Unterschreitung des kirchlichen Vergütungsniveaus

Ein kirchlicher Arbeitgeber kann in den durch das staatliche Arbeitsrecht gesetzten Grenzen wirksam Arbeitsverträge abschließen, die keine oder nur eine eingeschränkte Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsvertragsregelungen vorsehen.

Unterschreitung des kirchlichen Vergütungsniveaus

Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen wie den Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD) um Allgemeine Geschäftsbedingungen, welchen mangels normativer Wirkung in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen nur über Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen Wirkung verschafft werden kann1. Eine normative Wirkung besteht nicht, weil das säkulare Recht für kirchliche Arbeitsrechtsregelungen keine unmittelbare und zwingende Geltung anordnet. Es fehlt eine etwa § 4 Abs. 1 TVG entsprechende Bestimmung2.

Der Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Sie sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen3. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Diese Grundsätze finden nach ständiger Rechtsprechung auch auf die Auslegung von Bezugnahmeklauseln auf kirchliche Regelungswerke wie Arbeitsvertragsrichtlinien Anwendung4. Bei der Auslegung einer solchen Bezugnahmeklausel ist von der allgemeinen Funktion von Verweisungsklauseln im kirchlichen Arbeitsverhältnis auszugehen. Diese sind grundsätzlich dahin auszulegen, dass sie dem kirchlichen Arbeitsrecht im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis umfassend Geltung verschaffen5. Ein Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag mit einem kirchlichen Arbeitgeber schließt, kann davon ausgehen, dass sein Arbeitgeber mit einer im Vertrag enthaltenen dynamischen Bezugnahmeklausel das spezifisch kirchliche Vertragsrecht in seiner jeweiligen Fassung zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses machen und damit idR kirchenrechtlichen Geboten genügen will. Typischerweise liegt es auch im Interesse beider Vertragsparteien, dass das kirchliche Arbeitsrecht durch eine solche Klausel in seiner jeweiligen Fassung zur Anwendung gebracht wird6. Dies gilt auch bezüglich der Anwendbarkeit des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts und der auf dessen Grundlage geschlossenen Dienstvereinbarungen7.

Eine solche Bezugnahme ist hier nicht erfolgt. Die Parteien haben unter Ziff. 3 und Ziff. 4 des Arbeitsvertrags vom 23.01.2014 zwar die Gewährung des Jahresurlaubs nach den Bestimmungen der AVR-EKD (nunmehr AVR-DD) und eine Vergütung nach deren Entgeltgruppe 3 vereinbart. Hierbei handelt es sich aber nur um eine punktuelle Inbezugnahme. Bezüglich der Entgeltsteigerungen haben die Parteien mit der „Änderung der Arbeitsbedingungen“ vom 23.01.2014 eine Abweichung von den AVR-DD vorgenommen. Diese hält einer Rechtskontrolle stand.

Die in Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 enthaltene Allgemeine Geschäftsbedingung zur Entgeltsteigerung ist keine überraschende Klausel iSd. § 305c Abs. 1 BGB und nicht intransparent iSd. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Bei beiden Verträgen vom 23.01.2014 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Darauf lässt schon das äußere Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung schließen8. Bei der Änderungsvereinbarung wird der Formularcharakter auch dadurch deutlich, dass eine Änderung der Arbeitsbedingungen „mit Wirkung ab Juli 2011 bis Dezember 2015“ vereinbart wurde, obwohl die Arbeitnehmerin erst zum 17.02.2014 und zunächst befristet bis zum 28.02.2015 eingestellt wurde.

Zu Gunsten der Arbeitnehmerin kann unterstellt werden, dass die in Ziff. 4 des Arbeitsvertrags vom 23.01.2014 getroffene Vergütungsabrede für sich genommen als dynamische Verweisung auf die Entgeltgruppe 3 AVR-DD zu verstehen ist und die von der Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossenen Entgeltsteigerungen daher Teil der geschuldeten Vergütung gewesen wären9.

Eine solche dynamische Verweisung wurde aber durch Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 abgeändert. Entgeltsteigerungen sollten unabhängig von den Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission nur um 1, 25 % zum jeweils 1.07.der Jahre 2014 und 2015 stattfinden. Diese Vereinbarung ist wirksam.

