Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge – und die Reichweite einer Gleichstellungsabrede

Eine arbeitsvertragliche dynamische Bezugnahme auf Tarifverträge steht, wenn es sich um eine sog. Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung handelt, unter der auflösenden Bedingung, dass ihre Dynamik endet, wenn die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen Abrede entfallen. Diese tritt nicht nur bei Ende der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin ein, sondern unter anderem auch dann, wenn der Arbeitnehmer an einen Arbeitsort versetzt wird, der außerhalb des Geltungsbereichs des in Bezug genommenen Tarifvertrags liegt. In der Folge sind die in Bezug genommenen Tarifverträge ab diesem Zeitpunkt nur noch statisch, mit dem dann bestehenden Inhalt, anwendbar.

Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge – und die Reichweite einer Gleichstellungsabrede

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber  über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeregelung eine Verdienstsicherung nach den tariflichen Regelungen für die Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden durchzuführen. Der klagende Arbeitnehmer, der keiner Gewerkschaft angehört, ist seit 1990 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Seine „Einstellungsnachricht“ vom 01.03.1990 enthält unter anderem folgende Regelung: „Für Ihr Arbeitsverhältnis gelten die gesetzlichen Vorschriften, die Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden sowie die Betriebsordnung und die Betriebsvereinbarungen unseres Unternehmens.

Die Arbeitgeberin, die sowohl Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall) als auch der PfalzMetall – Verband der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie e.V. (PfalzMetall) ist, unterhält mehrere Standorte, unter anderem in L in Baden-Württemberg und S in Rheinland-Pfalz. Der Arbeitnehmer war zunächst in L tätig und erhielt dort zuletzt eine Vergütung nach Entgeltgruppe 3 des zwischen Südwestmetall und der IG Metall geschlossenen Entgeltrahmen-Tarifvertrags für das Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden vom 16.09.2003 (ERA-TV NW/NB). Mit Schreiben vom 30.01.2019 teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer mit, er habe die „Anspruchsvoraussetzungen für die von den Tarifparteien vereinbarte Alterssicherung erfüllt“. Sie berechnete einen Alterssicherungsbetrag in Höhe von 4.044,57 € und verwies hinsichtlich der Einzelheiten auf „§ 6 MTV“. Die Arbeitgeberin legte die Produktion am Standort L nach Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans stufenweise bis zum 31.12.2022 still. Mit Schreiben vom 26.03.2021 wies sie dem Arbeitnehmer ab dem 1.10.2021 eine Tätigkeit in S zu. Das Schreiben hat unter anderem folgenden Wortlaut:

  • Arbeitsort: S
  • Position: Montagearbeiter
  • Eingruppierung: E02 gemäß ERA-TV für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz
  • Arbeitszeit: 35h /Woche (2-Schicht)

Auf Ihre tarifvertraglich zugesicherte und entgeltgruppenbezogene Grundvergütung hat der Wechsel an den zuvor genannten Standort keine Auswirkung. Für die bisher gewährten außertariflichen Zulagen (bspw. Akkordzuschläge) gelten die betrieblichen Regelungen des aufnehmenden Betriebs.

Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.

Für den Fall, dass Sie der Versetzung widersprechen, kündigen wir vorsorglich das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist entsprechend der maßgeblichen Kündigungsfrist zum 30.09.2021, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin, hilfsweise ordentlich unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist zum 30.09.2021, hilfsweise zum nächstzulässigen Zeitpunkt.

