Schadensersatzansprüche in Dieselfällen – und das Feststellungsinteresse

Mit dem Feststellungsinteresse bei einer Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht in einem sogenannten Dieselfall hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen.

Schadensersatzansprüche in Dieselfällen – und das Feststellungsinteresse

Auf mögliche künftige Belastungen mit Aufwendungen, die nur im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, kann der Autokäufer sein Feststellungsinteresse nicht stützen, wenn er sich nicht für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung möglich und zumutbar ist1.

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall macht der Autokäufer gegen die Autoherstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Dieselskandal geltend. Der Autokäufer erwarb von einem Autohaus im November 2012 einen gebrauchten Pkw VW Tiguan 2.0 l TDI zum Kaufpreis von 31.740 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Autoherstellerin hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der eine Software zur Abgasrückführungssteuerung enthält. Diese Software verfügt über zwei Modi. Im Modus 1, der in standardisierten Testsituationen wie dem Prüfstand aktiv ist, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Unter Fahrbedingungen im normalen Straßenverkehr reduziert die Software den Umfang der Abgasrückführung dauerhaft auf ein geringeres Maß (Modus 0). Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gab der Autoherstellerin mit Bescheid vom 15.10.2015 auf, die vorhandene Software zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände zu ergreifen. Die Autoherstellerin entwickelte daraufhin ein Software-Update, nach dem die Abgasrückführung in einem adaptierten Betriebsmodus erfolgt, der im Wesentlichen dem bisherigen Modus 1 entspricht. Der Autokäufer ließ das Update durchführen.

Der Autokäufer ist der Ansicht, er sei von der Autoherstellerin durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung sittenwidrig geschädigt worden. Er hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass die Autoherstellerin verpflichtet sei, ihm Ersatz für Schäden zu leisten, die aus der Manipulation seines Fahrzeugs durch die Autoherstellerin resultieren würden, ferner die Autoherstellerin zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Das Landgericht Offenburg hat die beantragte Feststellung ausgesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen2. Dagegen hat die Autoherstellerin Berufung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung eingelegt, der Autokäufer hat Berufung mit dem Ziel der Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten eingelegt. Den Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Autoherstellerin hat der Autokäufer mit dem Hilfsantrag verbunden, die Autoherstellerin zur Zahlung von 38.327, 46 € nebst Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen und festzustellen, dass die Autoherstellerin verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs durch die Autoherstellerin resultieren würden.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Berufungen zurückgewiesen3.

Auf die Berufung der Autoherstellerin hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Feststellungsklage abgewiesen; entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist der Feststellungsantrag des Autokäufers unzulässig:

Der Feststellungsantrag ist zwar trotz seiner weiten Formulierung bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil er sich unter Heranziehung der Klageschrift dahingehend auslegen lässt, dass es um die Ersatzpflicht der Autoherstellerin für Schäden geht, die daraus resultieren, dass die Autoherstellerin den in das Fahrzeug des Autokäufers eingebauten Motor mit der vom KBA mit Bescheid vom 15.10.2015 als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung herstellte und in den Verkehr brachte4.

Der Feststellungsantrag ist jedoch unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse des Autokäufers fehlt5.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Autokäufer den Feststellungsantrag nicht in Bezug auf den sogenannten großen Schadensersatz gestellt. Jedenfalls lässt sich eine solche Festlegung dem gestellten Antrag nicht entnehmen. Auf Grundlage der beantragten – und in den Vorinstanzen zugesprochenen – Feststellung stünde es dem Autokäufer vielmehr frei, auch den sogenannten kleinen Schadensersatz zu verlangen. Der Autokäufer kann sein Feststellungsinteresse jedoch nicht darauf stützen, dass er sich die Wahl offenhalten möchte, ob er von der Autoherstellerin den sogenannten großen oder kleinen Schadensersatz verlangt. Diese Entscheidung war ihm bei Klageerhebung zumutbar6.

Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, der Autokäufer habe sich bereits für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden, hätte er diesen ohne Weiteres – wie im Hilfsantrag erfolgt – beziffern können.

Das Feststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Schadensentwicklung im Hinblick auf Reparaturkosten, Steuernachforderungen, Stilllegungskosten und Kosten im Zusammenhang mit dem Update noch nicht abgeschlossen sei. Zwar kann, wenn ein Teil des Schadens bei Klageerhebung schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, der Autokäufer in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren, wobei die zu erwartenden Schäden entgegen der Ansicht der Revisionsbegründung nicht wahrscheinlich, sondern nur möglich sein müssen7. Künftig entstehende Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltskosten für das Fahrzeug zählen8 wären aber nicht ersatzfähig9. Die weiter vom Autokäufer angeführten Aufwendungen (Steuernachforderungen, Stilllegungskosten, Kosten im Zusammenhang mit etwaigen schädlichen Auswirkungen des Updates) könnte der Autokäufer jedenfalls nicht als Schaden ersetzt verlangen, wenn er den sogenannten kleinen Schadensersatz (Ersatz des Minderwerts) geltend machen sollte10. Eine Schadensentwicklung, die ein Feststellungsinteresse begründen könnte, wäre dann ausgeschlossen. Ob und inwieweit die genannten Aufwendungen im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, sie insbesondere dem sogenannten negativen Interesse zuzuordnen wären, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn auf eine diesbezügliche Schadensentwicklung könnte der Autokäufer sein Feststellungsinteresse schon deshalb nicht stützen, weil er sich nicht – jedenfalls nicht rechtlich bindend – für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung bereits jetzt möglich und zumutbar ist1.

Die angegriffene Entscheidung war aufzuheben. Den isolierten Feststellungsantrag (Hauptantrag) wies der Bundesgerichtshof ab, da die Sache insoweit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies gilt nicht für die Hilfsanträge des Autokäufers. Er macht in zulässiger Weise mit dem Leistungsantrag den großen Schadensersatz geltend und beantragt zusätzlich die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer Schäden. Deshalb ist die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 415/20

  1. BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 33[][]
  2. LG Offenburg, Urteil vom 26.04.2019 – 3 O 485/18[]
  3. OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.03.2020 – 13 U 419/19[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 12 f.[]
  5. vgl. dazu BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 14 ff.[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 1619[]
  7. BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 2429[]
  8. Verbrauchsmaterialien, Kraftstoff, Inspektions- und Wartungskosten, Reparaturen[]
  9. BGH, Urteil vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 32 mwN[]
  10. vgl. BGH, Urteile vom 05.10.2021 – VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 17, 33; vom 06.07.2021 – VI ZR 40/20, ZIP 2021, 1763 Rn. 33 f.[]