Bleiben Angriffsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der Partei verletzt1.

§ 531 Abs. 1 ZPO erlaubt es nach seinem klaren Wortlaut dem Berufungsgericht lediglich zu überprüfen, ob eine Zurückweisung von Vorbringen in erster Instanz zu Recht vorgenommen worden ist2. Das im Rechtsmittelzug übergeordnete Gericht darf eine fehlerhafte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von Angriffsmitteln nicht durch eine andere Begründung ersetzen3 und insbesondere nicht eine dem erstinstanzlichen Gericht vorbehaltene Ermessensentscheidung als Begründung für die Zurückweisung nachschieben4.
Die Anwendung des § 296 Abs. 2 ZPO durch das Landgericht ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Nach § 296 Abs. 2 ZPO können Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Fahrlässigkeit beruht.
§ 282 Abs. 1 ZPO betrifft allein Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden. Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein5.
Grobe Nachlässigkeit im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO liegt dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessführung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei hätte als notwendig einleuchten müssen6. Dies muss das erstinstanzliche Gericht hinreichend begründen7.
Außerdem muss das Gericht bei der Entscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO das ihm zustehende Ermessen ausüben8.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. September 2013 – VII ZR 242/12
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2013 – VII ZR 58/12, BauR 2013, 1146 Rn. 9 = NZBau 2013, 433 Rn. 9; Beschluss vom 17.07.2012 – VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9 jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2006 – IV ZR 56/05, BGHZ 166, 227 Rn. 16[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 04.05.2005 – XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007, 1008[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.03.1981 – VIII ZR 38/80, NJW 1981, 2255[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2012 – VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 6; Urteil vom 04.05.2005 – XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007; MünchKomm-ZPO/Prütting, 4. Aufl., § 282 Rn. 8; jeweils m.w.N[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2002 – X ZR 69/01, NJW 2003, 200, 202 m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2002 – X ZR 69/01, aaO 202[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.09.1982 VI ZR 272/80, WM 1982, 1281, 1282; BVerfG, NJW 1985, 1150, 1151; zu den Kriterien für die Ermessensausübung vgl. Leipold in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 296 Rn. 148 f.[↩]