Der Arbeitnehmer widersprach der Versetzung nicht und ist seit dem 1.10.2021 in S tätig. Seit diesem Zeitpunkt vergütet die Arbeitgeberin ihn nach Entgeltgruppe 2 des zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Rheinhessen e.V., PfalzMetall und der IG Metall geschlossenen Entgeltrahmenabkommens für die Metall- und Elektroindustrie in Rheinland-Pfalz vom 06.07.2004 (ERA RP). Darüber hinaus erhält der Arbeitnehmer eine als „Ausgleich Wahloption“ bezeichnete monatliche Zahlung in Höhe der Vergütungsdifferenz zwischen den Tabellenentgelten der Entgeltgruppe 3 ERA-TV NW/NB und der Entgeltgruppe 2 ERA RP abzüglich einer „ERA-RP: Kor. Prämie § 4 (2)“ in Höhe von 71, 96 Euro. Weitere Entgeltbestandteile zahlt die Arbeitgeberin ausschließlich aufgrundlage der für Rheinland-Pfalz geschlossenen tariflichen Regelungen. Die monatliche Vergütung des Arbeitnehmers liegt daher jeweils unterhalb des Alterssicherungsbetrags von 4.044, 57 €. Mit Schreiben vom 26.01.2022 wies der Arbeitnehmer darauf hin, dass sich „aus den Abrechnungen ab dem Monat Oktober 2021 jeweils ein Gesamtbruttoentgelt deutlich unter dem Alterssicherungsbetrag“ in Höhe von 4.044, 57 Euro ergäbe und bat insoweit um „Stellungnahme sowie Korrektur der Entgeltabrechnungen und jeweils Auszahlung ab dem Monat Oktober 2021„. Mit seiner Klage begehrt der Arbeitnehmer die weitere Durchführung der Alterssicherung nach den für den Tarifbezirk Nordwürttemberg/Nordbaden geltenden tariflichen Regelungen. 

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Arbeitnehmers hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben1. Das Bundesarbeitsgericht sah dies im Ergebnis ebenso und hat die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision der Arbeitgeberin als unbegründet zurückgewiesen:

Der Arbeitnehmer kann aufgrund der Bezugnahmeklausel in der Einstellungsnachricht die Durchführung der Alterssicherung nach § 6 des zwischen Südwestmetall und IG Metall geschlossenen Manteltarifvertrags für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 14.06.2005 (MTV NW/NB) und damit die Nachzahlung der eingeklagten Vergütung verlangen.

Die Verweisung auf die „Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden“ ist eine zeitdynamische Bezugnahme auf die genannten Tarifverträge, deren Dynamik nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit dem Ende der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin entfällt – sog. Gleichstellungsabrede.

Bei der Einstellungsnachricht handelt es sich bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild um einen Formularvertrag, der nach den Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen und dessen Auslegung durch das Landesarbeitsgericht in der Revisionsinstanz voll überprüfbar ist2.

Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts3 galt die Auslegungsregel, dass es einer an die vertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge tarifgebundenen Arbeitgeberin nur darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten hinsichtlich der Geltung dieser Tarifverträge „gleichzustellen“. Eine solche Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder den Begleitumständen bei Vertragsschluss einschränkend dahingehend ausgelegt, dass in den Inhalt der übereinstimmenden Willenserklärungen über den Wortlaut hinaus eine auflösende Bedingung hineingelesen wurde, nach der die Dynamik nur so weit reichte, wie dies bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer der Fall wäre; diese also dann endete, wenn die Arbeitgeberin wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden war. Diese Auslegungsregel wendet das Bundesarbeitsgericht aus Gründen des Vertrauensschutzes bei vor dem 1.01.2002 vereinbarten Bezugnahmeklauseln (sog. Altverträge) weiterhin an4.

Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der in der Einstellungsnachricht enthaltenen Regelung um eine dynamische Bezugnahme auf die tariflichen Bestimmungen für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden in Form einer sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung.

Die arbeitsvertraglichen Bedingungen der Einstellungsnachricht sind vor dem 1.01.2002 vereinbart worden. Am 1.03.1990 war die Arbeitgeberin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kraft Mitgliedschaft bei Südwestmetall an die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden gebunden. Der Arbeitnehmer ist in L und damit im Geltungsbereich der in Bezug genommenen Tarifverträge tätig geworden.

