Der schwerbehinderte Arbeitnehmer hat das Recht, sich gegenüber seinem Arbeitgeber auf den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz (§ 85 SGB IX iVm. § 134 BGB) zu berufen, in der Regel nicht nach § 242 BGB verwirkt, wenn er die Unwirksamkeit der Kündigung innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend gemacht hat.

Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer – wie hier – im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten, so steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX – abgesehen von den sich aus § 90 SGB IX ergebenden Ausnahmen – nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung nichts wusste [1].
Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, der Verwirkung (§ 242 BGB). Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit der Verwirkung wird ausgeschlossen, Rechte illoyal verspätet geltend zu machen [2]. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist [3]. Nach den vom Bundesarbeitsgericht hierzu aufgestellten Grundsätzen muss sich der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt [4], gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die Dreiwochenfrist ist eine Regelfrist. Sie konkretisiert den Verwirkungstatbestand. Ihre Überschreitung führt danach regelmäßig, aber nicht zwingend zur Verwirkung [5].
Die ursprünglich vom Bundesarbeitsgericht angenommene Monatsfrist wurde zu einer Zeit als Regelfrist aufgestellt, als das Fehlen einer Zustimmung der zuständigen Behörde noch als sonstiger Unwirksamkeitsgrund außerhalb der Klagefrist geltend gemacht werden konnte. Die Frist sollte einer Überforderung des Arbeitgebers durch den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer entgegenwirken. Nachdem der Arbeitnehmer nunmehr auch die sonstigen Unwirksamkeitsgründe einschließlich der Schwerbehinderung innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend machen muss, konnte es bei der Monatsfrist nicht bleiben: Die materiellrechtliche Verwirkungsfrist konnte sinnvoller Weise nicht länger sein als die mit denselben Wirkungen des Rechtsverlustes ausgestattete Versäumung der Klagefrist.
Dem entspricht es, dass auch umgekehrt die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht länger sein kann als die materiellrechtliche Verwirkungsfrist. Es liegt nicht in der Absicht des Gesetzes, Arbeitnehmer, die ihren Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderte Menschen geltend machen wollen, schlechter zu stellen als zB Arbeitnehmer, die sich auf andere vom Arbeitgeber unerkannte Unwirksamkeitsgründe stützen wollen. Das Gesetz will alle Unwirksamkeitsgründe, was die Frist, sie gerichtlich geltend zu machen, betrifft, gleichbehandeln. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG soll den Arbeitgeber schützen. Er soll nach einer angemessenen Zeit, die vom Gesetzgeber auf drei Wochen zuzüglich der zur Zustellung der Klageschrift erforderlichen Zeit bemessen wurde, davon geschützt sein, sich mit dem Begehren nach Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auseinandersetzen zu müssen. Umgekehrt mutet das Gesetz jedenfalls bis zum Ablauf dieser Zeitspanne dem Arbeitgeber zu, die Wirksamkeit der Kündigung verteidigen und alle etwa geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe entweder entkräften oder gegen sich gelten lassen zu müssen. Dies erfasst nach der Neuregelung des § 4 Satz 1 KSchG auch die fehlende Zustimmung des Integrationsamts. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn sich ein Arbeitnehmer, der innerhalb der betreffenden Zeitspanne die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 SGB IX geltend macht, gleichwohl den Einwand der Verwirkung entgegenhalten lassen müsste.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Februar 2010 – 2 AZR 659/08
- vgl. BAG 12.01.2006 – 2 AZR 539/05, AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5[↩]
- BAG 25.03.2004 – 2 AZR 295/03, AP MuSchG 1968 § 9 Nr. 36 = EzA MuSchG § 9 nF Nr. 40[↩]
- BAG 15.02.2007 – 8 AZR 431/06, BAGE 121, 289[↩]
- BAG 13.02.2008 – 2 AZR 864/06, BAGE 125, 345; 12.01.2006 – 2 AZR 539/05[↩]
- BAG 12.01.2006 – 2 AZR 539/05[↩]