Die Abstufung der Darlegungslast beim Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 EFZG, wonach der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen hat, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden, begegnet für das Bundesarbeitsgericht weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist.

Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, sieht § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG im Hinblick auf die sozioökonomische Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis1 einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung vor. Dieser Anspruch, der von dem an sich nach den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts iVm. § 614 BGB auch im Arbeitsverhältnis geltenden Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“2 abweicht, ist grundsätzlich auf die Dauer von sechs Wochen wegen einer Erkrankung begrenzt3. Wird ein Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, verliert er nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nur dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). Vor Ablauf dieser Fristen entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen daher nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Diese Regelungen sollen die wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeber durch die Entgeltfortzahlungspflicht begrenzen. Es handelt sich um eine Einschränkung der Rechte des wiederholt erkrankten Arbeitnehmers, die auf einer besonderen Zumutbarkeitsregelung des Gesetzgebers beruht4.
Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert, gilt eine abgestufte Darlegungslast5. Zunächst muss der Arbeitnehmer – soweit sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dazu keine Angaben entnehmen lassen – darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, hat der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden6. Er muss laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Denn erst ausgehend von diesem Vortrag ist regelmäßig dem Arbeitgeber substantiierter Sachvortrag möglich. Auf das Bestreiten des Arbeitgebers genügt die bloße Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt ist, kann sich auch als Erstbescheinigung ohnehin nicht zum (Nicht-)Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen7.
Die Zuweisung der abgestuften Darlegungslast an den Arbeitnehmer nach Maßgabe der dargestellten Grundsätze begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die grundrechtliche Prüfung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast ist auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlich geprägten Regelungen zum Datenschutz primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes vorzunehmen8. Beim Datenschutzrecht handelt es sich um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bestehen hinsichtlich datenschutzrechtlicher Regelungen und den diese ergänzenden arbeitsrechtlichen Regelungen „geteilte Zuständigkeiten“ der Union und der Mitgliedstaaten9. Die DS-GVO enthält zahlreiche Öffnungsklauseln10, mit denen sie die Normsetzungskompetenz ausdrücklich auf die Mitgliedstaaten überträgt, wodurch sie sich von einer klassischen Verordnung unterscheiden und in die Nähe einer Richtlinie rücken lässt11. Für solche Regelungen bleibt es nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts12 bei der Kontrolle primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes.
Aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts, insbesondere von § 138 Abs. 3 ZPO, können sich abweichende Anforderungen an die Darlegungslast wegen einer Verletzung des gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ergeben13. Dieses ist hier in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung14 betroffen. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung15 müssen die Gerichte prüfen, ob einer Partei eine Darlegung abverlangt wird, die mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, hier in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht mehr vereinbar ist.
Soweit die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Fortsetzungserkrankungen vom Arbeitnehmer die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlangt, ist der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG verhältnismäßig und damit gerechtfertigt.
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen16. Wenn der Arbeitnehmer zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im gerichtlichen Verfahren die seinen Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Erkrankungen mitteilen muss, liegt ein Eingriff vor.
Dieser Grundrechtseingriff ist jedoch gerechtfertigt. Er dient dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben17 und ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich. Nach Offenlegung der den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Beschwerden und Erkrankungen ist durch eine sachverständige Überprüfung feststellbar, ob der Arbeitnehmer an Fortsetzungserkrankungen iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG gelitten hat. Auf diese Art und Weise kann wirkungsvoller Rechtsschutz gewährt werden, wie es die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art.19 Abs. 4 GG bzw. die Justizgewährungspflicht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG erfordern18. Zudem wird durch die Darlegung im Prozess das in Art. 103 Abs. 1 GG geschützte rechtliche Gehör der Gegenseite gesichert, die sich zu den dort mitgeteilten Tatsachen äußern kann.