Es handelt sich um eine dynamische Bezugnahme. In der Einstellungsnachricht wird kein konkretes Abschlussdatum hinsichtlich der in Bezug genommenen Tarifverträge genannt. In einem solchen Fall ist regelmäßig anzunehmen, dass die Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung finden sollen. Einer ausdrücklichen „Jeweiligkeits-Klausel“ bedarf es nicht5.

Aufgrund der Versetzung des Arbeitnehmers in das Tarifgebiet Rheinland-Pfalz ab dem 1.10.2021 ist die zeitliche Dynamik der Bezugnahmeregelung entfallen. Die Tarifverträge sind aber weiterhin mit dem Regelungsbestand vom 30.09.2021 anzuwenden.

Die Versetzung des Arbeitnehmers nach S und damit in das Tarifgebiet Rheinland-Pfalz hat nicht zur Anwendung der dort geltenden Tarifregelungen geführt. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin erfasst die vertragliche Vereinbarung nicht die Tarifverträge, an die die Arbeitgeberin jeweils gebunden ist (sog. große dynamische Bezugnahmeklausel, die auch als Tarifwechselklausel bezeichnet wird).

Eine dynamische Verweisung auf bestimmte Tarifverträge oder ein bestimmtes Tarifwerk kann über ihren Wortlaut hinaus nur dann als Verweis auf die jeweils für die Arbeitgeberin geltenden tariflichen Vereinbarungen ausgelegt werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen ergibt6. Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus dem Charakter der Bezugnahme als sog. Gleichstellungsabrede. Die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hatte nicht den Inhalt, den am Vertrag beteiligten Arbeitnehmer tarifrechtlich wie einen an den in Bezug genommenen Tarifvertrag durch Mitgliedschaft gebundenen Arbeitnehmer zu behandeln. Der Arbeitnehmer sollte lediglich vertraglich hinsichtlich des in Bezug genommenen Tarifvertrags oder Tarifwerks so gestellt werden, als wäre er an diese Bestimmungen kraft Mitgliedschaft gebunden. Damit wurde die sich aus dem Wortlaut der Bezugnahme ergebende Dynamik auf die Zeit begrenzt, in der die Arbeitgeberin ohnehin im Verhältnis zu tarifgebundenen Arbeitnehmern durch ihre Verbandsmitgliedschaft an die Tarifentwicklung gebunden war. Eine darüber hinausgehende Gleichstellung, die auch einen für Gewerkschaftsmitglieder normativ eintretenden Tarifwechsel vertraglich nachvollzieht, kann zwar vereinbart werden; sie muss aber – anders als die auflösende Bedingung in Altverträgen – im Vertragswortlaut erkennbar zum Ausdruck kommen7.

Vorliegend ist die Bezugnahmeklausel ihrem Wortlaut nach allein auf die „Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden“ gerichtet. Andere Tarifbezirke, insbesondere der Bezirk Rheinland-Pfalz, finden keine Erwähnung. Es bestehen keine Anhaltspunkte für einen Verweis auf andere als die benannten Tarifverträge. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ergeben sich solche nicht aus dem Verweis auf die „Betriebsordnung und die Betriebsvereinbarungen unseres Unternehmens“. Die arbeitsvertragliche „Bezugnahme“ auf Tarifverträge einerseits und Betriebsvereinbarungen andererseits betrifft unterschiedliche Normenwerke mit grundlegend verschiedenen Wirkungen. Während Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG „automatisch“ unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis gelten, erfassen die Normen von Tarifverträgen grundsätzlich nur die kongruent tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien. Dem Umstand, dass die Arbeitsvertragsparteien die – räumlich einschlägigen – Betriebsvereinbarungen und Gesamtbetriebsvereinbarungen in Bezug genommen haben, kommt deshalb für die Auslegung der Verweisung auf Tarifverträge keine Bedeutung zu8. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf die „Betriebsordnung“9.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich weder aus der von der Arbeitgeberin angeführten Auflösung einer Tarifkonkurrenz nach dem Grundsatz der Spezialität noch aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Die Bezugnahmeklausel verweist ausschließlich auf die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Schon deshalb besteht für das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers kein Konkurrenzverhältnis zwischen mehreren in Bezug genommenen Tarifverträgen. Zudem handelt es sich bei dem Prinzip der Sachnähe und Spezialität um eine tarifrechtliche Kollisionsregel, die dazu dient, eine Tarifkonkurrenz bei einer Normenkollision zwischen zwei unmittelbar und zwingend geltenden Tarifverträgen für ein einzelnes Arbeitsverhältnis aufzulösen. Eine solche kann aber bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf tarifliche Regelungen nicht entstehen10. Mangels einer Tarifkonkurrenz ist auch keine planwidrige Regelungslücke erkennbar, die durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden könnte11.

