Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit schriftlich (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG) Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG).

Die im Rahmen des stilllegungsbedingten Personalabbaus beabsichtigten Aufhebungsverträge sind als „andere Beendigungen“ iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu berücksichtigen. Dabei ist nicht von Bedeutung, auf welchen Zeitpunkt der Beendigung Kündigungen und Aufhebungsverträge gerichtet sind. Maßgebend ist in beiden Fällen ein Zeitpunkt „vor“ der „Entlassung“ iSv. § 17 KSchG, worunter die Erklärung der Kündigung und gleichbedeutend die Handlung der „Veranlassung“ des Arbeitgebers zu verstehen ist. Nur dieser Zeitpunkt liegt den Vorgaben entsprechend „vor einer Entscheidung“ zur Kündigung der Arbeitsverträge.
Damit wird die Pflicht zur Einhaltung bestimmter Verfahren zum Schutz der Arbeitnehmer1 ausgelöst.
Zwar ist im Hinblick auf die Zahl der Entlassungen für Betriebe mit „in der Regel mehr als 20 und weniger als 60“ Arbeitnehmern in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG ein Schwellenwert von „fünf“ Arbeitnehmern bestimmt, während in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a i 1. Spiegelstrich der maßgebenden Richtlinie 98/59/EG vom 20.07.19982 der Schwellenwert für Betriebe „mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern“ höher, nämlich bei „mindestens 10“ Arbeitnehmern liegt. Zudem ist die Gleichstellung anderer Beendigungen des Arbeitsverhältnisses, die vom Arbeitgeber veranlasst werden, in § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG keinem Schwellenwert unterstellt, hingegen in Art. 1 Abs. 1 letzter Satz der Richtlinie 98/59/EG mit einem Schwellenwert versehen („sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt“).
Diese Abweichungen begegnen jedoch keinen Bedenken, denn die Richtlinie 98/59/EG lässt nach ihrem Art. 5 die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern. Das ist hier gegeben, denn die genannten Vorschriften des nationalen Rechts sind günstiger für die Arbeitnehmer. Entschließt sich der nationale Gesetzgeber, in den Begriff der Massenentlassung im Sinne der Richtlinie 98/59/EG Fälle einzubeziehen, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, sind Auslegungsdivergenzen der maßgebenden Begriffe durch eine einheitliche Auslegung zu vermeiden3.
Der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG für die Anzeigepflicht maßgebende Schwellenwert „fünf“ war hier erreicht und überschritten. Die Klägerin eingerechnet hat die Beklagte zu 2. gegenüber zwei Arbeitnehmer/innen betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen, hinzuzuzählen sind jedenfalls vier der von ihr iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG veranlassten Aufhebungsverträge.
Eine „Veranlassung des Arbeitgebers“ iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG verlangt eine unmittelbare Willensäußerung des Arbeitgebers4. Eine solche Willensäußerung des Arbeitgebers liegt beispielsweise dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu verstehen gibt, dass er, der Arbeitgeber, anderenfalls das Arbeitsverhältnis beenden werde, weil nach Durchführung einer Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe5.
Kennzeichnend für eine andere Beendigung iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist zudem die Zustimmung des Arbeitnehmers6. So kann eine andere Beendigung iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG ein Aufhebungsvertrag sein, der auf Veranlassung des Arbeitgebers geschlossen wird7. Auch wenn der Arbeitnehmer durch eine Eigenkündigung einer sonst erforderlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung zuvorkommt, ist er bei der Angabe der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer grundsätzlich zu berücksichtigen8.
Im Anschluss an die Entscheidung Junk9, nach der unter dem Begriff „Entlassung“ in Art. 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG und richtlinienkonform auch in § 17 KSchG10 die Erklärung der Kündigung zu verstehen ist, gilt zweifelsohne nichts anderes für die ebenfalls zur Berechnung des Schwellenwertes bedeutsame Bestimmung in § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Abweichendes ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der genannten Bestimmungen. Soweit die Beklagte zu 2. ihre gegenteilige Auffassung auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1973 stützt11, wurde darin noch ausdrücklich „Entlassung“ nicht als „Erklärung der Kündigung“, sondern als die „tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ aufgefasst. Diese Auffassung entsprach nicht unionsrechtskonformer Auslegung12 und wurde vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich aufgegeben13.
as Angebot von Aufhebungsverträgen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist eine die „Veranlassung des Arbeitgebers“ iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG kennzeichnende unmittelbare Willensäußerung des Arbeitgebers. Die Aufhebungsverträge wurden damit auf Veranlassung der Arbeitgeberin geschlossen und sind deshalb bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen.
Eine Berücksichtigung der Beendigungen des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsverträge nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG entfällt im Streitfall nicht deshalb, weil den Aufhebungsverträgen eine nahtlose (Weiter-)Beschäftigung oder andere Tätigkeit folgte.
