Kündigung kirchlicher Arbeitsverhältnisse – und die Beteiligung der Mitarbeitervertretung

Ein Kündigung, die ohne ordnungsgemäße Beteiligung der zuständigen Mitarbeitervertretung erfolgt, ist nach § 38 Abs. 1 des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 01.01.20191 (MVG-EKD) unwirksam.

Kündigung kirchlicher Arbeitsverhältnisse – und die Beteiligung der Mitarbeitervertretung

Sieht eine vertragliche Vereinbarung die Anwendung von kirchlichen AVR (hier: die Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die der Diakonie Deutschland angeschlossen sind) vor, umfasst dies auch eine Geltung des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts, wenn die kirchlichen AVR ihrerseits von dessen Anwendbarkeit ausgehen2. Das ist bei den hier vertraglich in Bezug genommenen kirchlichen AVR der Fall (vgl. etwa § 9i, § 17 mit Anlage 7, § 20a Abs. 4, § 20b Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3, § 22 Abs. 3 Satz 2, § 27b Abs. 5 Satz 2, Anlage 8 AVR).

Das MVG-EKD schreibt für die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses eine Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach § 38 iVm. § 42 Buchst. b MVG-EKD, bei einer außerordentlichen Kündigung nach § 45 iVm. § 46 Buchst. b MVG-EKD vor. Für den Fall einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmer ist die Mitarbeitervertretung wie bei einer ordentlichen Kündigung gem. § 38 iVm. § 42 Buchst. b MVG-EKD zu beteiligen, das heißt, es ist auch insoweit die vorherige Zustimmung der Mitarbeitervertretung erforderlich3. Anderenfalls wäre der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer trotz des individualschützenden Aspekts des Erfordernisses einer Zustimmung der Mitarbeitervertretung in einer mit dem Zweck des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung nicht zu vereinbarenden Weise gegenüber einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer schlechter gestellt4.

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Die vorstehenden Grundsätze gelten mangels einer gegenteiligen Regelung im MVG-EKD auch für eine außerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist.

Eine der Mitbestimmung unterliegende Maßnahme ist unwirksam, wenn die Mitarbeitervertretung nicht beteiligt worden ist5. § 38 Abs. 1 MVG-EKD ist auch für Zeit zwischen dem 1.01.2019 und 12.11.2019 entsprechend auszulegen. Zwar sah die Bestimmung in der ab dem 1.01.2019 geltenden Fassung zunächst nicht mehr ausdrücklich eine Rechtsfolge für eine ohne die erforderliche Zustimmung der Mitarbeitervertretung durchgeführte Maßnahme vor. Dabei handelte es sich aber um ein bloßes Redaktionsversehen, das inhaltlich keine Veränderung herbeiführen sollte und durch Artikel 7 des Kirchengesetzes vom 13.11.20196 wieder korrigiert wurde7.

Zwar findet gem. § 44 Satz 1 MVG-EKD in Personalangelegenheiten der Personen nach § 4 MVG-EKD keine Beteiligung der Mitarbeitervertretung statt. Dies betrifft insbesondere auch den Kreis der Mitarbeiter nach § 4 Abs. 2 Satz 2 MVG-EKD, die allein oder gemeinsam mit anderen Personen ständig und nicht nur in Einzelfällen zu Entscheidungen in Angelegenheiten befugt sind. Maßgeblich sind die tatsächlich erteilten Befugnisse und ihre tatsächliche Handhabung8. Zudem ist eine gewisse Regelmäßigkeit erforderlich, mit der Entscheidungen in den fraglichen Angelegenheiten anfallen9. Für diese Beurteilung ist auf die dem Arbeitnehmer zuletzt vertraglich übertragene Tätigkeit und ihre tatsächliche Durchführung abzustellen. Zwar waren die ihm zuletzt übertragenen Aufgaben im Zeitpunkt der hier angegriffenen Änderungskündigung nach dem Vorbringen des Arbeitgebers bereits seit längerem weggefallen. Die in § 4 Abs. 2 Satz 2 MVG-EKD angesprochene Stellung ändert sich aber nicht allein durch eine Freistellung oder Nichtbeschäftigung10.

