Mehrere Grundstücke in der Zwangsversteigerung – und die nicht erreichte Wertgrenze

Werden mehrere Grundstücke sowohl einzeln als auch gemeinsam ausgeboten und ist dem nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG günstigeren Gesamtmeistgebot wegen Nichterreichens der Wertgrenze des § 85a ZVG der Zuschlag zu versagen, ist auf die Einzelmeistgebote zurückzugreifen.

Mehrere Grundstücke in der Zwangsversteigerung – und die nicht erreichte Wertgrenze

Nach überwiegender Meinung, die sich auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 19.05.1995 stützt1, kann bei der Versteigerung mehrerer Grundstücke, wenn der Gebotsvergleich nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG zugunsten des Gesamtausgebots ausfällt, aber im Hinblick auf § 85a oder § 74a ZVG eine Zuschlagserteilung ausscheidet, im Versteigerungstermin auf die Ergebnisse der Meistgebote auf die Einzelausgebote zurückgegriffen werden. Der Grundsatz des Einzelausgebots (§ 63 Abs. 1 ZVG) werde durch ein in der Gesamtheit günstigeres, für den Zuschlag aber unzulängliches Ergebnis beim Gesamtausgebot nicht verdrängt2. Nach einer Gegenauffassung ist im Hinblick auf das Interesse aller Beteiligten an einer möglichst günstigen Verwertung der Grundstücke ein Rückgriff auf die – gegenüber dem Gesamtausgebot ungünstigeren – Einzelausgebote unzulässig3.

Die herrschende Meinung trifft zu. Aus dem gesetzlichen Vorrang der Einzelausgebote folgt, dass sie nicht in Wegfall geraten, wenn das Meistgebot auf das Gesamtausgebot nach § 85a Abs. 1 ZVG nicht zuschlagsfähig ist.

Das Zwangsversteigerungsgesetz geht auch bei mehreren in demselben Verfahren zu versteigernden Grundstücken (§ 18 ZVG) von dem Grundsatz der Einzelversteigerung aus (§ 63 Abs. 1 ZVG); nur ausnahmsweise können neben dem Einzelausgebot alle Grundstücke zusammen ausgeboten werden (§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZVG). Nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG wird der Zuschlag auf Grund des Gesamtausgebots nur erteilt, wenn das hierauf abgegebene Meistgebot höher ist als das Ergebnis der Einzelausgebote. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei der Zuschlagsentscheidung die Meistgebote auf die Einzelausgebote grundsätzlich den Vorrang haben4. Werden neben dem Einzelausgebot alle Grundstücke zusammen ausgeboten, verdrängt das Gesamtausgebot das Einzelausgebot daher nicht, sondern tritt diesem nur als zusätzliche Versteigerungsmodalität zur Seite5. Dies macht auch die Regelung des § 63 Abs. 3 Satz 1 ZVG deutlich, wonach eine Erhöhung des geringsten Gebots bei dem Gesamtausgebot um den Mehrbetrag erfolgt, wenn bei einem Einzelausgebot auf eines der Grundstücke ein Gebot abgegeben wird, das mehr beträgt als das geringste Gebot für dieses Grundstück; dem Gläubiger sollen also die Vorteile aus den abgegebenen Einzelausgeboten erhalten bleiben6. Wegen des gesetzlichen Vorrangs des Einzelausgebots sind für die Entscheidung über den Zuschlag daher nicht nur dann die Einzelgebote maßgeblich, wenn der Gebotsvergleich nach § 63 Abs. 3 Satz 2 ZVG zu ihren Gunsten ausfällt, sondern auch dann, wenn ein Zuschlag auf das in der Gesamtheit günstigere Gesamtgebot wegen Nichterreichens der Wertgrenze des § 85a ZVG zu versagen ist.

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Dem steht nicht – wie das Beschwerdegericht meint – der Wortlaut des § 85a Abs. 1 ZVG entgegen. Diese Regelung, die die Gewährleistung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes des Schuldners vor einer Verschleuderung seines Grundbesitzes in der Zwangsversteigerung bezweckt7, besagt nichts über das Verhältnis von Einzelausgebot und Gesamtausgebot.

Auch der im Zwangsversteigerungsverfahren geltende Grundsatz, dass bei dem Zuschlag das Gebot zum Zuge kommen soll, welches das für alle Beteiligten günstigste Ergebnis der Versteigerung herbeiführt8, führt zu keinem anderen Ergebnis9. Dieser Gesichtspunkt trägt in den Fällen gerade nicht, in denen auf das Gesamtausgebot im Hinblick auf § 85a ZVG der Zuschlag nicht erteilt werden kann. Lehnte man einen Rückgriff auf die Einzelausgebote ab, hätte dies zur Folge, dass ein unter der Wertgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG liegendes Meistgebot auf das Gesamtausgebot ein Einzelausgebot, das über der Wertgrenze des § 85a Abs. 1 ZVG liegt, zu Fall bringen könnte. Da in einem neuen Versteigerungstermin der Zuschlag auf das Gesamtausgebot nicht nach § 85a Abs. 1 ZVG verweigert werden darf (§ 85a Abs. 2 Satz 2 ZVG), bestünde die Gefahr, dass entgegen dem Anliegen des Gesetzes gerade nicht der bestmögliche Verwertungserlös erzielt wird.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18. Oktober 2012 – V ZB 13/12

  1. OLG Frankfurt/Main, Rpfleger 1995, 512, 513[]
  2. vgl. nur Stöber, ZVG, 20. Aufl., § 74a Rn.03.4 und § 85a Rn.02.7; Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 85a Rn. 7; Siwonia in Löhnig, ZVG, § 63 Rn. 17; Stumpe in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, § 63 ZVG Rn.20; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 63 Rn. 44[]
  3. OLG Hamm, Rpfleger 1959, 57, 58[]
  4. Siwonia in Löhnig, ZVG, § 63 Rn. 17[]
  5. BGH, Beschluss vom 30.10.2008 – V ZB 41/08, NJW-RR 2009, 158[]
  6. OLG Frankfurt, Rpfleger 1995, 512, 513[]
  7. BGH, Beschluss vom 18.10.2007 – V ZB 75/07, NJW-RR 2008, 688, 689; Beschluss vom 10.05.2007 – V ZB 83/06, BGHZ 172, 218, 224[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2006 – V ZB 55/06, NJW-RR 2007, 1139, 1140[]
  9. so aber OLG Hamm, Rpfleger 1959, 57, 58[]
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