Arbeitsrecht im Juli 2014

KlatschmohnDer vergangene Monat hat im Arbeitsrecht wieder eine Reihe neuer Entscheidungen gebracht. Teils zu schon länger schwelenden Problemen wie der Urlaubsabgeltung bei längerdauernder Krankheit oder den equal pay-Ansprüchen der Leiharbeitnehmer. Teils aber auch zu neu aufgekommenen Themen. Aber sehen Sie selbst:

Übertarifliche Zulage – und der Stufenaufstieg

Bei Berücksichtigung der nachträglichen Feststellung des höheren Tabellenentgeltes im Eingruppierungsrechtsstreit enthält das Schreiben vom 08.01.2007 keine Zusage, zum zutreffenden Tabellenentgelt stets eine Zulage in Höhe des Differenzbetrages zwischen den Stufen 1 und 2 der Entgeltgruppe Ä 3 TV-Ärzte zu zahlen. Das folgt eben-falls aus der Zwecksetzung des § 16 Abs. 3 TV-Ärzte als Vorweggewährung eines Ent-gelts der höheren Stufe. Es handelt sich dabei lediglich um den zeitlichen Vorgriff auf die Erreichung der höheren Stufe. Die Gewährung des höheren Entgelts nach Satz 1 wird durch das Aufsteigen in den Stufen aufgezehrt.

Der Anrechnung steht die Ausweisung der Zulage als eines gesonderten Entgeltbestand-teils in der Vergütungsabrechnung des Arztes nicht entgegen. Zum einen bestand für die Arbeitgeberin keine andere Abrechnungsmöglichkeit, wenn sie im Rahmen des § 16 Abs. 3 TV-Ärzte vorgehen wollte. Zum anderen dient eine Mitteilung über die Zusammensetzung des Gehalts in der Regel allein dem Mitteilungs- und Erläuterungszweck. Ein Wille, eine Rechtswirkung herbeizuführen, ist einer solchen Mitteilung regelmäßig nicht zu entnehmen1.

Der Zweck der vorliegenden Zulage ist mit der Bezugnahme auf § 16 Abs. 3 TV-Ärzte bestimmt. Er liegt in der Vorweggewährung eines Entgelts der höheren Stufe zu dem aus Sicht der Arbeitgeberin zustehenden Tabellenentgelt. Sobald der Arzt die höhere Stufe erreicht, fällt automatisch nach § 16 Abs. 3 TV-Ärzte die gewährte Zulage weg.

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Es kann dahingestellt bleiben, ob die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätze zur Anrechnung übertariflicher Zulagen auf Tariflohnerhöhungen stets dann anzuwenden sind, wenn nachträglich eine höhere tarifliche Eingruppierung des Arbeitnehmers festgestellt wird. Sie sind jedenfalls im vorliegenden Fall anwendbar, weil die Arbeitgeberin mit der Bezugnahme auf § 16 Abs. 3 TV-Ärzte die durch Zeitablauf eintretende Tariflohnerhöhung bei Erreichen der höheren Entgeltstufe vorwegnehmen wollte. Insoweit liegt hier eine der nachträglichen Tariflohnerhöhung vergleichbare Situation vor.

Enthält die Vergütungsabrede der Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung zur Anrechnung übertariflicher Vergütung, ist aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht. Die Anrechnung ist grundsätzlich möglich, sofern dem Arbeitnehmer nicht vertraglich ein selbständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt worden ist. Eine neben dem Tarifentgelt gewährte übertarifliche Zulage greift künftigen Tariflohnerhöhungen vor. Für den Arbeitgeber ist regelmäßig nicht absehbar, ob er bei künftigen Tariflohnerhöhungen weiter in der Lage sein wird, eine bisher gewährte Zulage in unveränderter Höhe fortzuzahlen. Dies ist für den Arbeitnehmer erkennbar und Grundlage einer sog. freiwilligen übertariflichen Zulage. Der Anrechnungsvorbehalt ist demgemäß bereits mit der Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung oder Zulage hinreichend klar ersichtlich. Erhöht sich die tarifliche Vergütung, entspricht die Zulässigkeit der Anrechnung regelmäßig dem Parteiwillen, weil sich die Gesamtvergütung nicht verringert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der übertarifliche Vergütungsbestandteil als freiwillig oder anrechenbar bezeichnet worden ist, es reicht aus, dass das Gesamtentgelt übertariflich ist. Der in diesem enthaltene übertarifliche Vergütungsbestandteil hängt vor der Höhe des Tarifentgelts ab und ist deshalb variabel. Er entspricht in seiner rechtlichen Bedeutung weder einer anrechenbaren noch einer anrechnungsfesten übertariflichen Zulage. Will der Arbeitnehmer geltend machen, das vertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt setzte sich in Wahrheit aus dem Tarifentgelt und einer anrechnungsfesten übertariflichen Zulage zusammen, hat er tatsächliche Umstände vorzutragen, die den Schluss auf eine solche Vereinbarung erlauben. Andernfalls kann die Erhöhung des Tarifentgelts nur dann zu einem effektiv erhöhten Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers führen, wenn das Tarifentgelt das vereinbarte Entgelt übersteigt2.

