche Beschränkung der Erledigungserklärung ist rechtlich möglich2.

Das Oberlandesgericht München ist im rechtlichen Ansatz zutreffend und insoweit von der Schuldnerin unangegriffen davon ausgegangen, dass die vom Gläubiger im Ausgangsverfahren abgegebene Erklärung der Erledigung der Hauptsache als Prozesshandlung auslegungsfähig ist. Es hat dabei zutreffend angenommen, dass nicht allein der Wortlaut der Erklärung maßgebend ist, sondern der erklärte Wille auch aus den Begleitumständen und insbesondere aus der Interessenlage hervorgehen kann, wobei im Zweifel dasjenige gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht3.

Weiterlesen:
Mieterhöhung und Kappungsgrenze - für die zu groß geratene Wohnung

Die Auslegung der Erledigungserklärung durch das Oberlandesgericht München hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Das Oberlandesgericht München hat es für die damit gebotene Auslegung der vom Gläubiger abgegebenen Erledigungserklärung mit Recht als auch aus der Sicht der Schuldnerin entscheidend angesehen, dass diese im Ausgangsverfahren im Termin vor dem Bundesgerichtshof am 9.10.2013 zuvor erklärt hatte, sie werde sich nach der Klärung der Frage durch den Gesetzgeber, ob ihre Versandhandelstätigkeit in Deutschland unter die deutschen Preisbindungsvorschriften für Arzneimittel falle, an das deutsche Gesetz halten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Gläubiger in dem Verhandlungstermin vor dieser Erklärung der Schuldnerin die Zurückweisung der Revision der Schuldnerin gegen deren vom Berufungsgericht bestätigte Verurteilung zur Unterlassung beantragt hatte, obwohl der deutsche Gesetzgeber mit dem am 26.10.2012 in Kraft getretenen § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG den Streit entschieden hatte, ob die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel für im Wege des Versandhandels nach Deutschland verbrachte Mittel gilt. Zwar kann die für den Verletzungsunterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ohne Abgabe einer hinreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung wegfallen, wenn der Verstoß unter der Geltung einer zweifelhaften Rechtslage erfolgt ist, die Zweifel aber durch eine Gesetzesänderung beseitigt worden sind und deshalb nunmehr außer Frage steht, dass das beanstandete Verhalten verboten ist4. Im Ausgangsverfahren hatte die Schuldnerin allerdings bis zu ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2013 stets auf dem Standpunkt gestanden, der Anwendung der in Deutschland für verschreibungspflichtige Arzneimittel geltenden Preisvorschriften auf im Wege des Versandhandels aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland eingeführte Mittel stehe das primäre Unionsrecht in Form der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) entgegen. Von diesem Standpunkt aus konnte die am 26.10.2012 in Kraft getretene Bestimmung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts zur Begründung eines Unterlassungsanspruchs nicht herangezogen werden. Das Landgericht hat daher im vorliegenden Vollstreckungsverfahren mit Recht darauf hingewiesen, dass die Wiederholungsgefahr im Ausgangsverfahren erst durch die von der Schuldnerin in der Revisionsverhandlung am 9.10.2013 in Widerspruch zu ihrem bis dahin vertretenen Rechtsstandpunkt abgegebene Erklärung, sie werde sich an die in § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG getroffene Regelung halten, weggefallen ist5.

Weiterlesen:
Geschützte Altersvorsorge bei Selbstständigen

Das Oberlandesgericht München hat bei seiner Auslegung der vom Gläubiger am 9.10.2013 ausgesprochenen Erledigungserklärung dem Umstand, dass die Schuldnerin die in den vorangegangenen Ordnungsmittelverfahren festgesetzten Ordnungsgelder nicht an den Gläubiger, sondern an die Staatskasse bezahlt hat, mit Recht keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Es hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ordnungsmittel einen repressiven, das heißt strafähnlichen Sanktionscharakter haben6. Damit lag die Aufrechterhaltung der Sanktionen zur Ahndung begangener Verstöße auch im Interesse des Gläubigers.

Die Schuldnerin rügt ohne Erfolg, der vom Oberlandesgericht München vorgenommenen Auslegung stehe entgegen, dass weder der protokollierte Wortlaut der Erledigungserklärung ein Anzeichen für eine zeitliche Einschränkung enthalte noch sonstige Umstände aus der Prozessgeschichte für eine zeitlich beschränkte Erledigungserklärung sprächen.

Nach der Bundesgerichtshofsrechtsprechung ist schon bei nur gestellten Ordnungsmittelanträgen in der Regel davon auszugehen, dass eine Erledigungserklärung nur für die Zukunft gelten und daher einen bereits erwirkten Unterlassungstitel als Grundlage für die Vollstreckung wegen zurückliegender Zuwiderhandlungen nicht in Frage stellen soll7. Umso weniger kann der Beklagte bei einer Erledigungserklärung des Klägers grundsätzlich annehmen, dass mit ihr bereits rechtskräftig entschiedenen und vollstreckten Ordnungsmittelanträgen nachträglich die Grundlage entzogen werden soll.

