Die bei dem Träger einer gemeinsamen Einrichtung iSv. § 44b SGB II bestehende Schwerbehindertenvertretung hat ein Unterrichtungs- und Anhörungsrecht nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer, der nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses der gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) zugewiesen werden soll, wenn sich unter den Bewerbern mindestens ein schwerbehinderter Mensch befindet. Das Beteiligungsrecht erstreckt sich auch auf die Teilnahme an dem für die Begründung des Arbeitsverhältnisses maßgeblichen Auswahlverfahren einschließlich dazu geführter Vorstellungsgespräche (§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Das Beteiligungsrecht folgt aus § 95 Abs. 2 SGB IX.
Nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten. Danach steht der Schwerbehindertenvertretung ein Unterrichtungs- und Anhörungsrecht zu, wenn sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch um eine Stelle bewirbt. Die Entscheidung über Bewerbungen und die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist eine personelle Einzelmaßnahme und damit eine „Angelegenheit“ iSv. § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Sie berührt den Bewerber als einzelnen schwerbehinderten Menschen1. Die rechtliche und tatsächliche Stellung dieses Bewerbers ist anders als die eines nicht behinderten Bewerbers betroffen. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX soll er zum Schutz vor Benachteiligung im Bewerbungsverfahren durch die Schwerbehindertenvertretung unterstützt werden2.
Das Unterrichtungs- und Anhörungsrecht umfasst die Teilnahme am Auswahlverfahren. Der Gesetzgeber hat die Unterrichtungs- und Anhörungspflichten in § 81 Abs. 1 Satz 4, 7, 8 und 9 iVm. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX näher ausgestaltet3. Danach ist die Schwerbehindertenvertretung von Anfang an in das Auswahlverfahren einzubeziehen, um den Schutz vor Benachteiligung im Bewerbungsverfahren zu gewährleisten. Sie soll an der Willensbildung des Arbeitgebers mitwirken. Dazu steht ihr das Recht auf Einsicht in die entscheidungserheblichen Teile der Bewerbungsunterlagen und das Recht auf Teilnahme an Vorstellungsgesprächen zu. Die Schwerbehindertenvertretung kann ihr Beteiligungsrecht nur dann sachgerecht ausüben, wenn sie Einsicht in die entscheidungserheblichen Teile der Bewerbungsunterlagen nehmen und an Vorstellungsgesprächen teilnehmen kann.
Das Beteiligungsrecht ist auch nicht in den Fällen eingeschränkt, in denen der Bewerber nach Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht in den Betrieb oder die Dienststelle des Vertragsarbeitgebers eingegliedert, sondern einem Dritten im Wege der Personalgestellung zugewiesen werden soll. Eine solche Einschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Danach fördert die Schwerbehindertenvertretung die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle, vertritt ihre Interessen in dem Betrieb oder der Dienststelle und steht ihnen beratend und helfend zur Seite. Diese Bestimmung legt die grundlegenden Pflichten der Schwerbehindertenvertretung fest. Die in § 95 Abs. 1 SGB IX enthaltene Aufzählung der Aufgaben ist jedoch nicht abschließend4. Eine Begrenzung der in § 95 Abs. 2 SGB IX vorgesehenen Beteiligungsrechte auf die Fälle, in denen der Arbeitnehmer in den Betrieb oder die Dienststelle des Vertragsarbeitgebers eingegliedert werden soll, ist dieser Vorschrift nicht zu entnehmen. Der Zweck der gesetzlichen Regelung, die Teilhabechancen schwerbehinderter Menschen sicherzustellen, erfordert die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der Entscheidung über die Begründung von Arbeitsverhältnissen vielmehr auch in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses einem Dritten im Wege der Personalgestellung zugewiesen werden soll.
Die Wahrnehmung des Beteiligungsrechts an dem für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch die Agentur für Arbeit maßgeblichen Auswahlverfahren nach § 95 Abs. 2 SGB IX obliegt der Schwerbehindertenvertretung der Arbeitsagentur und nicht der Schwerbehindertenvertretung des Jobcenters. Das beruht darauf, dass die Agentur für Arbeit als Träger der gemeinsamen Einrichtung die Entscheidung über die Begründung des Arbeitsverhältnisses zu treffen hat.