Diese Regelung ist keine überraschende Klausel iSd. § 305c Abs. 1 BGB. Sie wurde zum Vertragsbestandteil.

Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Überraschenden Klauseln muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Da sich das Überraschungsmoment auch aus dem Erscheinungsbild des Vertrags ergeben kann, ist es möglich, dass auch das Unterbringen einer Klausel an einer unerwarteten Stelle im Text sie deswegen als Überraschungsklausel erscheinen lässt. Das Überraschungsmoment ist umso eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung ist. Im Einzelfall muss der Verwender darauf besonders hinweisen oder die Klausel drucktechnisch hervorheben10.

Ein solches Überraschungsmoment ist hier nicht gegeben. Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass Ziff. 5 des ursprünglichen Vertrags vom 23.01.2014 keine Änderung der voranstehenden Entgeltabrede vorsieht, weil der hierfür vorgesehene Freiraum nicht ausgefüllt wurde. Inhaltlich ist es bei einer entgeltgruppenbezogenen Vergütungsabrede nicht überraschend, dass die Entgelterhöhungen für einen bestimmten Zeitraum gesondert geregelt werden. Es handelt sich um unterschiedliche Regelungsmaterien. Dem wird die hier vorgenommene Vertragsgestaltung gerecht. Die abweichende Regelung in Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ist nicht unerwartet in derselben Vertragsurkunde oder in einem Anhang enthalten, sondern Teil einer gesonderten Vereinbarung. Durch die Verwendung zweier Vertragsformulare ergibt sich das Bild einer Grundlagenregelung11 in Verbindung mit einer Sonderregelung ua. bezüglich der Entgeltsteigerung. Es mag ungewöhnlich sein, dass ein Arbeitsvertrag noch am Tag seines Abschlusses abgeändert wird. Eine Überrumpelung ergibt sich hieraus aber vorliegend nicht. Durch die gesonderte Vertragsurkunde wurde vielmehr auf die Bedeutung der besonderen Vergütungsregelungen hingewiesen. Selbst wenn bei Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einem kirchlichen Arbeitgeber grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass kirchliches Arbeitsrecht zur Anwendung kommen soll, ist es nicht ausgeschlossen, dass der kirchliche Arbeitgeber eigenständige Vertragsinhalte vereinbaren will. § 305c Abs. 1 BGB schränkt diese Vertragsfreiheit nicht ein.

Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ist auch nicht intransparent im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar, verständlich und durchschaubar darzustellen12. Dabei ist zwischen dem Gebot der Abschlusstransparenz und dem der Abwicklungstransparenz zu differenzieren. Erstere soll die zutreffende Information des Arbeitnehmers über die Umstände sicherstellen, die es ihm ermöglichen, die Vor- und Nachteile der beabsichtigten vertraglichen Abreden für den Vertragsabschluss zu beurteilen. Letztere soll die Wahrung seiner Rechte während der Vertragsdurchführung gewährleisten. Bei den an eine hinreichende Abschlusstransparenz zu stellenden Anforderungen ist zu berücksichtigen, dass nach allgemeiner Ansicht eine Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Bereich der Hauptleistung unterbleibt13 und insoweit gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB nur eine Transparenzkontrolle stattfindet14. Die bei Begründung des Arbeitsverhältnisses gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen deshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen und den Umfang der Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses so genau beschreiben, dass der Arbeitnehmer die konkret geschuldete Arbeit, den Arbeitszeitumfang und die Höhe der dafür vom Arbeitgeber nach Vertragsschluss zu zahlenden Vergütung entnehmen kann. Sonst kann er bei Vertragsschluss nicht erkennen, „was auf ihn zukommt“15.

