Heilung von Zustellmängeln im Parteibetrieb

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es gemäß § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

Heilung von Zustellmängeln im Parteibetrieb

Diese Heilung eines Zustellmangels durch Kenntnisnahme hat freilich seine Grenzen. So kommt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs die Heilung eines Zustellungsmangels nach § 189 ZPO nicht in Betracht, wenn ein von Amts wegen förmlich zuzustellendes Dokument im Parteibetrieb zugestellt wird.

Hintergrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs war ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, dass dem Beklagten noch vor der ordnungsgemäßen Zustellung durch das Gericht bereits – im Rahmen der Zwangsvollstreckung – auf Veranlassung des Klägers vom Gerichtsvollzieher übergeben wurde. Hiergegen legte der Beklagte Einspruch ein, allerdings erst 2 1/2 Wochen später, so dass die zweiwöchige Einspruchsfrist nur dann noch gewahrt war, wenn die Übergabe durch den Gerichtsvollzieher keine wirksame Zustellung darstellte und auch nicht die Zustellungsfiktion des § 189 ZPO auslöste. Diese Auffassung vertrat jetzt der Bundesgerichtshof und gab damit dem Beklagten Recht:

Die Einspruchsfrist beträgt gemäß § 339 Abs. 1 ZPO zwei Wochen und beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils, die nach § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgeschrieben ist. Im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 3 ZPO ergangene Versäumnisurteile sind an Verkündungs statt zuzustellen (§ 310 Abs. 3 ZPO) und werden erst durch die Zustellung an beide Parteien existent, so dass die Einspruchsfrist erst mit der letzten der von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen in Lauf gesetzt wird1.

Da der Klägerin das Versäumnisurteil zuerst zugestellt wurde, kommt es auf den Zeitpunkt der Zustellung an die Beklagte an. Maßgeblich für den Beginn der Einspruchsfrist ist die Amtszustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte am 15. Mai 2006. Die Einspruchsfrist begann nicht spätestens am 10. Mai 2006, als der Beklagten die ihr durch den Gerichtsvollzieher zugestellte beglaubigte Kopie des Versäumnisurteils tatsächlich zugegangen war. Die vorgeschriebene Amtszustellung kann nicht gemäß § 189 ZPO dadurch ersetzt werden, dass das Dokument im Parteibetrieb zugestellt wird und dem Zustellungsadressaten tatsächlich zugeht. Nach dieser Vorschrift gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

Zu der Frage, ob § 189 ZPO auch dann Anwendung findet, wenn ein förmliches Dokument, das von Amts wegen zugestellt werden muss, im Parteibetrieb zugestellt wird, werden in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Eine Meinung hält diese Vorschrift auch dann für anwendbar, wenn einer Partei ein von Amts wegen förmlich zuzustellendes Dokument im Wege der Parteizustellung tatsächlich zugegangen ist oder wenn ein im Parteibetrieb zuzustellendes Dokument von Amts wegen zugestellt wird2.

Nach anderer Ansicht können Verstöße gegen die Art der Zustellung gemäß § 189 ZPO nicht geheilt werden3.

Der Bundesgerichtshof teilt die zuletzt genannte Auffassung:

Dem Wortlaut des § 189 ZPO ist zwar nicht unmittelbar zu entnehmen, dass eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften nicht auch in der Wahl der falschen Zustellungsart liegen kann, zumal gemäß § 191 ZPO die Vorschriften über die Zustellung von Amts wegen auf die Zustellung im Parteibetrieb entsprechende Anwendung finden. Allerdings spricht der Zweck des § 189 ZPO dagegen, ihn auch bei Wahl der falschen Zustellungsart anzuwenden. Die Heilung von Mängeln, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, soll nach dem Willen des Gesetzgebers von Gesetzes wegen eintreten, wenn der Zustellungszweck erreicht ist4. Damit soll im Interesse der Rechtssicherheit wie auch der Prozesswirtschaftlichkeit der Nachweis der Tatsache und des Zeitpunkts des Zugangs sichergestellt werden5, wobei der Formalismus bei der Zustellung in Grenzen gehalten werden soll6.