Der Wechsel des Arbeitsorts des Arbeitnehmers hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht dazu geführt, dass die in Bezug genommenen „Tarifverträge … keine Geltung mehr beanspruchen können“, sondern lediglich zum Eintritt der in der Bezugnahmeklausel enthaltenen auflösenden Bedingung und damit zum Wegfall der Dynamik.

Die in der Bezugnahmeklausel enthaltene auflösende Bedingung führt bei deren Eintritt nicht zum Wegfall der gesamten Bezugnahme, sondern lediglich zum Wegfall der vereinbarten Dynamik. Die in Bezug genommenen Tarifverträge finden in diesem Fall nur noch statisch mit demjenigen Stand Anwendung, den sie zum Zeitpunkt des Bedingungseintritts hatten12.

Gegenstand der auflösenden Bedingung ist – spiegelbildlich zu den Voraussetzungen der Gleichstellungsabrede – das Ende der Dynamik, wenn eine der Voraussetzungen für die Annahme einer sog. Gleichstellungsabrede entfällt. Das kann neben dem Ende der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin auch das „Herausfallen“ des Arbeitsverhältnisses aus dem Geltungsbereich des in Bezug genommenen Tarifvertrags sein.

Voraussetzung für die Annahme einer auflösenden Bedingung ist, dass der im Arbeitsvertrag benannte Tarifvertrag allein deshalb – möglicherweise – nicht gilt, weil der Arbeitnehmer, und nur dieser, nicht tarifgebunden ist. Das ist nur der Fall, wenn der Tarifvertrag einschlägig ist, dh. das Arbeitsverhältnis – unter Außer-Acht-Lassen der Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers – alle Geltungsbereichsvoraussetzungen erfüllt. In der Konsequenz scheidet die Annahme einer sog. Gleichstellungsabrede bei einer Verweisung auf einen „fachfremden“ oder „ortsfremden“ Tarifvertrag grundsätzlich aus13.

Die vertragliche Anbindung an die dynamische Entwicklung der tariflichen Arbeitsbedingungen endet, wenn sie tarifrechtlich auch für einen tarifgebundenen Arbeitnehmer endet, zB durch Austritt der Arbeitgeberin aus dem zuständigen Arbeitgeberverband, durch das Herausfallen des Betriebs aus dem Geltungsbereich oder durch den Übergang des Betriebs, in dem der betroffene Arbeitnehmer beschäftigt ist, auf eine nicht tarifgebundene Arbeitgeberin. Ebenso wie nach den einschlägigen tarifrechtlichen Regelungen (§ 3 Abs. 3, § 4 Abs. 5 TVG, § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) in solchen Fallkonstellationen für den tarifgebundenen Arbeitnehmer die weiteren Änderungen oder Ergänzungen der einschlägigen Tarifverträge mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit tarifrechtlich nicht mehr gelten, finden diese aufgrund einer sog. Gleichstellungsabrede auch nicht mehr in den Arbeitsverhältnissen der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer Anwendung14. Das entspricht dem Zweck einer solchen Bezugnahmeregelung, (allein) die Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers zu ersetzen.

