Mit den Anforderungen an die Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte das Brandenburgische Oberlandesgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen1. Der Kläger hatte gegen das klageabweisende landgerichtliche Urteil fristgemäß Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 8.09.2022 verlängerten Frist zur Begründung der Berufung ist ausweislich des bei der Akte befindlichen Transfervermerks bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht unter dem Dateinamen „Berufungsschriftsatz.pdf“ aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten des Klägers und unter dessen Nutzer-ID ein auf den 17.11.2021 datierter, an ein anderes Oberlandesgericht adressierter und eingangs andere Parteien anführender Schriftsatz eingegangen.
Nach einem Hinweis des Brandenburgischen Oberlandesgerichts sind dort am 12.09.2022 die Berufungsbegründung und ein Wiedereinsetzungsantrag eingegangen, zu dem der Kläger vorgetragen hat, die Berufungsbegründungsfrist sei unverschuldet versäumt worden. In der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten werde eine Frist erst nach wirksamer Postausgangskontrolle und erst dann gestrichen, wenn der fristerledigende Schriftsatz vollständig nebst Anlagen geprüft, „signiert“ und der Sendebericht kontrolliert worden sei. Ferner sehe die Büroorganisation vor, dass eine Kanzleikraft zum Nachmittag/Abend eines jeden Tages eine abschließende Fristenkontrolle aller zum jeweiligen Tag ablaufenden Fristen unter Nutzung der Übersicht des Anwaltsprogramms durchführe, um die ordnungsgemäße Erstellung und den Versand von fristwahrenden Schriftsätzen zu überprüfen. Im konkreten Fall habe die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte versucht, die Berufungsbegründung über das Anwaltsprogramm zu versenden. Da dies nicht funktioniert habe, habe sie, nachdem sie zuvor nochmals kontrolliert habe, dass es sich um den richtigen Schriftsatz handle, um 16:28 Uhr den Versand per beA vorgenommen. Das Prüfprotokoll habe die Übersendung per beA als „erfolgreich“ ausgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte habe die Versendung des Schriftsatzes noch am gleichen Tag überprüft.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen1. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, die vom Bundesgerichtshof jedoch als unzulässig verworfen wurde; die Rechtsbeschwerde sei statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO seien nicht erfüllt. Insbesondere sei eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Der angefochtene Beschluss verletze nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip):
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, dem Wiedereinsetzungsgesuch lasse sich nicht entnehmen, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten eine hinreichende Ausgangskontrolle gewährleistet gewesen sei. Auch bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr mittels beA sei es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Dabei sei eine Prüfung erforderlich, ob die richtige Datei versandt worden sei. Der Rechtsanwalt müsse durch eine Organisationsanweisung oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass jeder fristgebundene Schriftsatz mit einem individuellen Dateinamen versehen werde, der später anhand von Prüfprotokoll und Eingangsbestätigung die Kontrolle auf Fehlversendungen ermögliche. Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine solche Kontrolle angeordnet worden wäre, lasse sich dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht entnehmen.
Das hält rechtlicher Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof im Ergebnis stand. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat dem Kläger zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers muss sich so behandeln lassen, als habe er selbst um 16:28 Uhr den nicht zum Verfahren gehörenden Schriftsatz anstelle der Berufungsbegründung an das Brandenburgische Oberlandesgericht versandt, dessen Übermittlung die Frist zur Berufungsbegründung nicht wahren konnte.
Nach § 26 Abs. 1 RAVPV darf der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ein für ihn erzeugtes Zertifikat keiner weiteren Person überlassen und hat die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten. Möglich ist nach § 23 Abs. 2 und 3 RAVPV zwar, unter den dort genannten Voraussetzungen anderen Personen Zugang zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach zu gewähren und von einem Rechtsanwalt qualifiziert signierte elektronische Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu übersenden. Voraussetzung ist aber, dass für die anderen Personen ein Zugangskonto angelegt ist und der Zugang der anderen Personen über ihr Zugangskonto unter Verwendung eines ihnen zugeordneten Zertifikats und einer zugehörigen Zertifikats-PIN erfolgt. Handelt der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs dem zuwider und überlässt er das nur für seinen Zugang erzeugte Zertifikat und die zugehörige Zertifikats-PIN einem Dritten, muss er sich so behandeln lassen, als habe er die übermittelte Erklärung selbst abgegeben2.