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Die Erklärung der Arbeitgeberin enthält vorliegend keinen ausdrücklichen Anrechnungsvorbehalt für den Fall, dass nachträglich ein höheres Tabellenentgelt des angestellten Arztes festgestellt wird. Aus dem Inhalt des Schreibens und den weiteren Umständen zum Zeitpunkt der Zusage ergibt sich jedoch eine Befugnis zur Anrechnung. Diese folgt aus der im Schreiben vom 08.01.2007 dargelegten Berechnungsmethode des Entgeltes, das die Arbeitgeberin dem Arzt zukünftig gewähren wollte, nämlich das Tabellenentgelt der Stufe 1 nebst einer Zulage in Höhe der Stufe 2 und nicht unabhängig davon eine Zulage in Höhe der Differenz zwischen den Stufen 1 und 2 zusätzlich zum Tabellenentgelt. Die Gewährung einer Vergütung, die über die Stufe 2 der Entgeltgruppe Ä 3 TV-Ärzte hinausgeht, konnte der Arzt nach dem Inhalt des Schreibens und nach den weiteren Umständen des Falles unter keinem Gesichtpunkt erwarten. Dies hat er angesichts seines Schreibens vom 14.01.2007 auch nicht getan, sondern lediglich erhofft. Gerade aufgrund der Differenzen zwischen den Parteien über das dem Arzt tariflich zustehende Tabellenentgelt bei der Zuordnung zu den Stufen der Entgeltgruppe Ä 3 TV-Ärzte kann dem Schreiben der Arbeitgeberin vom 08.01.2007 der Wille, unabhängig von der zutreffenden tariflichen Einstufung jedenfalls eine Zulage in Höhe der Differenz zwischen den Stufen 1 und 2 zu gewähren, nicht entnommen werden.

Soweit der Arzt ausführt, der Irrtum der Arbeitgeberin über die zutreffende Eingruppierung stelle sich als unbeachtlicher Motivirrtum dar, liegt dies neben der Sache. Bei der Auslegung der Erklärung der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 08.01.2007 nach §§ 133, 157 BGB ist jegliche Motivation, die sich entweder aus der Erklärung selbst oder den Umständen des Einzelfalls ergibt, zu beachten. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Irrtumsanfechtung nach §§ 119 ff. BGB. Insoweit ist die Formulierung „zusätzlich zum Tabellenentgelt der Stufe 1“ nicht auslegungsfähig, insbesondere nicht im Sinne des vom Arzt favorisierten Ergebnisses.

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Auch das Argument, die Nennung der Stufe 1 sei nur deklaratorisch, trägt das vorliegende Ergebnis. Gerade aus der „deklaratorischen Nennung“ ist der Wille der Arbeitgeberin eindeutig erkennbar.

Ein Anrechnungsverbot besteht auch nicht aufgrund einer Zusage als Leistungszulage. Tariffest oder beständig ist eine Zulage dann, wenn die Zulage für eine Tätigkeit oder eine Leistung gewährt wird, für die der Tarifvertrag keine Gegenleistung vorsieht und der Arbeitgeber sich eine Anrechnung oder einen Widerruf nicht ausdrücklich vorbehalten hat3. Weder aus dem Inhalt des Schreibens vom 08.01.2007 noch aus den weiteren Umständen des Einzelfalls ist zu entnehmen, dass die dem Arzt gewährte Zulage für eine Tätigkeit oder Leistung gewährt werden soll, für die der Tarifvertrag keine Gegenleistung vorsieht. Der Arzt erbringt und erbrachte im Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin lediglich diejenigen Leistungen, die gemäß §§ 12, 16 TV-Ärzte abgegolten werden sollten. Die Zulage sollte weder eine besondere Erschwernis noch eine zusätzliche Tätigkeit oder Leistung abgelten. Vielmehr sollte sie sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Schreibens im Rahmen des § 16 Abs. 3 TV-Ärzte liegen. Selbst wenn dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, so ist dennoch der Wille der Arbeitgeberin erkennbar, sich lediglich im Rahmen des bestehenden Tarifvertrages halten zu wollen.

Der Ausschluss der Anrechnungsbefugnis kann auch aus dem Zweck der Zulage folgen4. Der Zweck der vorliegenden Zulage ist mit der Bezugnahme auf § 16 Abs. 3 TV-Ärzte bestimmt. Er liegt in der Vorweggewährung eines Entgelts der höheren Stufe zu dem aus Sicht der Arbeitgeberin zustehenden Tabellenentgelt. Sobald der Arzt die höhere Stufe erreicht, fällt automatisch nach § 16 Abs. 3 TV-Ärzte die gewährte Zulage weg. Genau das ist der Zweck mit der von der Arbeitgeberin verfolgten Zulage. Die Anrechnungsbefugnis ist dem Zweck der Zulage immanent.

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Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. Februar 2011 – 16 Sa 584/10 E

  1. BAG vom 23.09.2009 – 5 AZR 973/08, EzA § 4 TVG Tariflohnerhöhung Nr. 50[]
  2. BAG vom 23.09.2009 – 5 AZR 973/08 a.a.O.[]
  3. BAG vom 23.03.1993 – 1 AZR 520/92 – BAGE 72, 367 – 375, AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang, EzA § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 24[]
  4. BAG vom 14.08.2007 – 1 AZR 744/00 – AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede, EzA § 88 BetrVG 1972 Nr. 1[]