Wird in Produkthaftungsfällen eine ausdrückliche Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts getroffen, kann diese auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) oder auf Art. 42 EGBGB beruhen.

Die Rom II-VO ist nach ihrem Art. 31 nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11.01.2009 eingetreten sind1. Im Fall der Produkthaftung sieht die weit überwiegende Ansicht als schadensbegründendes Ereignis das Inverkehrbringen des Produkts an2. Der Klägerin wurde die Prothese am 10.08.2007 implantiert, das Inverkehrbringen des Produkts durch die Beklagte lag zeitlich davor. Sieht man hingegen die Rechtsgutsverletzung als schadensbegründendes Ereignis an3, ist Art. 14 Rom II-VO anzuwenden, da der Bruch des Inlays nach dem Vortrag der Klägerin erst im Jahr 2011 erfolgte.
Selbst wenn man mit der überwiegenden Ansicht Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO im Streitfall nicht für anwendbar hält, ergibt sich die Möglichkeit der Rechtswahl aber aus Art. 42 EGBGB. Nach Art. 42 Satz 1 EGBGB können die Parteien – wie auch gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO – nach Eintritt des Ereignisses, durch das ein außervertragliches Schuldverhältnis entstanden ist, das Recht wählen, dem es unterliegen soll. Ein letztmöglicher Zeitpunkt der Rechtswahl ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Art. 42 EGBGB – auch nicht aus dem des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO – noch aus Sinn und Zweck der Normen. Eine einvernehmliche Rechtswahl ist jedenfalls bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz möglich4. Für diese Grenze spricht grundsätzlich, dass nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur dasjenige Parteivorbringen der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Die tatsächliche Urteilsgrundlage wird durch das Ende der Berufungsverhandlung abgeschlossen. Neue Tatsachen dürfen im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO allerdings einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die sich erst während der Revisionsinstanz ereignen, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind und schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen5. Der Gedanke der Konzentration der Revisionsinstanz auf die rechtliche Bewertung eines festgestellten Sachverhalts verliert nämlich an Gewicht, wenn die Berücksichtigung von neuen tatsächlichen Umständen keine nennenswerte Mehrarbeit verursacht und die Belange des Prozessgegners gewahrt bleiben. In einem solchen Fall ist durch die Zulassung neuen Vorbringens im Revisionsverfahren eine rasche und endgültige Streitbereinigung herbeizuführen5.
So verhält es sich im hier entschiedenen Streitfall: Da der gesamte Rechtstreit – einschließlich der Revisionsinstanz – von beiden Parteien auf der Grundlage deutschen Rechts geführt wurde, verursacht die Rechtswahl keine Mehrarbeit und es sind auch keine schützenswerten Belange der Parteien erkennbar, die gegen die Berücksichtigung dieser neuen, unstreitigen Tatsache im Revisionsverfahren sprächen. Da die Rechtswahl alle anderen Anknüpfungen des Art. 5 Abs. 1 Rom II-VO bzw. des Art. 40 Abs. 1 EGBGB verdrängt, kommt es auf diese Regelungen nicht an.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. August 2023 – VI ZR 82/22
- vgl. EuGH, NJW 2012, 441 Rn. 37[↩]
- vgl. BeckOGK/Schulze/Fervers, Rom II-VO, Stand 01.08.2021, Art. 31 Rn. 15; MünchKomm-BGB/Junker, 8. Aufl., Art. 31, Art. 32 Rom II-VO Rn. 6; BeckOK BGB/Spickhoff, VO (EG) 864/2007, Stand 01.05.2022, Art. 32 Rn. 4; HK-BGB/Dörner, Rom II-VO, 11. Aufl., Art. 32 Rn. 2; Grüneberg/Thorn, BGB, 82. Aufl., Art. 32 Rom II-VO Rn. 2; Engel in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Art. 31 Rom II-VO Rn. 3; Wurmnest, EuZW 2012, 933, 936; von Hein, ZEuP 2009, 6, 11[↩]
- so Knöfel in Hüßtege/Mansel, BGB, 3. Aufl., Art. 32 Rom II-VO Rn. 10; wohl auch Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 724; offen Halfmeier, VuR 2014, 327, 329[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, NJW 2022, 3072 Rn.19 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 09.08.2022 – VI ZR 1244/20, NJW 2022, 3072 Rn.19 mwN[↩][↩]