Danach tritt die auflösende Bedingung auch ein, wenn – wie vorliegend – der Arbeitnehmer an einen Arbeitsort versetzt wird, der außerhalb des Geltungsbereichs des in Bezug genommenen Tarifvertrags liegt. Der Gleichstellungszweck kann in diesem Fall ebenfalls nicht mehr erreicht werden. Eine dynamische Fortgeltung hätte zur Folge, dass die Bezugnahmeklausel entgegen der ursprünglichen vertraglichen Vereinbarung ihren Charakter als sog. Gleichstellungsabrede verlieren würde, weil sie nunmehr dynamisch auf einen nicht einschlägigen Tarifvertrag verwiese. Dies entspricht nicht dem Regelungsplan der Vertragsparteien.

Das Schreiben der Arbeitgeberin vom 26.03.2021 hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zu einer Ersetzung des vor dem 1.01.2002 geschlossenen „Altvertrags“ durch einen „Neuvertrag“ mit einer dann zeitdynamischen Bezugnahmeregelung15 geführt. Es enthielt kein Angebot zur Änderung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeregelung, welches der Arbeitnehmer durch Aufnahme der Tätigkeit am Standort S angenommen hätte. Es sollte sich lediglich um die Ausübung des Direktionsrechts handeln, die den Inhalt der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen nicht berührt.

Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, das Schreiben enthalte neben der Ausübung des Direktionsrechts eine Entgeltregelung, mit der eine bestimmte Grundvergütung versprochen worden sei. Darüber hinaus habe die Arbeitgeberin zugesichert, es verbleibe im Übrigen bei den bisherigen vertraglichen Bedingungen und damit bei der Anwendbarkeit der tarifvertraglichen Regelungen für Nordwürttemberg/Nordbaden. Denn die Arbeitgeberin sei beim Verfassen des Versetzungsschreibens davon ausgegangen, dass ab dem Ortswechsel die Tarifverträge für Rheinland-Pfalz auch für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer aufgrund der Bezugnahmeklausel zur Anwendung gebracht werden müssten.

Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem Schreiben der Arbeitgeberin um eine atypische Willenserklärung oder um eine Willenserklärung handelte, die nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen entwickelten Grundsätzen auszulegen ist. Die Auslegung atypischer Willenserklärungen durch das Landesarbeitsgericht unterliegt zwar – anders als die Auslegung von AGB – nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Es wird insoweit nur überprüft, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt werden, ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet oder ob eine gebotene Auslegung völlig unterlassen worden ist16. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält vorliegend auch einem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Das Schreiben vom 26.03.2021 enthält kein Vertragsangebot iSd. § 145 BGB.

Die Würdigung des Schreibens durch das Landesarbeitsgericht ist in sich widersprüchlich. Sollte die Arbeitgeberin erkennbar davon ausgegangen sein, ab dem Zeitpunkt der Versetzung seien bereits ohne Vertragsänderung aufgrund der Bezugnahmeklausel die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz anzuwenden, hätte die Erklärung „im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen“ nur zum Ausdruck gebracht, es solle bei der Bezugnahmeklausel – die auf die jeweils einschlägigen Tarifregelungen verweist – verbleiben. Darin hätte gerade keine vertragliche Zusicherung der weiteren Anwendbarkeit der für Nordwürttemberg/Nordbaden geltenden Tarifverträge gelegen.