Der Eingriff ist erforderlich, weil keine gleich effektiven Mittel zur Verfügung stehen, die weniger stark in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Die vom Arbeitnehmer aufgeführten Alternativen sind nicht in derselben Art und Weise geeignet, eine materiell richtige Entscheidung unter Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Gegenseite zu erreichen.
Die Mitteilung der Krankenkasse zum (Nicht-)Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen ermöglicht keine dem Justizgewährungsanspruch genügende Kontrolle19. § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X erlaubt den Krankenkassen die Mitteilung ihrer Einschätzung an den Arbeitgeber, bindet aber weder diesen noch die Gerichte für Arbeitssachen. Die Regelung wurde im Interesse des Arbeitgebers geschaffen, damit er ggf. schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung feststellen kann20. Anders als es § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsieht, entzieht das Gesetz dem Arbeitgeber aber auf die Mitteilung gemäß § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X nicht sein Leistungsverweigerungsrecht. Vor diesem Hintergrund hat die Mitteilung der Krankenkasse keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert21. Dies gilt gerade mit Blick darauf, dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden können. Muss der Arbeitgeber wegen des Nichtbestehens einer Fortsetzungserkrankung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG Entgeltfortzahlung leisten, ist die Krankenkasse nicht zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet, § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V22. Da der Arbeitgeber die Beurteilung der Krankenkasse nicht auf anderem Wege gerichtlich überprüfen lassen kann23, ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren um Entgeltfortzahlung eine gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen. Dies gilt erst recht, wenn Arbeitnehmer nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Hier hat der Arbeitgeber außerhalb des gerichtlichen Verfahrens keine Möglichkeit zu überprüfen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Eine Differenzierung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast nach der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht ist nicht sachlich zu rechtfertigen.
Die weiteren vom Arbeitnehmer erwogenen Möglichkeiten, ohne oder nur mit eingeschränkter Offenlegung der Ursachen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu beurteilen, stehen im Widerspruch zu elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ein Sachvortrag nur gegenüber dem Gericht kommt ebenso wenig in Frage wie die vom Arbeitnehmer in Betracht gezogene Variante, Krankheitsursachen nur einem Sachverständigen offenzulegen, der dem Gericht und der Gegenseite lediglich das – bindende – Ergebnis seiner Begutachtung mitteilt. Derart „geheime Verfahren“ verstoßen gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) und entziehen dem Arbeitgeber sein Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die grundgesetzliche Gewährleistung rechtlichen Gehörs konkretisiert das Rechtsstaatsprinzip. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Die Parteien müssen sich zu dem Sachverhalt, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt wird, vor Erlass der Entscheidung äußern dürfen. Eine Art. 103 Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten erkennen können, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann24. Der Arbeitgeber muss daher die vom Arbeitnehmer behaupteten Krankheitsursachen kennen, um die Aussagekraft eines eingeholten Sachverständigengutachtens ggf. unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen beurteilen und hierzu Stellung nehmen zu können.
Die den Arbeitnehmer treffende Darlegungsobliegenheit ist angemessen und verhältnismäßig im engeren Sinne. Dies erfordert, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Hierzu sind die hinter der Darlegungsobliegenheit stehenden Interessen und der Schutz der betroffenen Grundrechte miteinander abzuwägen25. Nach diesen Maßstäben muss das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung hinter den Verfahrensgrundrechten und den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG des Arbeitgebers zurücktreten. Am Schutz der den Gesundheitszustand betreffenden Informationen besteht zwar grundsätzlich ein hohes Interesse26. Auf Seiten der Arbeitgeberin ist jedoch neben den Verfahrensgrundrechten die in § 3 Abs. 1 EFZG gesetzlich geregelte wirtschaftliche Zumutbarkeitsgrenze einer grundsätzlich auf sechs Wochen beschränkten Pflicht zur Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen. Diese bewirkt eine Beschränkung der wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) durch die in der Entgeltfortzahlungspflicht liegende Durchbrechung des im Arbeitsvertragsrecht geltenden Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“. Ohne entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers wird ein Berufen des Arbeitgebers auf die gesetzlich vorgesehene Zumutbarkeitsregelung regelmäßig ins Leere laufen, weil er ohne Kenntnis der Ursachen der Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage ist, deren Voraussetzungen einzuwenden. Ob die Entgeltfortzahlungspflicht nach den gesetzlichen Regelungen wegen einer Fortsetzungserkrankung ausgeschlossen ist, muss zudem – wie ausgeführt – mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch in einem rechtsstaatlichen Verfahren und unter Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) nachprüfbar sein.
Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zum Nachweis einer Fortsetzungserkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG steht im Einklang mit Unionsrecht.
Die Datenverarbeitung besonders geschützter personenbezogener Daten richtet sich in Gerichtsverfahren nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO. Hiernach ist – entgegen Art. 9 Abs. 1 DS-GVO – die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, hier der Gesundheitsdaten einer natürlichen Person, zulässig, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. Diese Norm dient der Sicherung des Justizgewährungsanspruchs: Das Datenschutzregime soll nicht so weit gehen, dass die legitime Durchsetzung von Rechten nicht mehr möglich ist27. Vor dem Hintergrund der Waffengleichheit und des effektiven Rechtsschutzes gilt entsprechendes auch für die Rechtsverteidigung bzw. die Abwehr von Ansprüchen28.
Die Verarbeitung von Daten zu den Erkrankungen und gesundheitlichen Beschwerden, die in der Vergangenheit zu einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geführt haben, ist im gerichtlichen Verfahren über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO zulässig. Die Verarbeitung der entsprechenden sensiblen Daten ist für die justizielle Tätigkeit erforderlich, denn das Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG im jeweils maßgeblichen Zeitraum kann – ggf. mittels eines Sachverständigengutachtens – nur nach entsprechendem Vortrag des Arbeitnehmers zu den seiner Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden Erkrankungen ermittelt werden. Auch bei Abwägung der beiderseitigen Interessen29 sind schutzwürdige Betroffeneninteressen nicht vorrangig, weil die Informationen für die gerichtliche Entscheidungsfindung notwendig und neben den Verfahrensgrundrechten auch materielle Rechte der Arbeitgeberin (Art. 12, 14 GG) für die Prüfung der gesetzlichen Zumutbarkeitsregelung des EFZG sprechen. In der mündlichen Verhandlung besteht zudem die Möglichkeit, erforderlichenfalls nach § 52 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG iVm. § 171b Abs. 1 Satz 1 ZPO bei der Erörterung von Krankheitsursachen die Öffentlichkeit auszuschließen30.
Ohne dass es vorliegend darauf ankam, ist ausgehend von obigen Grundsätzen auch eine vorprozessuale Datenverarbeitung beim Arbeitgeber gestützt auf § 26 Abs. 3 BDSG iVm. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DS-GVO31 grundsätzlich möglich. Eine entsprechende Datenverarbeitung erfolgt in Ausübung von Rechten und zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis iSv. § 26 Abs. 3 BDSG, nämlich bei der Durchführung der in § 3 Abs. 1 EFZG geregelten Entgeltfortzahlungspflicht im Rahmen dessen, was zur Prüfung ihrer Voraussetzungen arbeitgeberseits erforderlich ist.
Ausgehend von diesen Grundsätzen war daher in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall die Annahme des in der Vorinstanz mit der Sache befassten Hessischen Landesarbeitsgerichts32, die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers im streitgegenständlichen Zeitraum hätten keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche begründet, rechtsfehlerfrei. Mangels substantiierten Vortrags des Arbeitnehmers ist vom Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen auszugehen, so dass ihm wegen des Überschreitens des Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG mehr zustand.
Der Arbeitnehmer, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert war, ist der ihn nach den oben dargestellten Grundsätzen treffenden abgestuften Darlegungslast nicht nachgekommen.
