Reiseleistungen als Gattungsschuld? – oder: Die "Fahrt ins Blaue"

Reiseleistungen können nur dann Gegenstand einer Gattungsschuld sein, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben. Hieran fehlt es, wenn die geschuldeten Reiseleistungen lediglich als „Fahrt ins Blaue“ bezeichnet sind. Hat sich der Reiseveranstalter die Bestimmung der zu erbringenden Reiseleistungen vorbehalten, liegt in der Aushändigung eines Reiseprogramms bei Antritt der Reise in der Regel die Ausübung des Bestimmungsrechts im Sinne von § 315 Abs. 2 BGB.

Reiseleistungen als Gattungsschuld? – oder: Die "Fahrt ins Blaue"

Reiseleistungen können in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 1 BGB zwar grundsätzlich Gegenstand einer Gattungsschuld sein1. Dies setzt aber voraus, dass eine Leistung mittlerer Art und Güte bestimmt werden kann. Letzteres ist nur dann möglich, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben2.

Bei lediglich mit „Fahrt ins Blaue“ bezeichneten Reiseleistungen fehlt es an gattungsbildenden Merkmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes mittlerer Art und Güte erlauben.

Mit dem Recht, die Reiseleistungen erst nach Abschluss des Reisevertrages festzulegen, hat sich die Reiseveranstalterin als Reiseveranstalter jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedungen, das mangels abweichender Regelung nach billigem Ermessen auszuüben ist.

Dass ein solches Bestimmungsrecht auch in einem Pauschalreisevertrag vereinbart werden kann, hat der Bundesgerichtshof bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung von Abflugzeiten entschieden3. Für die Bestimmung von Reisezielen oder Programmpunkten gilt nichts anderes.

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Das ihr zustehende Bestimmungsrecht hat die Reiseveranstalterin im Streitfall durch Aushändigung des Reiseprogramms ausgeübt.

Die Ausübung des Bestimmungsrechts erfolgt gemäß § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

Es handelt sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der der Leistungsinhalt konkretisiert wird. Eine solche Erklärung ist unwiderruflich4.

Im Streitfall hat die Reiseveranstalterin ihr Bestimmungsrecht nicht erst (konkludent) mit der tatsächlichen Leistungserbringung ausgeübt, sondern bereits mit der Aushändigung des Reiseprogramms bei Antritt der Busreise.

Unter der Überschrift „Ihr persönliches Reiseprogramm“ werden die Reiseleistungen und der zeitliche Ablauf der Reise im Einzelnen benannt. Der Besuch des Musicals „Cirque du Soleil Paramour“ wird als Höhepunkt der Reise bezeichnet.

Diese Mitteilung bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie vorläufigen Charakter hat und einzelne Programmpunkte und insbesondere der Reisehöhepunkt noch austauschbar sein sollten. Bei verständiger Würdigung aus Empfängersicht konnte und durfte die Mitteilung vielmehr als Festlegung des zuvor noch unbestimmten Inhalts der gebuchten „Fahrt ins Blaue“ aufgefasst werden.

Damit ist im vorliegenden Fall aber der Wegfall des Musicalbesuchs als zur Minderung berechtigenden Reisemangel zu bewerten.

Insoweit liegt kein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB vor.

Wird bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen, ganz oder teilweise nicht erbracht, handelt es sich grundsätzlich um einen Reisemangel5. Ob die Erbringung der Reiseleistung nach Vertragsschluss unmöglich geworden ist oder ob den Reiseveranstalter ein Verschulden trifft, ist ohne Belang. Die reiserechtliche Gewährleistung genießt insoweit Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts6. Dass das vorinstanzlich mit dem vorliegenden Rechtsstreit befasste Landgericht Osnabrück7 in der durchgeführten Stadtrundfahrt keine gegenüber dem Musicalbesuch gleichartige und gleichwertige den Mangel behebende Ersatzleistung gesehen hat, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

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Auch führt § 313 BGB nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Das Pauschalreiserecht enthält umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen der erbrachten Leistung. Hierunter fallen, wie insbesondere die Regelung in § 651h Abs. 3 BGB zeigt, auch Störungen, die auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund ist die ergänzende Heranziehung der allgemeinen Regeln über Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage wie schon nach früher geltendem Recht8 ausgeschlossen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Februar 2023 – X ZR 18/22

  1. BGH, Urteil vom 12.03.1987 – VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 174 = NJW 1987, 1931, 1935[]
  2. vgl. Staudinger/Rieble (2020), § 315 BGB Rn.204[]
  3. BGH, Urteil vom 10.12.2014 – X ZR 24/13, NJW 2014, 1168 Rn. 21[]
  4. BGH, Urteil vom 24.01.2002 – IX ZR 228/00, NJW 2002, 1421, 1424; Urteil vom 19.01.2005 – VIII ZR 139/04, NJW-RR 2005, 762, 765[]
  5. BGH, Urteil vom 20.03.1986 – VII ZR 187/85, BGHZ 97, 255, 259 = NJW 1986, 1748, 1749; Urteil vom 12.03.1987 – VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157, 180 f. = NJW 1987, 1931, 1937[]
  6. Münch-KommBGB/Tonner, 9. Aufl.2023, § 651i Rn. 29 ff.[]
  7. LG Osnabrück, Urteil vom 28.01.2022 – 4 S 197/21[]
  8. dazu BGH, Urteil vom 18.12.2012 – X ZR 2/12, NJW 2013, 1674 Rn. 18[]
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