Dahinstehen kann, ob es grundsätzlich ohne Bedeutung ist, wenn nach einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG eine (Weiter-)Beschäftigung oder andere Tätigkeit folgt14. Dafür spricht jedenfalls der Wortlaut von § 17 KSchG, ebenso wie wohl auch der von Art. 1 und Art. 3 der Richtlinie 98/59/EG. Danach kommt es für die Auslösung der Anzeigepflicht ungeachtet weiterer Umstände lediglich darauf an, ob der Arbeitgeber Entlassungen oder gleichgestellte Handlungen vornimmt, die die maßgebenden Schwellenwerte erreichen. Zudem nennt Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 98/59/EG für „Entlassungen“ (Kündigungen) einschließlich ihnen gleichgestellter Beendigungen „alle beabsichtigten Massenentlassungen“ als anzeigepflichtig. Im damit bezeichneten frühen Zeitpunkt der „Absicht“15 ist idR sowohl für Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, als auch für diejenigen (im Zeitpunkt der „Absicht“ idR zudem noch gar nicht feststehenden) Arbeitnehmer, die womöglich durch eine gleichgestellte Beendigung ausscheiden werden, unklar, ob und wann ggf. eine Anschlussbeschäftigung gefunden werden wird. Vorliegend kommt es allerdings auf eine Antwort auf diese Frage nicht an, weshalb nicht näher erörtert werden muss, ob sie klar/geklärt ist oder ob ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV erforderlich wäre.
Mitzuzählen als Beendigungen des Arbeitsverhältnisses nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG sind im Streitfall wegen der sozioökonomischen Auswirkungen, die Massenentlassungen in einem bestimmten örtlichen Kontext und einer bestimmten sozialen Umgebung hervorrufen können16, jedenfalls vier der auf Veranlassung der Beklagten zu 2. in Umsetzung ihres Stilllegungskonzeptes geschlossenen Aufhebungsverträge, die zusammen mit den beiden ausgesprochenen Kündigungen zur Überschreitung des Schwellenwertes von fünf Arbeitnehmern führen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde nämlich anschließend an die geschlossenen Aufhebungsverträge sowohl bei der VSH, der VSB, der Repräsentanz W als auch bei der Beklagten zu 1. jeweils (zumindest) eine/r der ehemaligen Lokalredakteur/innen – also insgesamt vier – lediglich in freier Mitarbeiterschaft tätig. Soweit es überhaupt auf solche weiteren Umstände ankommt, stand im Hinblick auf eine lediglich freie Mitarbeiterschaft, zudem im frühen Zeitpunkt der „Absicht“15, noch nicht fest17, ob der Arbeitsmarkt belastet wird. Gerade für die Anfangsphase einer Selbständigkeit ist weder absehbar noch steht fest, dass das erwünschte oder erforderliche Einkommen erzielt wird oder aus finanziellen und anderen Gründen alsbald wieder ein Arbeitsverhältnis angestrebt wird.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. März 2015 – 8 AZR 119/14
- vgl. EuGH 7.12 1995 – C-449/93 – [Rockfon] Rn. 30, Slg. 1995, I-4291[↩]
- ABl. EG L 225 vom 12.08.1998 S. 16[↩]
- EuGH 10.12 2009 – C-323/08 – [Rodríguez Mayor ua.] Rn. 27 mwN, Slg. 2009, I-11621[↩]
- EuGH 10.12 2009 – C-323/08 – [Rodríguez Mayor ua.] Rn. 40, Slg. 2009, I-11621[↩]
- BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 47, BAGE 142, 202[↩]
- EuGH 12.10.2004 – C-55/02 – [Kommission/Portugal] Rn. 56, Slg. 2004, I-9387[↩]
- ua. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 48 mwN, BAGE 142, 202; 11.03.1999 – 2 AZR 461/98, zu II 2 der Gründe, BAGE 91, 107[↩]
- BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10 – aaO[↩]
- EuGH 27.01.2005 – C-188/03, Rn. 39, Slg. 2005, I-885[↩]
- ua. BAG 20.02.2014 – 2 AZR 346/12, Rn. 31, BAGE 147, 237; 25.04.2013 – 6 AZR 49/12, Rn. 153; 23.03.2006 – 2 AZR 343/05, Rn. 18, BAGE 117, 281[↩]
- BAG 6.12 1973 – 2 AZR 10/73, BAGE 25, 430[↩]
- EuGH 27.01.2005 – C-188/03 – [Junk] aaO[↩]
- BAG 23.03.2006 – 2 AZR 343/05, Rn. 18 ff., aaO[↩]
- zur Diskussion ua. BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 43, BAGE 142, 202 bezogen auf den Wechsel in eine Transfergesellschaft; Niklas/Koehler NZA 2010, 913; ErfK/Kiel 15. Aufl. § 17 KSchG Rn. 12; APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 29, 54[↩]
- EuGH 10.09.2009 – C-44/08 – [Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK ua.] Rn. 40, Slg. 2009, I-8163[↩][↩]
- EuGH 15.02.2007 – C-270/05 – [Athinaïki Chartopoiïa] Rn. 28, Slg. 2007, I-1499; BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10, Rn. 44, BAGE 142, 202; 15.12 2011 – 8 AZR 692/10, Rn. 77[↩]
- ähnlich BAG 28.06.2012 – 6 AZR 780/10 – aaO[↩]