Nachdem die Arbeitgeberin, die in dem Jahr vor dem streitgegenständlichen Zeitraum für (deutlich) mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet hatte, das Vorliegen jeweils „neuer“ Erkrankungen iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. Satz 2 EFZG bestritten hat, hätte der Arbeitnehmer zum Nichtvorliegen von Fortsetzungserkrankungen umfassend vortragen müssen. Hierfür genügt – unabhängig von der von ihm getroffenen zeitlichen und inhaltlichen „Vorauswahl“ – ein bloßer Verweis auf Diagnoseschlüssel nach der ICD-10 Klassifikation nicht. Die Revision lässt außer Acht, dass eine Fortsetzungserkrankung nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild vorliegt, sondern ebenso, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen33. Das Vorliegen „derselben Krankheit“ iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist auch bei ggf. immer wiederkehrenden (chronischen) Erkrankungen der Atemwege im maßgeblichen Zeitraum nicht von vornherein ausgeschlossen. Ohne einen konkreten Vortrag dazu, welche gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden bestanden, lässt sich nicht beurteilen, ob eine Fortsetzungserkrankung in Betracht kommt. Nur nach entsprechenden Darlegungen des Arbeitnehmers ist dem beweisbelasteten Arbeitgeber ein weiterer Vortrag möglich. Der Vortrag des Arbeitnehmers, der – für einzelne Zeiträume – lediglich die Diagnoseschlüssel nach der ICD-10 Klassifikation bzw. deren „Übersetzung“ in Krankheiten oder Symptome aufführt, genügt diesen Anforderungen nicht.
Darüber hinaus müssen sich die Darlegungen des Arbeitnehmers zum Nichtvorliegen von Fortsetzungserkrankungen umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im maßgeblichen Vorzeitraum beziehen. Auch daran fehlte es hier aufgrund der vom Arbeitnehmer getroffenen, für das Gericht und die Arbeitgeberin nicht nachprüfbaren „Vorauswahl“ der aus seiner Sicht maßgeblichen Erkrankungen. Für etliche Arbeitsunfähigkeitszeiträume im jeweiligen zeitlichen Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG fehlt jeglicher Vortrag.
Dem Bundesarbeitsgericht war im vorliegenden Fall eine Endentscheidung möglich, ohne dass dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben war. Einen etwaigen Verstoß des Berufungsgerichts gegen Hinweispflichten34 hinsichtlich der Erforderlichkeit weiteren Sachvortrags zu seinen Vorerkrankungen hat der Arbeitnehmer nicht gerügt. Ein etwaiger derartiger Verstoß hätte innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zum Gegenstand der Revision gemacht werden können und müssen, was nicht geschehen ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2023 – 5 AZR 93/22
- vgl. Oberthür jM 2022, 65, 67[↩]
- vgl. BAG 16.05.2012 – 5 AZR 347/11, Rn. 26, BAGE 141, 330[↩]
- vgl. BAG 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, Rn. 13, BAGE 169, 117[↩]
- vgl. Joussen SAE 2006, 147, 148[↩]
- vgl. grundlegend BAG 13.07.2005 – 5 AZR 389/04, zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; ebenso 31.03.2021 – 5 AZR 197/20, Rn. 26; 10.09.2014 – 10 AZR 651/12, Rn. 27, BAGE 149, 101[↩]
- BAG 31.03.2021 – 5 AZR 197/20, Rn. 26; 10.09.2014 – 10 AZR 651/12, Rn. 27, aaO; ErfK/Reinhard 23. Aufl. EFZG § 3 Rn. 44; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 87; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1.12.2022 EFZG § 3 Rn. 73; Joussen SAE 2006, 147, 151 f.[↩]
