§ 6 Abs. 1 BUrlG, dem zufolge der Anspruch auf Urlaub nicht besteht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist, enthält eine negative Anspruchsvoraussetzung. Dem Arbeitnehmer als Gläubiger des Urlaubsanspruchs obliegt es, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die Voraussetzungen, unter denen § 6 Abs. 1 BUrlG eine Anrechnung bereits gewährten Urlaubs vorsieht, nicht vorliegen. Dabei gelten die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast.

Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber den Urlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten.
Nach § 6 Abs. 1 BUrlG besteht der Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Der frühere Arbeitgeber ist gemäß § 6 Abs. 2 BUrlG verpflichtet, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.
§ 6 Abs. 1 BUrlG regelt den Urlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubsjahres den Arbeitgeber wechselt. Bei aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen wird durch § 6 Abs. 1 BUrlG der Anspruch im neuen Arbeitsverhältnis ganz oder teilweise ausgeschlossen, wenn Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers bereits im früheren Arbeitsverhältnis erfüllt worden sind und auch im neuen Arbeitsverhältnis kein Anspruch auf eine höhere Anzahl von Urlaubstagen als im früheren Arbeitsverhältnis entsteht1. Es genügt allerdings nicht, dass dem Arbeitnehmer gegen den früheren Arbeitgeber nur ein Anspruch auf Urlaub zustand2.
In § 6 Abs. 1 BUrlG formuliert das Gesetz eine negative Anspruchsvoraussetzung. Dem Arbeitnehmer als Gläubiger des Urlaubsanspruchs obliegt es, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die Voraussetzungen, unter denen § 6 Abs. 1 BUrlG eine Anrechnung bereits gewährten Urlaubs vorsieht, nicht vorliegen.
Nach der bisherigen Rechtsprechung und der überwiegenden Ansicht in der urlaubsrechtlichen Literatur handelt es sich bei § 6 Abs. 1 BUrlG um eine rechtshindernde Einwendung, die der Arbeitgeber dem Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers entgegensetzen kann3. In der Konsequenz dieser dogmatischen Einordnung liegt es, dem Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzubürden, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des ihn begünstigenden Anrechnungstatbestands vorliegen4. Eine Mindermeinung im urlaubsrechtlichen Schrifttum versteht die Vorschrift richtigerweise als negative Anspruchsvoraussetzung5. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Gesetzeshistorie geben verlässliche Hinweise auf den Rechtscharakter des § 6 Abs. 1 BUrlG. Die Entwurfsbegründungen sind ebenso unergiebig wie der Bericht des Ausschusses für Arbeit vom 30.11.19626. Allerdings spricht der Gesichtspunkt der Beweisnähe dafür, § 6 Abs. 1 BUrlG als negative Anspruchsvoraussetzung aufzufassen. Das Entstehen von Urlaubsansprüchen, deren Umfang, die Gewährung von Urlaub und dessen Abgeltung sind sämtlich Tatsachen, die im Rechtsverhältnis zwischen dem früheren Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer wurzeln. Sie liegen außerhalb der Sphäre des neuen Arbeitgebers. Erachtete man § 6 Abs. 1 BUrlG als rechtshindernde Einwendung, belastete man den neuen Arbeitgeber mit der Obliegenheit, Umstände, von denen er in aller Regel keine Kenntnis hat, vorzutragen und im Streitfalle unter Beweis zu stellen. Ein faktischer Zwang zu Behauptungen „ins Blaue“ ist dem Zivilprozessrecht fremd. Der im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren geltende Beibringungsgrundsatz verlangt vielmehr einen schlüssigen Tatsachenvortrag der Parteien. Für einen solchen genügt es nicht, wenn eine Partei lediglich Mutmaßungen aufstellt, ohne dass sie tatsächliche Anhaltspunkte für ihre Behauptung darlegt7. Ein Auslegungsergebnis, das diesem Aspekt Rechnung trägt, harmoniert im Übrigen mit § 6 Abs. 2 BUrlG. Danach ist der frühere Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub zu erteilen. Das BUrlG gibt dem Arbeitnehmer damit ein geeignetes Mittel an die Hand, dem neuen Arbeitgeber gegenüber nachzuweisen, dass der frühere Arbeitgeber im laufenden Kalenderjahr keinen oder weniger anrechenbaren Urlaub gewährt oder abgegolten hat, als dem Arbeitnehmer zusteht. Nur auf diese Weise lässt sich der Interessenkonflikt in dem Dreiecksverhältnis von früherem Arbeitgeber, Arbeitnehmer und neuem Arbeitgeber unter Beachtung von Sinn und Zweck des § 6 Abs. 1 BUrlG, die Gewährung des Mindesturlaubs sicherzustellen, ohne den sein Arbeitsverhältnis wechselnden Arbeitnehmer gegenüber anderen zu bevorteilen, sachgerecht lösen.
Es gelten die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Es obliegt zunächst dem Arbeitnehmer vorzutragen, dass die Voraussetzungen, unter denen § 6 Abs. 1 BUrlG eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen vorsieht, nicht vorliegen. Bestreitet der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers – gegebenenfalls mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO), hat der Arbeitnehmer seine Darlegungen zu substanziieren. Stellt der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers in Abrede, hat der Arbeitnehmer für seine Angaben Beweis anzubieten. Neben anderen Beweismitteln kommt hierbei insbesondere die Urlaubsbescheinigung gemäß § 6 Abs. 2 BUrlG in Betracht. Legt der Arbeitnehmer eine solche vor, obliegt es dem Arbeitgeber, den besonderen Beweiswert dieser Bescheinigung, der in § 6 Abs. 2 BUrlG zum Ausdruck kommt, durch konkreten Sachvortrag zu erschüttern.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Dezember 2014 – 9 AZR 295/13
- BAG 21.02.2012 – 9 AZR 487/10, Rn. 16, BAGE 141, 27[↩]
- vgl. BAG 17.02.1966 – 5 AZR 447/65, zu 1 a der Gründe, BAGE 18, 153[↩]
- vgl. BAG 9.10.1969 – 5 AZR 501/68, zu 2 der Gründe; Arnold/Tillmanns/Tillmanns BUrlG 3. Aufl. § 6 Rn. 33; MüArbR/Düwell 3. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn.19; Friese Urlaubsrecht Rn. 567; Leinemann/Linck Urlaubsrecht 2. Aufl. § 6 BUrlG Rn. 31; MünchKomm-BGB/Müller-Glöge 6. Aufl. § 611 Rn. 936; Küttner/Röller Personalbuch 2014 Urlaubsanspruch Rn. 30; HWK/Schinz 6. Aufl. § 6 BUrlG Rn. 2; HzA/Schütz Gruppe 4 Rn. 581[↩]
- vgl. Arnold/Tillmanns/Tillmanns aaO; MüArbR/Düwell aaO; ErfK/Gallner 15. Aufl. § 6 BUrlG Rn. 6; Leinemann/Linck aaO; HWK/Schinz aaO; HzA/Schütz aaO; Zerbe in Tschöpe AHB-Arbeitsrecht Teil 2 C Rn. 135[↩]
- vgl. Bachmann in GK-BUrlG 5. Aufl. § 6 Rn.19; Natzel Bundesurlaubsrecht 4. Aufl. § 6 Rn. 31; in diese Richtung auch Dütz Anm. SAE 1970, 155, 157 f.[↩]
- BT-Drs. IV/785[↩]
- vgl. BAG 25.04.2013 – 8 AZR 287/08, Rn. 36[↩]