Bereits nach dem Wortlaut des Schreibens handelte es sich lediglich um die „Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit“. Die Arbeitgeberin teilte dem Arbeitnehmer unter Bezugnahme auf das arbeitsvertraglich vorbehaltene „Recht“, ihn zu versetzen, mit, seine Arbeitsbedingungen würden sich „ändern“. Danach ging die Arbeitgeberin davon aus, sie könne die folgenden Änderungen einseitig durch Ausübung des Direktionsrechts anordnen. Dem Wortlaut des Schreibens lässt sich nicht entnehmen, die Arbeitgeberin habe darüber hinaus auch eine vertragliche Abrede treffen wollen. Hierfür spricht auch der Ausspruch der vorsorglichen Änderungskündigung, falls der Arbeitnehmer der Versetzung „widerspricht“. Wäre es ihr um ein Änderungsangebot gegangen, hätte sie die Kündigung für den Fall der Ablehnung des Angebots durch den Arbeitnehmer erklären müssen.

Die „Zuweisung“ ist daher nur als einheitliche Maßnahme betreffend die örtliche Versetzung und die Vergütungsänderung zu verstehen. Der Zusatz „im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen“ stellt dementsprechend lediglich klar, dass keine weiteren Änderungen der Arbeitsbedingungen angeordnet werden sollten.

Diese Ausübung des Direktionsrechts führt nicht zu einer Änderung des Arbeitsvertrags. Bei dem in § 106 GewO geregelten Weisungsrecht der Arbeitgeberin handelt es sich um ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht (§ 315 BGB)17. Es dient der Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, berechtigt jedoch nicht zu Änderungen der vertraglichen Vereinbarungen18. Mangels Änderung des Arbeitsvertrags kann das Schreiben vom 26.03.2021 daher nicht dazu geführt haben, dass die Parteien die Bezugnahmeklausel erneut zum Gegenstand ihrer Willensbildung gemacht haben19.

Die arbeitsvertragliche Bezugnahmeregelung ist – entgegen der durch die Arbeitgeberin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht geäußerten Auffassung – nicht konkludent dahingehend geändert worden, dass diese nunmehr auf die in Rheinland-Pfalz für sie geltenden tariflichen Regelungen gerichtet ist. Der Arbeitnehmer ist nicht an die im Schreiben vom 26.03.2021 dargestellte Vergütungsregelung gebunden, weil er der örtlichen Versetzung Folge geleistet hat.

Es ist zwar grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass Arbeitspflichten sich auch ohne ausdrückliche Erklärungen der Arbeitsvertragsparteien nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Eine solche Konkretisierung im Wege stillschweigender Vertragsänderung setzt aber voraus, dass über den bloßen Zeitablauf hinaus Umstände vorliegen, die ein schutzwürdiges Vertrauen auf Beibehaltung der Arbeitsbedingungen für die Zukunft begründen20. Vorliegend ist bereits der Zeitraum von Oktober 2021 bis zur Geltendmachung einer höheren Vergütung mit Schreiben vom 26.01.2022 zu kurz, um eine Konkretisierung der Arbeitsbedingungen in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus sind weitere Umstände weder vorgetragen noch ersichtlich.

Aus denselben Gründen ist das Recht des Arbeitnehmers, sich auf die (ursprüngliche) vertragliche Regelung und damit eine etwaige (teilweise) Unwirksamkeit der Weisung zu berufen, nicht verwirkt21.

Aufgrund der statischen Fortgeltung der Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden kann der Arbeitnehmer in der Zeit von Oktober 2021 bis April 2022 die Durchführung der Alterssicherung nach § 6 MTV NW/NB verlangen. Die Höhe der Forderungen steht zwischen den Parteien nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht im Streit. Der Arbeitnehmer hat mit seinem Schreiben vom 26.01.2022 seine Ansprüche auch rechtzeitig iSd. Ausschlussfrist des § 18.01.2 MTV NW/NB geltend gemacht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Dezember 2024 – 4 AZR 44/24

