Klageanträge – und ihre Auslegung

Klageanträge sind so auszulegen, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht.

Klageanträge – und ihre Auslegung

Für das Verständnis eines Klageantrags ist deshalb nicht am buchstäblichen Wortlaut des Antrags zu haften. Das Gericht hat den erklärten Willen zu erforschen, wie er aus der Klagebegründung, dem Prozessziel und der Interessenlage hervorgeht. Die für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) sind für die Auslegung von Klageanträgen heranzuziehen.

Die Grenzen der Auslegung oder auch der Umdeutung eines Klageantrags sind jedoch erreicht, wenn ein Kläger unmissverständlich ein bestimmtes Prozessziel verfolgt, auch wenn dieses Vorgehen seinem wohlverstandenen Eigeninteresse widerspricht1.

Dies dient nicht zuletzt der hinreichenden Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Klagegegners als Erklärungsadressaten2. Dieser muss sich zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Verteidigung gegen die Klage darauf verlassen können, dass ausschließlich über den gestellten Antrag entschieden wird und nicht über den Antrag, der richtigerweise hätte gestellt werden müssen3.

Zwar kann ein Klageantrag ausnahmsweise auch entgegen dem klaren Wortlaut und dem damit – vermeintlich – verfolgten Rechtsschutzziel auszulegen sein, wenn die sonstigen Umstände des Einzelfalls – insbesondere die Klagebegründung – eindeutig auf ein anderes Rechtsschutzziel schließen lassen. So hat etwa das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass aufgrund besonderer Umstände auch ein ausdrücklicher Beschäftigungsantrag entgegen seinem Wortlaut ausnahmsweise als Antrag zur Verurteilung zur Annahme eines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags ausgelegt werden kann4. Derartige Umstände lagen in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall jedoch nicht vor. Aus den Ausführungen der Klägerin folgt nicht mit dem erforderlichen Maß an Gewissheit, dass sie entgegen dem Wortlaut statt des Beschäftigungs- in Wahrheit einen Wiedereinstellungsantrag stellen wollte.

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Von einem eindeutig gewollten und nach dem Empfängerhorizont klar erkennbaren Wiedereinstellungsbegehren als Rechtsschutzziel trotz des entgegenstehenden Wortlauts des Antrags kann auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil das Beschäftigungsverlangen nach Prozessziel und Interessenlage nicht von vornherein aussichtslos war. Es ist möglich, bei der rechtlichen Bewertung einer Vereinbarung oder einer Zusage zu dem Schluss zu gelangen, dass es sich nicht um einen Vorvertrag bzw. eine Wiedereinstellungszusage handelt, aufgrund derer ein Arbeitnehmer lediglich den Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem Arbeitgeber verlangen kann, sondern vielmehr ein Optionsrecht in Form eines den Arbeitgeber langfristig bindenden Vertragsangebots vorliegt, das der Arbeitnehmer durch eine entsprechende Erklärung annehmen und dadurch den Abschluss eines Arbeitsvertrags unmittelbar herbeiführen kann. Dies hat der Siebte Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts etwa im Fall der Vereinbarung eines „Wiedereintrittsrechts“ angenommen5. Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ist es rechtlich ebenso denkbar anzunehmen, dass schon im Zeitpunkt der Vereinbarung über eine Rückkehrmöglichkeit ein Arbeitsverhältnis begründet werden sollte, jedoch mit hinausgeschobenem „Dienstantritt“. Eben diese rechtliche Begründung hat die Klägerin wiederholt zur Stützung ihres Antrags angeführt.

Es ist nicht möglich, ein und denselben Antrag zunächst entsprechend dem Wortlaut als (Weiter-)Beschäftigungsantrag im laufenden Arbeitsverhältnis zu verstehen und „hilfsweise“ als Wiedereinstellungsantrag auszulegen. Ein nach § 888 Abs. 1 ZPO zu vollstreckender Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung unterscheidet sich wesentlich von einem nach § 894 ZPO zu vollstreckenden Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung6. Wollte die Klägerin die beiden Ansprüche auf Beschäftigung und auf Wiedereinstellung in einem Verfahren gerichtlich geltend machen, hätte es ihr frei gestanden, einen gesonderten Hilfsantrag zu stellen. Die „hilfsweise Auslegung“ eines Klagantrags gibt es nicht.

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Der vorliegende Klageantrag ist auch nicht wegen seiner Perplexität zu unbestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Eine prozessuale Erklärung muss eindeutig in dem einen oder dem anderen Sinne auszulegen sein und ausgelegt werden. Wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten vollständig gleichrangig nebeneinander stehen und der Widerspruch nicht aufklärbar ist, ist die prozessuale Erklärung wegen Perplexität unwirksam7. Eine solche Perplexität liegt nicht vor. Der Antrag ist entsprechend seinem klaren Wortlaut und der von der Klägerin nicht zuletzt in der Revisionsbegründung vorrangig angeführten Begründung als Beschäftigungsantrag auszulegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. März 2015 – 9 AZR 702/13

  1. zum Ganzen BAG 13.06.2012 – 7 AZR 459/10, Rn. 14 mwN[]
  2. vgl. BAG 11.06.2013 – 9 AZR 668/11, Rn. 13[]
  3. Nungeßer NZI 2013, 926, 928[]
  4. BAG 15.12 2011 – 8 AZR 197/11, Rn. 30[]
  5. vgl. BAG 14.01.2004 – 7 AZR 311/03, zu II 1 der Gründe[]
  6. vgl. BAG 19.09.2001 – 7 AZR 574/00, zu III der Gründe; Nungeßer NZI 2013, 926, 928: „fundamental[e]“ Unterscheidung[]
  7. vgl. OLG Koblenz 20.11.2008 – 5 U 688/08, zu II 2 der Gründe; vgl. auch Hamacher Antragslexikon Arbeitsrecht 2. Aufl. Wiedereinstellung S. 263, 266[]