Diesem Prüfungsmaßstab hält Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 stand. Der Wortlaut ist eindeutig. Sowohl die Höhe der Entgeltsteigerung als auch ihr Zeitpunkt sind benannt. Der angegebene Zeitraum („vom 01.07.2011 bis 31.12.2015“) ist zwar offensichtlich nicht auf das ursprünglich bis zum 28.02.2015 befristete Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin zugeschnitten, er umfasst aber zweifelsfrei die gesamte zunächst vereinbarte Dauer des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitnehmerin wurde auch nicht darüber im Unklaren gelassen, dass diese Entgeltsteigerungen im Vergleich zu den regulären Steigerungen der AVR-Vergütung voraussichtlich nachteilig sind. Dies ergibt sich nicht nur aus der Klarstellung, dass „weitere Erhöhungen des monatlichen Entgelts nicht stattfinden“. Noch deutlicher wird die Nachteiligkeit durch den Passus, dass die nicht zur Auszahlung gelangenden Gehaltsanteile der Arbeitgeberseite „uneingeschränkt zur Verfügung gestellt“ würden. Eine nicht zu beanspruchende Vergütung kann zwar niemandem „zur Verfügung gestellt werden“. Die Formulierung macht aber mehr als deutlich, dass hier eine Art von Sanierungsbeitrag geleistet werden soll und deshalb eine Abweichung von der regulären AVR-Vergütung vereinbart wird. Eine solche Vergütung wurde damit nicht zum Vertragsinhalt16.

Eine Unwirksamkeit von Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ergibt sich auch nicht aus dem kirchlichen Arbeitsrecht. Die Arbeitgeberin konnte als kirchlicher Arbeitgeber in den durch das säkulare Recht gesetzten Grenzen Arbeitsverträge abschließen, die keine oder nur eine eingeschränkte Bezugnahme auf kirchliches Arbeitsrecht wie die AVR-DD vorsahen.

Das originäre Kirchenrecht ist Ausdruck des nach Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts17. Kirchengesetzliche Regelungen wie § 2 ARRG-D nF binden den kirchlichen Arbeitgeber als Normadressaten im kirchlichen Rechtskreis. Der kirchliche Arbeitgeber muss bei einer Nichtbeachtung ggf. kirchenrechtliche Konsequenzen befürchten und mit einer Zustimmungsverweigerung der Mitarbeitervertretung zur Eingruppierung rechnen18.

Eine Verletzung kirchengesetzlicher Vorgaben, welche die Schaffung einer vertraglichen Grundlage für die vollumfängliche Geltung des kirchlichen Arbeitsrechts anordnen, berührt jedoch per se nicht die Wirksamkeit einer anderslautenden vertraglichen Vereinbarung. Die von einem kirchlichen Arbeitgeber abgeschlossenen Arbeitsverträge sind nicht (teil-)unwirksam, sofern sie die Vorgabe der Inbezugnahme kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen missachten und eigenständige Regelungen vorsehen19. Das säkulare Recht ordnet die Unwirksamkeit einer vertraglichen Regelung aus diesem Grund nicht an. Die kirchengesetzlichen Vorgaben können eine Anwendung der einschlägigen Arbeitsrechtsregelungen nicht erzwingen, da die Kirchen nicht die Rechtsmacht haben, eine normative Wirkung dieser Regelungen im privaten Arbeitsverhältnis anzuordnen20. Ein Arbeitnehmer, mit dem eine nicht den kirchlichen Regelungen entsprechende Vereinbarung geschlossen wird, kann sich deshalb nicht darauf berufen, die Kirche habe sich durch die Einrichtung des Arbeitsrechtsregelungssystems darauf festgelegt, dass nicht zu seinem Nachteil von der kirchlichen Arbeitsvertragsordnung abgewichen werden dürfe21. Die staatliche Arbeitsgerichtsbarkeit hat nicht die Aufgabe, im Urteilsverfahren für die Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung zu sorgen. Dies bleibt den nach Kirchenrecht zuständigen kirchlichen Autoritäten vorbehalten22.