Entsprechend muss sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Prüfung der Wiedereinsetzungsvoraussetzungen nach § 233 ZPO die Übersendung des verfahrensfremden Schriftsatzes am Spätnachmittag des letzten Tages der Berufungsbegründungsfrist so zurechnen lassen, als habe er den verfahrensfremden Schriftsatz anstelle der Berufungsbegründung selbst auf den Weg gebracht. Zu diesem Zeitpunkt konnte er auch nicht mehr erwarten, dass die Übersendung eines mit dem Berufungsverfahren nicht in Zusammenhang stehenden Schriftsatzes innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs noch so rechtzeitig bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht bemerkt werden würde, dass die Nachreichung der Berufungsbegründung noch am 8.09.2022 hätte gewährleistet werden können3.
Aber auch dann, wenn sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Übersendung des verfahrensfremden Schriftsatzes anstelle der Berufungsgründung nicht als selbst veranlasst zurechnen lassen müsste, wäre die Fristversäumung mit der Folge der Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO durch ihn verschuldet.
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs mittels beA entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen4. Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist5. Dabei ist für das Vorliegen einer Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auch erforderlich, dass gerade der Eingang des elektronischen Dokuments im Sinne von § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versendung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genügt nicht. Vielmehr ist anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte6. Dies rechtfertigt sich daraus, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann7.
Diese Sorgfaltspflichten, von denen auch das Brandenburgische Oberlandesgericht ausgegangen ist, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erfüllt. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands führt nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung. Wie das Brandenburgische Oberlandesgericht zutreffend und ohne Überspannung der Anforderungen an die den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten angenommen hat, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine ordnungsgemäße Überprüfung der automatisierten Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO dahingehend, ob die richtige Datei übermittelt wurde, sichergestellt war. Das hätte einen in der Kanzlei zuvor vergebenen sinnvollen Dateinamen vorausgesetzt, der in der Eingangsbestätigung erscheint und ohne Weiteres die Prüfung erlaubt, ob der richtige Schriftsatz übersandt wurde. Zu einer dahingehenden Organisationsanweisung ist nichts vorgetragen. Der hier verwendete Dateiname „Berufungsschriftsatz.pdf“ war – wie das Brandenburgische Oberlandesgericht zu Recht annimmt – nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen, da er weder die Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren noch eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ermöglicht.
Vorliegend war auch eine Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten am Nachmittag/Abend des Tages des Fristablaufs nicht geeignet, den Organisationsmangel auszugleichen. Wegen des unklaren Dateinamens war bei der Überprüfung anhand der Eingangsbestätigung nicht erkennbar, dass der falsche Schriftsatz übersandt worden war.
Der Organisationsmangel kann als Ursache für die Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden8. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Anordnung zur sinnvollen, eine Verwechslung mit anderen Dokumenten ausschließenden Benennung der mittels beA versandten Dateien bestanden, wäre die Übermittlung des falschen Schriftsatzes an das Brandenburgische Oberlandesgericht rechtzeitig erkannt worden und hätte die richtige Datei noch am gleichen Tag fristwahrend an das Brandenburgische Oberlandesgericht übersandt werden können.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. August 2023 – VIa ZB 24/22
- OLG Brandenburg, Beschluss vom 26.09.2022 – 5 U 113/22[↩][↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 14.07.2022 – B 3 KR 2/21 R 15[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 18.10.2017 – LwZB 1/17, NJW 2018, 165 Rn. 9 ff.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2021 – VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 21; Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 12; Beschluss vom 20.09.2022 – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 Rn. 7; Beschluss vom 11.01.2023 – IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 Rn. 14[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2021, aaO, Rn. 46; Beschluss vom 30.11.2022 – IV ZB 17/22, NJW-RR 2023, 351 Rn. 10[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.03.2020 – VI ZB 99/19, NJW 2020, 1809 Rn. 16; Beschluss vom 20.09.2022, aaO, Rn. 9 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.03.2023 – VIII ZB 80/22, NJW 2023, 1668 Rn. 26 mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 06.10.2020 – XI ZB 17/19 12 mwN[↩]
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