§ 547 Nr. 1 ZPO erfasst unter anderem diejenigen Fälle, in denen die Entscheidung durch andere als die gesetzlich berufenen Richter ergeht1. Aus dem verfassungsrechtlichen Verbot, einem Verfahrensbeteiligten den gesetzlichen Richter zu entziehen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) folgt, dass die Rechtsprechungsorgane nicht anders besetzt werden dürfen als es in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne vorgesehen ist2. Zwar ist nicht jeder Fehler bei der Geschäftsverteilung ein absoluter Revisionsgrund3. Eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts im Sinne von § 547 Nr. 1 ZPO liegt aber dann vor, wenn die Anwendung der Geschäftsverteilung auf den Einzelfall willkürlich erfolgt4. Dabei ist auf einen objektiven Willkürmaßstab abzustellen5. Maßgeblich ist, ob sich das Gericht bei der Auslegung und Anwendung des Geschäftsverteilungsplans so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass dies nicht mehr zu rechtfertigen ist6, dh. bei verständiger Würdigung dieses Grundsatzes nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist7.

Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall waren nach dem Wortlaut von Nr.02.1 des Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts (GVPl.2009) die eingehenden Verfahren ohne Rücksicht auf die Verfahrensart allein ihrem Eingang entsprechend auf die Kammern zu verteilen. Dies ergibt sich auch aus dem systematischen Zusammenhang. In Nr.02.1 GVPl.2009 ist eine jeweils nach Verfahrensart getrennte Verteilung gerade nicht angeordnet8. Aus dem Eingangssatz in Nr.02.1 GVPl.2009 ergibt sich nichts Anderes. Der dort enthaltenen Aufzählung der verschiedenen Verfahrensarten lässt sich nicht entnehmen, die Verteilung habe nach den einzelnen Verfahrensarten getrennt zu erfolgen. Die Aufzählung stellt lediglich klar, welche Verfahrensarten von der Regelung betroffen sind.
Die nach Nr.02.1 GVPl.2009 fehlerhaft vorgenommene Verteilung getrennt nach Verfahrensarten ist bei objektiver Würdigung nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar.
Abzustellen ist auf einen objektiven Willkürmaßstab. Bei Regelungen zur Geschäftsverteilung handelt es sich nicht um ein bloßes Internum der Gerichtsverwaltung. Es geht vielmehr darum, den „gesetzlichen Richter“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass sich der für die einzelne Sache zuständige Richter im Voraus eindeutig aus einer allgemeinen Regelung ergeben muss9. Dies ist bei einer objektiv unverständlichen Anwendung einer Geschäftsverteilungsregelung nicht mehr gewährleistet. Mögliche subjektive Vorstellungen des Präsidiums, die in der Regelung keinen Niederschlag gefunden haben, sind ebenso unbeachtlich wie solche des entscheidenden Richters.
Danach entfernt sich die Auslegung und Anwendung von Nr.02.1 GVPl.2009 bei der Verteilung der Beschwerde im vorliegenden Verfahren so weit von den Vorgaben des Geschäftsverteilungsplans, dass sie objektiv unhaltbar ist. Von einer den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügenden Verteilung kann damit nicht ausgegangen werden. An Stelle der in Nr.02.1 GVPl.2009 beschlossenen Regelung wird eine inhaltlich gänzlich andere zugrunde gelegt, die mit den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans offensichtlich nicht in Einklang zu bringen ist.
Der Umstand, dass – so die Auskunft der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts vom 15.03.2010 – die fehlerhafte Verteilungspraxis bei gleichlautenden Regelungen in den jeweiligen Geschäftsverteilungsplänen bereits seit vielen Jahren geübt wurde, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Sie entsprach damit zwar möglicherweise dem Willen des Präsidiums, dieser hat aber in der Regelung der Nr.02.1 GVPl.2009 objektiv keinen Niederschlag gefunden.