  1. LAG Baden-Württemberg 31.01.2024 – 4 Sa 24/23[]
  2. vgl. BAG 12.06.2024 – 4 AZR 202/23, Rn.20; 2.06.2021 – 4 AZR 387/20, Rn. 13 f. mwN[]
  3. ausf. BAG 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, Rn. 24 ff., BAGE 116, 326; 18.04.2007 – 4 AZR 652/05, Rn. 29 ff., BAGE 122, 74[]
  4. BAG 13.12.2023 – 4 AZR 286/22, Rn. 16; 28.04.2021 – 4 AZR 229/20, Rn. 33, BAGE 174, 382; 27.03.2018 – 4 AZR 151/15, Rn. 22, jeweils mwN[]
  5. BAG 27.04.2022 – 4 AZR 289/21, Rn. 22; zu einer sog. Gleichstellungsabrede bereits BAG 20.03.1991 – 4 AZR 455/90, zu B II 1 b der Gründe, BAGE 67, 330[]
  6. BAG 16.05.2018 – 4 AZR 209/15, Rn. 23 mwN[]
  7. BAG 16.11.2011 – 4 AZR 822/09, Rn. 56; 6.07.2011 – 4 AZR 706/09, Rn. 51, BAGE 138, 269 unter Aufgabe der durch die Arbeitgeberin herangezogenen Rechtsprechung aus BAG 4.09.1996 – 4 AZR 135/95, zu II a bb der Gründe, BAGE 84, 97[]
  8. BAG 12.06.2024 – 4 AZR 202/23, Rn. 27; 12.12.2018 – 4 AZR 271/18, Rn. 18; 11.07.2018 – 4 AZR 533/17, Rn. 27, BAGE 163, 175 unter Abgrenzung zu den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 23.01.2008 – 4 AZR 602/06, Rn. 24; und vom 23.03.2005 – 4 AZR 203/04, zu I 1 b bb (2) (a) der Gründe, BAGE 114, 186[]
  9. vgl. BAG 12.12.2018 – 4 AZR 271/18 – aaO[]
  10. BAG 16.05.2018 – 4 AZR 209/15, Rn. 26; 7.07.2010 – 4 AZR 549/08, Rn. 75 f., BAGE 135, 80[]
  11. vgl. zu den Voraussetzungen BAG 28.04.2021 – 4 AZR 229/20, Rn. 43 mwN, BAGE 174, 382[]
  12. BAG 12.06.2024 – 4 AZR 202/23, Rn. 30; 28.04.2021 – 4 AZR 229/20, Rn. 33, BAGE 174, 382, jeweils mwN[]
  13. ausf. BAG 21.10.2009 – 4 AZR 396/08, Rn. 23 ff. unter Aufgabe einer etwaig anderen Rechtsprechung aus der Entscheidung vom 21.08.2002 – 4 AZR 263/01, BAGE 102, 275; sh. auch BAG 17.11.2010 – 4 AZR 127/09, Rn. 18[]
  14. BAG 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, Rn. 13, BAGE 116, 326[]
  15. dazu grdl. BAG 18.11.2009 – 4 AZR 514/08, Rn. 22 ff., BAGE 132, 261[]
  16. BAG 27.03.2018 – 4 AZR 208/17, Rn. 28 mwN[]
  17. vgl. BAG 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, Rn. 60 ff., BAGE 160, 296[]
  18. BAG 27.07.2021 – 9 AZR 448/20, Rn. 21; 14.10.2020 – 5 AZR 649/19, Rn. 12[]
  19. vgl. BAG 10.12.2014 – 4 AZR 991/12, Rn. 21 zu einem Unterrichtungsschreiben nach § 613a BGB[]
  20. zur Änderung zugunsten des Arbeitnehmers BAG 26.09.2012 – 10 AZR 336/11, Rn. 14; vgl. auch BAG 22.02.2012 – 4 AZR 3/10, Rn. 32 zum Unterrichtungsschreiben im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang[]
  21. vgl. zur Geltendmachung einer unwirksamen Weisung BAG 12.12.2006 – 9 AZR 747/06, Rn. 18 mwN; sh. auch BAG 21.03.2024 – 2 AZR 79/23, Rn. 32 ff.[]