Ein Verstoß der Vertragspraxis der Arbeitgeberin gegen die Satzung des Diakonischen Werks hat bezogen auf die streitgegenständlichen Entgeltansprüche der Arbeitnehmerin keine Auswirkungen. Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Buchst. b der Satzung des Diakonischen Werks unwirksam. Bei der Satzung eines eingetragenen Vereins handelt es sich zwar um staatliches Recht. Dessen Wirkung ist jedoch grundsätzlich auf die Vereinsmitglieder beschränkt23. Die Frage, ob eine Satzungsbestimmung analog § 328 BGB als Regelung zu Gunsten Dritter ausgelegt werden kann und hierdurch Ansprüche gegen den Verein oder seine Mitglieder begründet werden können, stellt sich vorliegend nicht. § 9 Abs. 2 Buchst. b der Satzung des Diakonischen Werks kann weder in deren Fassung vom 25.10.2013 noch in der vom 25.06.2014 entnommen werden, dass dadurch unmittelbar Arbeitnehmerrechte begründet werden sollen, welche gegenüber den Vereinsmitgliedern als Arbeitgeber eingefordert werden können. Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass § 9 Abs. 2 Buchst. b der Satzung in der Fassung vom 25.06.2014 die Beachtung von § 4 ARGG-EKD verlangt, der eine Abweichung zu Lasten der Beschäftigten verbietet. Die Satzung verpflichtet offensichtlich nur die Mitglieder mit dem Zweck, die kirchenrechtliche Ordnung zu wahren und den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen im Sinne einer einheitlichen Handhabung Geltung zu verschaffen. Für den Fall eines Verstoßes sieht die Satzung in § 9 Abs. 4 entsprechende Sanktionen des Diakonischen Werks vor. Dementsprechend hat der Kirchengerichtshof der EKD bezogen auf eine Vorgängerregelung des § 9 Abs. 2 Buchst. b der Satzung des Diakonischen Werks entschieden, dass die Satzungsregeln des Diakonischen Werks, dem die betreffende Dienststelle angehört, keine individualschützende Drittwirkung haben24.

Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ist auch nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.

Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Das ist der Fall, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren ist. Dies ist aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden relevanten Umstände zu beurteilen25.

Aus den hier relevanten Umständen lässt sich keine Sittenwidrigkeit von Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ableiten. Es handelt sich um eine für sich genommen nicht zu beanstandende Vereinbarung bezüglich der Vergütungssteigerung, welche die Parteien in Ausübung ihrer Privatautonomie vorgenommen haben. Der Verstoß gegen kirchenrechtliche Vorgaben änderte daran entgegen der von der Arbeitnehmerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht vertretenen Ansicht nichts, selbst wenn die kirchliche Ordnung und deren Wertvorstellungen bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären26. Die Arbeitgeberin durfte sich als kirchliche Arbeitgeberin des staatlichen Arbeitsrechts zur Gestaltung des Rechtsverhältnisses bedienen. Die Parteien haben sich mit der Vereinbarung einer Vergütung nach Entgeltgruppe 3 AVR-DD an der kirchlich vorgesehenen Grundvergütung orientiert und nur die Entgeltsteigerungen eigenständig festgelegt. Das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ als Maßstab für den Inhalt der guten Sitten27 ist hierdurch nicht verletzt.

Der Arbeitgeberin ist es nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 zu berufen. Entgegen der Auffassung der Revision verletzt die Vertragspraxis der Arbeitgeberin auch bei Berücksichtigung ihrer Zugehörigkeit zum Diakonischen Werk die Verkehrssitte iSd. § 242 BGB nicht.

Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 ist nicht Ausfluss eines institutionellen Rechtsmissbrauchs der Arbeitgeberin28. Die Arbeitgeberin hat lediglich von der Privatautonomie Gebrauch gemacht und eine zulässige Vertragsgestaltung vorgenommen.

Die Verweigerung der streitgegenständlichen Entgeltsteigerungen ist auch nicht wegen widersprüchlichen Verhaltens der Arbeitgeberin treuwidrig. Zwar kann eine Rechtsausübung gemäß § 242 BGB unzulässig sein, wenn sich eine Partei damit in Widerspruch zu ihrem eigenen vorausgegangenen Verhalten setzt und für die andere Partei ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen29. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Arbeitgeberin hat die Vergütung der Arbeitnehmerin entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen erhöht und keinen Vertrauenstatbestand auf eine höhere Vergütung geschaffen. Ein solcher kann auch nicht allein aus der Zugehörigkeit der Arbeitgeberin zum Diakonischen Werk abgeleitet werden. Diese weckte allenfalls Erwartungen, welche bereits mit Vorlage der Vertragsformulare enttäuscht wurden.

Die Arbeitnehmerin kann die Differenz, die sich aus einer nach den Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission gesteigerten Vergütung und den gezahlten Beträgen ergibt, auch nicht im Wege des Schadensersatzes verlangen.

Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB besteht nicht. Die Arbeitgeberin hat die Arbeitnehmerin bezogen auf das Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 3 AVR-DD vertragsgemäß vergütet. Eine vertragliche Nebenpflicht zur Vereinbarung und Leistung einer nach den Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission gesteigerten Vergütung bestand entgegen der Ansicht der Revision nicht. Die Arbeitnehmerin kann aus den kirchen- und satzungsrechtlichen Vorgaben keine individuellen Rechte ableiten. Wie dargestellt, handelt es sich bei diesen Regelungen letztlich um internes Organisationsrecht der Kirche, dessen Nichtbefolgung arbeitsrechtlich allenfalls durch die Mitarbeitervertretung im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte geltend gemacht werden kann. Die von der Revision behauptete Vergleichbarkeit der kirchenrechtlichen Verpflichtungen mit sozialversicherungsrechtlichen Arbeitgeberpflichten besteht nicht. Es handelt sich um völlig unterschiedliche Regelungswerke des kirchlichen und des staatlichen Rechtskreises. Sie stimmen weder hinsichtlich der Regelungsmaterie noch hinsichtlich der Zielsetzung überein.

Mangels individualrechtlichen Bezugs wurde durch Nr. 1 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 auch kein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB verletzt. Hinsichtlich des Fehlens eines Schutzzweckes der kirchlichen Regelungen wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.

Die Arbeitnehmerin hat auch bezogen auf die Jahressonderzahlungen keinen Differenzentgeltanspruch.

Dabei kann offenbleiben, ob Ziff. 17 des ursprünglichen Arbeitsvertrags vom 23.01.2014, wonach die Jahressonderzahlung „im Stundenlohn“ bereits enthalten sein sollte, einem Anspruch auf eine neben dem Tabellenentgelt zu leistende Jahressonderzahlung nach Anlage 14 AVR-DD hätte entgegenstehen können. Die Parteien haben mit Nr. 2 der Änderungsvereinbarung vom 23.01.2014 eine hinreichend transparente Neuregelung bezüglich der Jahressonderzahlung vorgenommen. Diese bestimmt, dass der Anspruch auf die „Jahressonderzuwendung“, wobei offensichtlich die Jahressonderzahlung nach den AVR-DD gemeint ist, nur zur Hälfte bestehe und die zweite Hälfte auch bei einem positiven Betriebsergebnis nicht beansprucht werden könne. Die Aufteilung in „zwei Hälften“ sowie der Bezug zum Betriebsergebnis entspricht Anlage 14 AVR-DD. Mit Abschluss der Änderungsvereinbarung haben die Parteien somit einen Anspruch der Arbeitnehmerin auf eine neben dem Tabellenentgelt zu leistende Jahressonderzahlung vorgesehen, deren Höhe jedoch auf die im November des jeweiligen Jahres zu leistende erste Hälfte beschränkt ist. Diese Reduzierung der Ansprüche nach Anlage 14 AVR-DD widerspricht zwar den kirchen- und satzungsrechtlichen Vorgaben. Wie ausgeführt, bewirkt dies aber weder die Unwirksamkeit der Vereinbarung noch werden hierdurch Schadensersatzansprüche ausgelöst.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Mai 2018 – 6 AZR 308/17