Anders als die Schuldnerin meint, kommt es nicht darauf an, dass die Schuldnerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof dieselbe Erklärung wie im Ausgangsverfahren noch in zwei weiteren vergleichbaren Revisionsverfahren abgegeben hat, in denen es zu keinen Vollstreckungsmaßnahmen gekommen war. Für die Auslegung der Prozesserklärung im vorliegenden Verfahren anhand einer bestimmten Prozessund Vollstreckungssituation sind jene weiteren Verfahren ohne Bedeutung. Dass die Schuldnerin die Erledigungserklärung im vorliegenden Verfahren nur auf die Zukunft ausgerichtet hat, zeigt ihr Vortrag im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Bamberg, in dem sie in einem unter dem 11.10.2013 eingereichten Schriftsatz den Standpunkt vertreten hat, das Ausgangsverfahren sei durch die Erledigungserklärung ex nunc beendet worden.

Weiterlesen:
Übergang von einer Feststellungsklage auf die Leistungsklage

Entgegen der Ansicht der Schuldnerin trifft es auch nicht zu, dass eine vom Gläubiger lediglich für die Zukunft abgegebene Erledigungserklärung der Schuldnerin keine Vorteile gebracht und diese deshalb einer solchen Erledigungserklärung nicht zugestimmt, sondern auf einer streitigen Entscheidung beharrt hätte, die sie durch das Bundesverfassungsgericht hätte überprüfen lassen können. Dafür, dass sich die Schuldnerin bei ihrer Zustimmung zu der Erledigungserklärung des Gläubigers im Ausgangsverfahren nicht von entsprechenden Erwägungen hat leiten lassen, spricht der Umstand, dass sie jedenfalls in den beiden anderen Verfahren, in denen es zu keinen Vollstreckungsmaßnahmen gekommen war, aus ihrer Sicht keinen Anlass gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof am 9.10.2013 ebenfalls wie geschehen der Hauptsacheerledigungserklärung der Klagepartei zuzustimmen.

Für vor Abgabe der Erledigungserklärung begangene Zuwiderhandlungen ist der Vollstreckungstitel nicht entfallen. Dazu bedurfte es keiner besonderen Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Vergeblich macht die Schuldnerin in diesem Zusammenhang geltend, der Bundesgerichtshof hätte bei einer nur in die Zukunft gerichteten Erledigungserklärung über den vor Eintritt der Erledigung liegenden Zeitraum durch streitiges Urteil entscheiden müssen. Dem kann nicht zugestimmt werden.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass nach einer auf die Zukunft beschränkten Erledigungserklärung der Unterlassungsanspruch für die Vergangenheit anhängig bleiben und über ihn eine Entscheidung ergehen kann8. Eine Entscheidung über diesen Teil setzt allerdings voraus, dass die Parteien dies beantragen. Das kann der Kläger durch einen entsprechenden Feststellungsantrag erreichen, und der Beklagte kann eine Entscheidung über das Bestehen des Unterlassungsanspruchs für die Vergangenheit durch eine Feststellungswiderklage oder dadurch erzwingen, dass er sich der Erledigungserklärung nicht anschließt. Erklären die Parteien aber den Rechtsstreit in der Hauptsache für die Zukunft für erledigt und stellen sie keine weitergehenden Anträge zum Unterlassungsantrag für die Vergangenheit, bleibt der Vollstreckungstitel für die Vergangenheit bestehen und es ergeht nur eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO. Danach hatte der Bundesgerichtshof nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden und ist entsprechend verfahren. Bei der Ausübung dieses Ermessens hatte er den bisherigen Sach- und Streitstand und daher mangels anderweitiger Anhaltspunkte zu berücksichtigen, ob die Unterlassungsklage im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG, zu dem sich die Hauptsache nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien erledigt hatte, Erfolg gehabt hätte oder nicht. Da er diese Frage bejaht hat, hat er die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO der Beklagten auferlegt9. In diesem Zusammenhang kam es nicht darauf an, ob die vom Gläubiger abgegebene Hauptsacheerledigungserklärung, der die Schuldnerin zugestimmt hatte, nur für die Zukunft oder auch für die Vergangenheit wirkte.

Weiterlesen:
Verzinsung gezahlter Gerichtskosten

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Januar 2016 – I ZB 102/14

  1. OLG München, Beschluss vom 13.10.2014 – 29 W 1474/14[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.2003 – I ZB 45/02, BGHZ 156, 335, 344 f. Euro-Einführungsrabatt[]
  3. vgl. BGHZ 156, 335, 346 Euro-Einführungsrabatt; BGH, Urteil vom 16.09.2009 – VI ZR 244/07, GRUR 2009, 83 Rn. 11 = WRP 2009, 71; Urteil vom 27.03.2015 – V ZR 296/13 8, jeweils mwN[]
  4. BGH, PharmR 2014, 257 Rn. 13 mwN[]
  5. vgl. BGH, PharmR 2014, 257 Rn. 13[]
  6. vgl. BGHZ 156, 335, 345 f. Euro-Einführungsrabatt, mwN[]
  7. vgl. BGHZ 156, 335, 346 Euro-Einführungsrabatt[]
  8. BGHZ 156, 335, 345 Euro-Einführungsrabatt[]
  9. BGH, Beschluss vom 26.02.2014 – I ZR 120/09 7 und 13[]