Die danach gebotene weite Auslegung des § 189 ZPO darf aber nicht dazu führen, dass ein vollständiges Außerachtlassen des vorgeschriebenen förmlichen Zustellungsverfahrens als unschädlich angesehen wird, wenn nur das Dokument dem Empfänger irgendwie zugeht. Diese Einschränkung findet sich im Wortlaut des § 189 ZPO mittelbar wieder, soweit das Dokument „der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte“, zugegangen sein muss. Daraus folgt, dass eine förmliche Zustellung wenigstens angestrebt worden sein muss7. Auch der Gesetzgeber hat vorausgesetzt, dass das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zugestellt werden sollte, und einen entsprechenden Zustellungswillen hervorgehoben8. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in den bisher zu § 189 ZPO n.F. ebenso wie in den zu § 187 ZPO a.F. ergangenen Entscheidungen gefordert, dass das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt haben muss9. Eine solche Zustellungsabsicht des für die Zustellung von Amts wegen zuständigen Organs, grundsätzlich des Richters (§ 270 Abs. 1 Satz 1 ZPO), fehlt bei einer Zustellung im Parteibetrieb10. Der Wille zur Zustellung muss sich auf die – zwar mit Mängeln behaftete, aber durchgeführte – Zustellung beziehen; es genügt nicht, dass der Zugang des Dokuments letztendlich dem früher, etwa bei einem fehlgeschlagenen Zustellversuch, zum Ausdruck gekommenen Willen des zuständigen Organs entspricht.

Die Zustellungsabsicht des zuständigen Gerichts ist von besonderer Bedeutung, wenn – wie hier – mit der Zustellung eine Notfrist in Gang gesetzt wird. Nach § 187 Satz 2 ZPO a.F. konnte grundsätzlich keine Heilung von Zustellungsmängeln eintreten, soweit durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden sollte. Nunmehr eröffnet § 189 ZPO auch für diese Fälle die Möglichkeit einer Heilung11. Das entbindet aber nicht vom Erfordernis des Zustellungswillens, weil der Zustellungsadressat wegen der besonderen Bedeutung der Notfrist und der damit für ihn verbundenen Rechtsfolgen nur dann mit einer Heilung eines Zustellungsmangels rechnen muss, wenn er davon ausgehen kann, dass das Gericht ihm das zuzustellende Schriftstück tatsächlich zustellen wollte. Die Zustellungsabsicht des Kläger kann die des Gerichts nicht ersetzen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. Mai 2010 – IV ZR 14/08

  1. BGH, Beschluss vom 05.10.1994 – XII ZB 90/94, NJW 1994, 3359; Zöller/Herget, ZPO 28. Aufl. § 339 Rdn. 4[]
  2. OLG Celle OLGR 2000, 332, 333 f. zur Anwendbarkeit des § 187 ZPO a.F. bei Amtszustellung statt Parteizustellung einer einstweiligen Verfügung; OLG Hamm NJW 1955, 873, 874 zur Heilung nach § 187 ZPO a.F. bei Parteizustellung einer Streitverkündungsschrift; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 68. Aufl. § 189 Rdn. 6 – Stichwort „Amtszustellung“; HK-ZPO/Eichele § 189 Rdn. 4; MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl. § 189 Rdn. 6; Musielak/Wolst, ZPO 7. Aufl. § 189 Rdn. 2; Roth in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 189 Rdn. 14; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 189 Rdn. 11[]
  3. OLG München MDR 1998, 1243, 1244; PG/Kessen, ZPO 2. Aufl. § 189 Rdn. 5; Zöller/Stöber aaO § 189 Rdn. 3, anders noch in der 25. Aufl. § 189 Rdn. 6[]
  4. Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren [Zustellungsreformgesetz – ZustRG] – BT-Drs. 14/4554 S. 24 re. Sp. unten[]
  5. vgl. BGHZ 130, 71, 74; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann aaO Rdn. 2[]
  6. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hart-mann aaO m.w.N.[]
  7. MünchKomm/Häublein, a.a.O., Rdn. 1[]
  8. BT-Drs. 14/4554, a.a.O.[]
  9. BGHZ 7, 268, 270; BGH, Beschlüsse vom 26.11.2002 – VI ZB 41/02, NJW 2003, 1192, m.w.N.; und vom 04.11.1992 – XII ZB 130/92, FamRZ 1993, 309; Urteil vom 16.10.1956 – VI ZR 174/55, NJW 1956, 1878, 1879[]
  10. PG/Kessen aaO; Zöller/Stöber, a.a.O.[]
  11. BT-Drks., a.a.O., S. 25 li. Sp. oben[]