Die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Schwerbehindertenvertretung des Trägers und der bei der gemeinsamen Einrichtung gebildeten Schwerbehindertenvertretung ergibt sich aus § 44i SGB II iVm. § 44h SGB II. Nach § 44i SGB II gilt für die Schwerbehindertenvertretung die Regelung des § 44h SGB II entsprechend. Nach § 44h Abs. 3 SGB II ist die Personalvertretung der gemeinsamen Einrichtung zuständig, soweit deren Trägerversammlung oder deren Geschäftsführer Entscheidungsbefugnisse in personalrechtlichen, personalwirtschaftlichen, sozialen oder die Ordnung der Dienststelle betreffenden Angelegenheiten zustehen. Gemäß § 44h Abs. 5 SGB II bleiben dagegen die Rechte der Personalvertretungen der abgebenden Dienstherren und Arbeitgeber unberührt, soweit die Entscheidungsbefugnisse bei den Trägern verbleiben.
Danach ist die Schwerbehindertenvertretung der Agentur für Arbeit bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen durch die Agentur für Arbeit und damit auch an den vorausgehenden Auswahlverfahren zu beteiligen.
Die Entscheidungsbefugnis für die Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen liegt nicht bei der gemeinsamen Einrichtung, sondern bei dem Träger und damit bei der Agentur für Arbeit. Das folgt aus § 44d Abs. 4 SGB II. Die Regelungen in § 44d Abs. 6, § 44g Abs. 2 SGB II sowie § 44k SGB II stehen dem nicht entgegen.
Nach § 44d Abs. 4 SGB II übt die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung über die Beamtinnen und Beamten sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen in der gemeinsamen Einrichtung Tätigkeiten zugewiesen worden sind, die dienst, personal- und arbeitsrechtlichen Befugnisse sowie die Dienstvorgesetzten- und Vorgesetztenfunktion aus mit Ausnahme der Befugnisse zur Begründung und Beendigung der mit den Beamtinnen und Beamten sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bestehenden Rechtsverhältnisse. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung stehen der Geschäftsführerin oder dem Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung nicht die Befugnisse zur Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu. Diese Befugnisse verbleiben bei den jeweiligen Trägern, die weiterhin Dienstherren oder Arbeitgeber sind5.
Die Regelung über die Mitwirkungsrechte der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung bei personalrechtlichen Entscheidungen des Trägers bestätigt dieses Verständnis. Nach § 44d Abs. 6 SGB II hat die Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer ein Anhörungs- und Vorschlagsrecht bei personalrechtlichen Entscheidungen, die in der Zuständigkeit der Träger liegen. Nach § 44g Abs. 2 SGB II erfolgen spätere Zuweisungen an die gemeinsame Einrichtung mit Zustimmung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung nach den tarif- und beamtenrechtlichen Regelungen. Diese Mitwirkungsrechte sollen die Geschäftsführer in die Lage versetzen, den Personalkörper der gemeinsamen Einrichtung mitzugestalten. Diese Mitwirkungsrechte setzen die Zuständigkeit des Trägers für die Entscheidung über die Begründung von Arbeitsverhältnissen denknotwendig voraus6.
Die Regelung in § 44k SGB II rechtfertigt keine abweichende Bewertung. Nach § 44k Abs. 1 SGB II übertragen die Träger mit der Zuweisung von Tätigkeiten nach § 44g Abs. 1 und 2 SGB II der gemeinsamen Einrichtung die entsprechenden Planstellen und Stellen sowie Ermächtigungen für die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit befristeten Arbeitsverträgen zur Bewirtschaftung. Damit wird die weitgehende Übertragung dienst- und arbeitsrechtlicher Befugnisse auf den Geschäftsführer (§ 44d Abs. 4 SGB II) personalwirtschaftlich abgesichert. Dies führt jedoch nicht zu einer Ausdehnung der dienst- und arbeitsrechtlichen Befugnisse der Geschäftsführer über die Regelung in § 44d Abs. 4 SGB II hinaus7.
Die Zuständigkeit des Trägers für die Begründung von Arbeitsverhältnissen nach § 44d Abs. 4 SGB II umfasst auch die Durchführung des Auswahlverfahrens.
Der Träger entscheidet nach § 44d Abs. 4 SGB II nicht nur darüber, ob er einen Arbeitsvertrag abschließt, sondern auch darüber, mit welchem Bewerber der Arbeitsvertrag geschlossen werden soll. Damit kann die Entscheidung über die Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht vom Auswahlverfahren getrennt werden. Die Auswahlentscheidung wird durch das Auswahlverfahren vorbereitet und bestimmt. Die Träger sind für diese Entscheidungen verantwortlich8. Sie haben auch durch die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens sicherzustellen, dass die Auswahlentscheidung dem Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) entspricht9. Dieser Verantwortung können sie nur gerecht werden, wenn sie auch für das Auswahlverfahren zuständig sind10.