- BAG 31.03.2021 – 5 AZR 197/20, Rn. 26 mwN[↩]
- vgl. BVerfG 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – [Recht auf Vergessen I] Rn. 42, BVerfGE 152, 152; zu § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG vgl. BAG 25.08.2022 – 2 AZR 225/20, Rn.20[↩]
- vgl. EuGH 22.06.2022 – C-534/20 – [Leistritz] Rn. 30 ff.[↩]
- ua. Art. 88 DS-GVO[↩]
- so ausdrücklich EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts de la Tour vom 27.01.2022 – C-534/20 – [Leistritz] Fn. 28[↩]
- BVerfG 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – [Recht auf Vergessen I] aaO[↩]
- BAG 27.07.2017 – 2 AZR 681/16, Rn. 16, BAGE 159, 380; 29.06.2017 – 2 AZR 597/16, Rn. 21, BAGE 159, 278[↩]
- vgl. dazu BVerfG 4.11.2022 – 2 BvR 2202/19, Rn. 25; 29.07.2022 – 2 BvR 54/22, Rn. 28[↩]
- BVerfG 13.02.2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 93, BVerfGE 117, 202; 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, zu C II 3 b der Gründe, BVerfGE 106, 28; zum Einfluss des Rechtsstaatsprinzips BVerfG 25.07.1979 – 2 BvR 878/74, zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 52, 131[↩]
- BVerfG 4.11.2022 – 2 BvR 2202/19, Rn. 25; 1.12.2020 – 2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12, Rn.198 mwN, BVerfGE 156, 63[↩]
- vgl. BVerfG 13.02.2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 93, BVerfGE 117, 202; 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, zu C II 4 a aa der Gründe, BVerfGE 106, 28[↩]
- vgl. dazu BVerfG 8.11.2022 – 2 BvR 2480/10, Rn. 134[↩]
- vgl. BAG 10.09.2014 – 10 AZR 651/12, Rn. 28, BAGE 149, 101; 13.07.2005 – 5 AZR 389/04, zu I 5 der Gründe, BAGE 115, 206[↩]
- BT-Drs. 12/5187 S. 39[↩]
- aA LAG Baden-Württemberg 8.06.2016 – 4 Sa 70/15, zu I 2 c aa der Gründe[↩]
- vgl. ErfK/Rolfs 23. Aufl. SGB V § 49 Rn. 3; BeckOK SozR/Tischler Stand 1.12.2022 SGB V § 49 Rn. 5[↩]
- BAG 13.07.2005 – 5 AZR 389/04, zu I 5 der Gründe, BAGE 115, 206; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 87[↩]
- BVerfG 8.06.1993 – 1 BvR 878/90, zu C I der Gründe, BVerfGE 89, 28; BeckOK GG/Radtke Stand 15.08.2022 GG Art. 103 Rn. 8[↩]
- vgl. BVerfG 13.02.2007 – 1 BvR 421/05, Rn. 94, BVerfGE 117, 202; 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; 25.07.1979 – 2 BvR 878/74, zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 52, 131[↩]
- vgl. auch die Wertung in Art. 9 Abs. 1 DS-GVO und BAG 12.09.2006 – 9 AZR 271/06, Rn. 29, BAGE 119, 238 zum Schutz von Gesundheitsdaten in der Personalakte[↩]
- Frenzel in Paal/Pauly 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 37[↩]
- vgl. VG Wiesbaden 19.01.2022 – 6 K 361/21.WI, Rn. 73[↩]
- vgl. Weichert in Kühling/Buchner 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 86; aA – keine Interessenabwägung notwendig – Gola/Heckmann/Schulz 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 34[↩]
- vgl. MünchKomm-ZPO/Pabst 6. Aufl. GVG § 171b Rn. 4 f.[↩]
- vgl. hierzu BAG 1.06.2022 – 5 AZR 28/22, Rn. 56 ff. mwN[↩]
- Hess. LAG 14.01.2022 – 10 Sa 898/21[↩]
- BAG 26.10.2016 – 5 AZR 167/16, Rn. 52 mwN, BAGE 157, 102; vgl. auch BeckOK ArbR/Ricken Stand 1.12.2022 EFZG § 3 Rn. 73; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 61 f.[↩]
- vgl. dazu BAG 23.03.2016 – 5 AZR 758/13, Rn. 41, BAGE 154, 337[↩]