Es bedarf keiner Klärung, ob die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts irrtümlich ihre Zuständigkeit angenommen hat oder bewusst außerhalb der Geschäftsverteilung tätig geworden ist. Darauf kommt es für die Frage, ob die Auslegung und Anwendung einer Zuteilungsregelung objektiv noch verständlich erscheint, nicht an10. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angenommen, im Einzelfall müsse eine fehlerhafte Anwendung einer Parallelitätsregelung in einem Geschäftsverteilungsplan nicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 GG darstellen11. Dies stellt aber nicht in Frage, dass für die Beurteilung ein objektiver Willkürmaßstab gilt. Es kommt hinzu, dass sich der erkennende Richter – möglicherweise anders als dann, wenn es um eine Geschäftsverteilung nach Sachgesichtspunkten geht – in aller Regel keine eigenen Vorstellungen über die Einhaltung einer im Geschäftsverteilungsplan vorgegebenen Zuteilungsreihenfolge machen wird.
Der absolute Rechtsbeschwerdegrund nach § 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG führt zur Aufhebung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache12. § 561 ZPO findet bei absoluten Revisionsgründen keine Anwendung13. Ebenso wenig ist § 563 Abs. 3 ZPO anwendbar. Ein nicht vom gesetzlichen Richter erlassenes Urteil ist in seiner Gesamtheit aufzuheben14.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 9. Juni 2011 – 2 ABR 35/10
- vgl. BAG 26.09.2007 – 10 AZR 35/07, Rn. 11, AP ZPO § 547 Nr. 7[↩]
- BAG 16.05.2002 – 8 AZR 412/01 – zu II 3 der Gründe, BAGE 101, 145[↩]
- vgl. BAG 23.03.2010 – 9 AZN 1030/09, Rn. 13, AP GG Art. 101 Nr. 63 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 122[↩]
- vgl. Zöller/Heßler ZPO 28. Aufl. § 547 Rn. 2[↩]
- vgl. BVerwG 15.05.2008 – 2 B 77/07, Rn. 6, NVwZ 2008, 1025; Musielak/Ball ZPO 8. Aufl. § 547 Rn. 4[↩]
- vgl. BGH 9.03.1976 – X ZB 17/74 – zu II 2 der Gründe, NJW 1976, 1688[↩]
- vgl. BGH 5.10.1982 – X ZB 4/82 – zu 3 b der Gründe, BGHZ 85, 116[↩]
- so auch BAG 18.05.2010 – 3 ABN 7/10, zu II 3 der Gründe[↩]
- BAG 13.10.2010 – 5 AZN 861/10, Rn. 3, EzA ZPO 2002 § 547 Nr. 4; 26.09.2007 – 10 AZR 35/07, Rn. 11, AP ZPO § 547 Nr. 7[↩]
- vgl. aber Musielak/Ball ZPO 8. Aufl. § 547 Rn. 4; ErfK/Koch 11. Aufl. § 72 ArbGG Rn. 11; GKArbGG/Mikosch Stand April 2011 § 73 Rn. 50; Schwab/Weth/Ulrich 3. Aufl. ArbGG § 73 Rn. 37[↩]
- BAG 3.09.1991 – 3 AZR 369/90, unter B der Gründe, BAGE 68, 248[↩]
- vgl. BAG 22.03.2001 – 8 AZR 565/00, zu A III der Gründe, AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA GG Art. 101 Nr. 5; Hauck in Hauck/Helml/Biebl ArbGG 4. Aufl. § 73 Rn. 13; ErfK/Koch 11. Aufl. § 73 ArbGG Rn. 11[↩]
- Musielak/Ball ZPO 8. Aufl. § 547 Rn. 2; Zöller/Heßler ZPO 28. Aufl. § 561 Rn. 1; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/Prütting/MüllerGlöge ArbGG 7. Aufl. § 73 Rn. 40; Schwab/Weth/Ulrich 3. Aufl. ArbGG § 73 Rn. 63; im Grundsatz ebenso GKArbGG/Mikosch Stand April 2011 § 73 Rn. 91[↩]
- BAG 26.09.1996 – 8 AZR 126/95 – zu B der Gründe, BAGE 84, 189[↩]