Der Zuständigkeit des Trägers für das Auswahlverfahren steht nicht entgegen, dass eine Zuweisung zu der gemeinsamen Einrichtung beabsichtigt ist.
Das gilt schon deshalb, weil die Entscheidung über die Begründung des Arbeitsverhältnisses von der Zuweisungsentscheidung zu trennen ist. Der Abschluss des Arbeitsvertrags setzt die Zuweisung nicht voraus. Das Arbeitsverhältnis endet auch nicht ohne weiteres mit der Beendigung der Zuweisung. Im Übrigen ist auch die Zuweisungsentscheidung vom Träger zu treffen, auch wenn sie unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Geschäftsführers der gemeinsamen Einrichtung steht11. Unterliegt es der Personalhoheit des Trägers, aus seinem Personal die Beschäftigten für die Tätigkeit in der gemeinsamen Einrichtung auszuwählen, so fällt das Auswahlverfahren vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses erst recht in die Zuständigkeit des Trägers.
Es kann dahinstehen, ob an einem Auswahlverfahren, in dem es sowohl um die Begründung des Arbeitsverhältnisses als auch um die Zuweisungsentscheidung und damit verbunden um die Ausübung der Mitwirkungsrechte durch die Geschäftsführerin des Jobcenters geht12, der beim Jobcenter gebildeten Schwerbehindertenvertretung ebenfalls Beteiligungsrechte zustehen. Jedenfalls ist die bei der Agentur für Arbeit gebildete Schwerbehindertenvertretung an einem Auswahlverfahren zu beteiligen, das der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Agentur für Arbeit dient.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. Oktober 2014 – 7 ABR 71/12
- BAG 17.08.2010 – 9 ABR 83/09, Rn. 14, 20, BAGE 135, 207 zur Bewerbung auf eine Beförderungsposition; BVerwG 21.06.2007 – 2 A 6.06, Rn. 32 f.; Cramer/Fuchs/Hirsch/Ritz SGB IX 6. Aufl. § 95 Rn. 12; Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 95 Rn. 14; Esser/Isenhardt in jurisPK-SGB IX § 95 Rn. 17; Hohmann in Wiegand Schwerbehindertenrecht Stand April 2014 § 95 SGB IX Rn. 97[↩]
- BAG 17.08.2010 – 9 ABR 83/09, Rn.20, aaO[↩]
- vgl. BAG 17.08.2010 – 9 ABR 83/09, Rn.20, BAGE 135, 207[↩]
- Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 95 Rn. 14; Esser/Isenhardt in jurisPK-SGB IX § 95 Rn. 17; Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 95 Rn. 4[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/1555 S. 26; OVG Berlin-Brandenburg 28.11.2013 – 62 PV 18.12, Rn. 24; Weißenberger in Eicher/Spellbrink SGB II 3. Aufl. § 44d Rn. 26; Knapp in jurisPK-SGB II 3. Aufl. § 44d Rn. 52; Korte in LPK-SGB II 5. Aufl. § 44d Rn. 5[↩]
- vgl. BVerwG 24.09.2013 – 6 P 4.13, Rn. 18, BVerwGE 148, 36 zur Zuständigkeit des Trägers bei der Zuweisung[↩]
- Weißenberger in Eicher/Spellbrink SGB II 3. Aufl. § 44k Rn. 3[↩]
- vgl. Knapp in jurisPK-SGB II 3. Aufl. § 44d Rn. 55.1; Weißenberger in Eicher/Spellbrink SGB II 3. Aufl. § 44d Rn. 26[↩]
- vgl. BAG 21.01.2003 – 9 AZR 72/02, zu A II 2 a der Gründe, BAGE 104, 295[↩]
- Weißenberger in Eicher/Spellbrink SGB II 3. Aufl. § 44d Rn. 26[↩]
- vgl. BVerwG 24.09.2013 – 6 P 4.13, Rn. 18, BVerwGE 148, 36[↩]
- vgl. dazu Knapp in jurisPK-SGB II 3. Aufl. § 44d Rn. 55.1 mwN; Schmidt/Ubrich PersR 2011, 371, 373; Heumann ZfPR 2012, 49, 50[↩]