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Gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD gilt eine Maßnahme auch dann als gebilligt, wenn die Mitarbeitervertretung nicht innerhalb von zwei Wochen schriftlich die Zustimmung verweigert oder eine mündliche Erörterung beantragt hat. Ein vorfristiger Eintritt der Billigungsfiktion dadurch, dass in der Äußerung der Mitarbeitervertretung, sie sei für den betreffenden Mitarbeiter nicht zuständig, möglicherweise konkludent die Erklärung lag, sie werde auch künftig innerhalb des Laufs der Frist die Zustimmung nicht verweigern oder eine Erörterung beantragen, kommt nicht in Betracht. Eine Abkürzung der Äußerungsfrist und einen darauf beruhenden vorzeitigen Eintritt der Billigungsfiktion lässt § 38 MVG-EKD jenseits der Möglichkeit gem. § 38 Abs. 3 Satz 2 MVG-EKD, wonach die Dienststellenleitung sie in dringenden Fällen bis auf drei Tage abkürzen kann, nicht zu11

Die Bundesarbeitsgerichtsrechtsprechung, der zufolge der Arbeitgeber bereits vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kündigen kann, wenn der Betriebsrat abschließend zur Kündigungsabsicht Stellung genommen hat12, kann wegen der Unterschiedlichkeit der Beteiligungsrechte auf das Mitbestimmungsverfahren nach § 38 MVG-EKD nicht übertragen werden. Sie verstieße gegen das im MVG-EKD normierte positive Konsensprinzip. Danach muss die Zustimmung in jedem Fall vor der Erklärung der Kündigung vorliegen. Entweder sie wurde von der Mitarbeitervertretung innerhalb zweier Wochen – bzw. im Falle ihrer Abkürzung nach § 38 Abs. 3 Satz 2 MVG-EKD innerhalb von drei Tagen – erteilt oder sie wurde nach Ablauf von zwei Wochen – bzw. nach Ablauf von drei Tagen – fingiert oder sie wurde kirchengerichtlich ersetzt. Einen „vierten Weg“ in Gestalt einer Billigungsfiktion vor Fristablauf gibt es nicht13. Soweit auch § 102 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorsieht, die Zustimmung zur Kündigung gelte als erteilt, wenn sich der Betriebsrat innerhalb der Frist nicht äußere, ist jedoch gem. § 102 Abs. 1 BetrVG anders als nach § 38 Abs. 1 MVG-EKD eine vorherige Zustimmung zur Kündigung gerade nicht erforderlich.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. April 2021 – 2 AZR 357/20

  1. ABl. EKD S. 2[]
  2. BAG 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, Rn. 47, BAGE 162, 247[]
  3. ebenso KGH.EKD 31.08.2015 – II-0124/6-2015; JMNS/Trapp MVG-EKD § 42 Rn. 35; JMNS/Evers-Vosgerau MVG-EKD § 46 Rn. 28; Joussen/SteuernagelKapischke AVR.DD § 32 Rn. 12, 141[]
  4. zum Personalvertretungsrecht vgl. BAG 5.02.1998 – 2 AZR 227/97, zu II 5 der Gründe, BAGE 88, 10[]
  5. so ausdrücklich § 38 Abs. 1 Satz 2 MVG-EKD in der bis zum 31.12.2018 und ab dem 13.11.2019 geltenden Fassung[]
  6. ABl. EKD S. 322, 328[]
  7. vgl. JMNS/Mestwerdt MVG-EKD § 38 Rn. 109[]
  8. Verw.EKD 13.01.2000 – 0124/D34-99; für das MVG-EKiR vgl. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 124/14, Rn. 14, BAGE 153, 94[]
  9. JMNS/Dreher MVG-EKD § 4 Rn. 6 mnN[]
  10. zur Stellung als leitender Angestellter gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG: vgl. BAG 18.08.1982 – 7 AZR 235/80, zu I 2 der Gründe; 23.03.1976 – 1 AZR 314/75, zu A 6 der Gründe[]
  11. zu § 38 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKiR vgl. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 124/14, Rn. 24, BAGE 153, 94[]
  12. BAG 25.05.2016 – 2 AZR 345/15, Rn. 23 f., BAGE 155, 181; 23.10.2014 – 2 AZR 736/13, Rn. 13[]
  13. zu § 38 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKiR vgl. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 124/14, Rn. 25, aaO; zu § 68 Abs. 2 NPersVG vgl. BAG 28.01.2010 – 2 AZR 50/09, Rn.20[]
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