  1. vgl. BAG 23.11.2017 – 6 AZR 683/16, Rn. 12; 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, Rn. 107, BAGE 143, 354; 22.02.2012 – 4 AZR 24/10, Rn. 18[]
  2. BAG 13.11.2002 – 4 AZR 73/01, zu I 3 b bb der Gründe, BAGE 103, 353; zur Frage einer normativen Wirkung kirchlicher Dienstvereinbarungen vgl. BAG 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, Rn. 28 ff.[]
  3. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 705/15, Rn. 14[]
  4. vgl. BAG 22.07.2010 – 6 AZR 847/07, Rn. 12, BAGE 135, 163; 10.12 2008 – 4 AZR 801/07, Rn. 17, BAGE 129, 1[]
  5. vgl. BAG 16.02.2012 – 6 AZR 573/10, Rn. 29 mwN, BAGE 141, 16[]
  6. vgl. BAG 23.11.2017 – 6 AZR 683/16, Rn. 12; 28.06.2012 – 6 AZR 217/11, Rn. 40 ff., BAGE 142, 247[]
  7. BAG 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, Rn. 47 ff.[]
  8. vgl. BAG 25.06.2015 – 6 AZR 383/14, Rn. 23, BAGE 152, 82[]
  9. zum regelmäßigen Verständnis einer Bezugnahme als dynamische Verweisung vgl. BAG 12.12 2012 – 4 AZR 65/11, Rn. 25; Schaub ArbR-HdB/Treber 17. Aufl. § 206 Rn. 31[]
  10. BAG 27.04.2017 – 8 AZR 859/15, Rn. 71 mwN; zum subjektiven Überraschungsmoment vgl. auch: BAG 19.03.2014 – 5 AZR 252/12 (B), Rn. 59, BAGE 147, 342; Hoefs in Clemenz/Kreft/Krause AGB-Arbeitsrecht § 305c Rn. 10; Däubler/Bonin/Deinert/Däubler AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 4. Aufl. § 305c Rn. 13; HWK/Gotthardt/Roloff 7. Aufl. § 305c BGB Rn. 4[]
  11. Vergütung nach Entgeltgruppe 3 AVR-DD[]
  12. BAG 24.08.2017 – 8 AZR 378/16, Rn. 18[]
  13. vgl. nur BAG 12.03.2015 – 6 AZR 82/14, Rn. 23, BAGE 151, 108[]
  14. vgl. BAG 21.04.2016 – 8 AZR 474/14, Rn. 61[]
  15. BAG 26.01.2017 – 6 AZR 671/15, Rn. 22 mwN, BAGE 158, 81[]
  16. vgl. demgegenüber zum Fall eines Verzichts auf eine vertraglich bereits begründete Rechtsposition BAG 15.12 2016 – 6 AZR 478/15, Rn. 30, BAGE 157, 284[]
  17. vgl. BVerfG 22.10.2014 – 2 BvR 661/12, Rn. 90, BVerfGE 137, 273; zu den Rechtsquellen des evangelischen Kirchenrechts vgl. Anke in Anke/de Wall/Heinig HevKR § 4 Rn. 25 ff.[]
  18. vgl. für die katholische Kirche: KAGH 12.10.2007 – M 03/07 – ZMV 2008, 29; 30.11.2006 – M 02/06 – ZMV 2007, 81; Eder ZTR 2018, 191; für die evangelische Kirche KGH.EKD 10.12 2012 – II-0124/U5-12 – ZMV 2013, 210; zur Feststellung der Nichtanwendbarkeit einer nicht einschlägigen Arbeitsrechtsregelung vgl. KGH.EKD 8.09.2011 – I-0124/S67-10 – ZMV 2011, 324[]
  19. vgl. zum Fall einer unter der auflösenden Bedingung einer kirchlichen Ausnahmegenehmigung stehenden Bezugnahme auf eine vom kirchlichen Arbeitgeber selbstgesetzte Arbeitsordnung BAG 24.02.2011 – 6 AZR 634/09, Rn. 22 ff.[]
  20. vgl. BAG 16.02.2012 – 6 AZR 592/10, Rn. 16; zum kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht vgl. BAG 22.03.2018 – 6 AZR 835/16, Rn. 28 ff.[]
  21. so aber Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 7. Aufl. § 15 Rn. 69, 70[]
  22. vgl. Eder ZTR 2018, 191 f.[]
  23. vgl. BeckOK BGB/Schöpflin Stand 1.11.2017 § 25 Rn. 15 ff.; Staudinger/Weick (2005) § 25 Rn. 9 f.[]
  24. KGH.EKD 8.09.2011 – I-0124/S67-10 – ZMV 2011, 324; vgl. zu diesem Fall auch BAG 15.01.2014 – 10 AZR 403/13, Rn. 34 ff.[]
  25. BAG 21.04.2016 – 8 AZR 474/14, Rn. 31[]
  26. vgl. hierzu Palandt/Ellenberger 77. Aufl. BGB § 138 Rn. 2[]
  27. vgl. BAG 19.12 2013 – 6 AZR 145/12, Rn. 48; Staudinger/Sack/Fischinger (2017) § 138 Rn. 57; Erman/Schmidt-Räntsch BGB 15. Aufl. § 138 Rn. 12[]
  28. vgl. hierzu BAG 18.07.2012 – 7 AZR 443/09, Rn. 38, BAGE 142, 308[]
  29. BAG 27.04.2017 – 6 AZR 367/16, Rn. 31[]