Der Begründung einer Notzuständigkeit, weil das Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, dessen Gerichte international zuständig sind, keine Ehescheidung kennt (sogenanntes Malta-Problem), bedarf es nach Einführung der Ehescheidung durch die Republik Malta nicht mehr. Das gilt auch, wenn der Scheidungsantrag in Deutschland zu einem Zeitpunkt rechtshängig geworden ist, zu dem eine Ehescheidung im maltesischen Recht noch nicht vorgesehen war.

Aus Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 2201/20031 ergibt sich keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.
Eine internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel-IIa-VO setzt in allen Alternativen voraus, dass wenigstens einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts hat. Dies führt hier allein zur Zuständigkeit der Gerichte von Malta.
Eine Herleitung der internationalen Zuständigkeit aus der Staatsangehörigkeit setzt nach Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO die übereinstimmende Staatsangehörigkeit beider Ehegatten voraus, die im vorliegenden Fall nicht gegeben ist.
Die Revision macht geltend, die Regelung in Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO verstoße in dieser Auslegung gegen das Diskriminierungsverbot der Art. 21 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCH), Art. 18 Abs. 1 AEUV, weil gemischtnationalen Paaren die Anrufung der Gerichte ihres Heimatstaates versagt sei und diese gegenüber Paaren mit gemeinsamer Staatsangehörigkeit benachteiligt würden. Diese Auffassung ist auch in der Rechtslehre vertreten worden2.
Ihr ist nicht zu folgen. Eine Korrektur der Vorschrift wegen Verstoßes gegen Primärrecht der Europäischen Union kommt angesichts des klaren Wortlauts von Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO und der inzwischen ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht in Betracht.
Die an die Staatsangehörigkeit geknüpfte internationale Zuständigkeit war bereits nach der Vorgängerregelung in Art. 2 lit. b der VO (EG) 1347/2000 (Brüssel-II-VO) auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit beider Ehegatten beschränkt. Diese Regelung ist ungeachtet der geäußerten Kritik3 in die Brüssel IIaVerordnung übernommen worden. Sie verstößt nicht gegen höherrangiges (Primär-)Recht der Europäischen Union.
Dass Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten anknüpft, steht vor dem Hintergrund, dass durch die Verordnung kein reiner Klägergerichtsstand (forum actoris) begründet werden sollte, wie es bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit nur eines Ehegatten der Fall gewesen wäre. Allein aufgrund der Staatsangehörigkeit nur eines Ehegatten wurde kein hinreichend enger Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts gesehen4.
Der Europäische Gerichtshof hat sich für den Fall doppelter (gemeinsamer) Staatsangehörigkeit und bezogen auf Art. 64 Abs. 4 Brüssel-IIa-VO mit der Regelung in Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO bereits befasst5. Nach seiner Rechtsprechung ist die Auslegung vorrangig am Wortlaut zu orientieren. Wenn beide Ehegatten die Staatsangehörigkeit derselben Mitgliedstaaten besitzen, steht danach Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO der Ablehnung der Zuständigkeit eines dieser Mitgliedstaaten entgegen6. In einer weiteren Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, Art. 6 und 7 Brüssel-IIa-VO seien dahin auszulegen, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats, wenn die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 3 dieser Verordnung zuständig seien und der Antragsgegner weder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats habe noch die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitze, ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über den entsprechenden Antrag nicht aus ihrem nationalen Recht herleiten könnten7. Dass im letztgenannten Fall der Antragsgegner die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besaß und sich auch nicht in einem Mitgliedstaat aufhielt, begründet keine entscheidende Besonderheit gegenüber der vorliegenden Fallkonstellation. Vielmehr muss der Ausschluss einer Begründung der internationalen Zuständigkeit durch das nationale Recht eines Mitgliedstaates erst recht gelten, wenn der Antragsgegner Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich auch in einem Mitgliedstaat aufhält.
Ausgehend von den genannten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs erscheint es ausgeschlossen, dass abweichend vom klaren Wortlaut der Verordnung bereits die alleinige Staatsangehörigkeit nur eines Ehegatten die Zuständigkeit seines Heimatstaates begründen kann. Zweifel an der Vereinbarkeit des § 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO mit höherrangigem Unionsrecht hat der Europäische Gerichtshof nicht geäußert. Dementsprechend geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass die Vereinbarkeit des Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel-IIa-VO mit höherrangigem Unionsrecht geklärt ist.
Dem Berufungsgericht ist ebenfalls darin zuzustimmen, dass die internationale Zuständigkeit auch nicht auf die Restzuständigkeit nach Art. 7 Brüssel-IIa-VO gestützt werden kann. Eine solche setzt nach Art. 7 Abs. 1 Brüssel-IIa-VO voraus, dass sich aus Art. 3 bis 5 Brüssel-IIa-VO keine Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaates ergibt. Diese Voraussetzungen liegen in der vorliegenden Fallkonstellation nicht vor. Insbesondere aufgrund von Art. 3 Abs. 1 lit. a 1. Spiegelstrich Brüssel-IIa-VO sind die Gerichte von Malta international zuständig. Die Zuständigkeitsbestimmungen der Art. 3 bis 5 Brüssel-IIa-VO schließen die Anwendbarkeit der nationalen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit regelmäßig aus8.
Die Revision vertritt demgegenüber die Auffassung, Art. 3 Brüssel-IIa-VO sei so zu verstehen, dass die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates nur begründet sein könne, wenn das nationale Recht dieses Mitgliedstaates die Möglichkeit der Ehescheidung vorsehe. Daraus folge, dass „in extremen Fällen“ eine Notzuständigkeit zu eröffnen sei, wenn die in Art. 6 Brüssel-IIa-VO postulierte ausschließliche Zuständigkeit zu einer Rechtsverweigerung führe.
Die von der Revision vorgebrachten Gründe betreffen das Problem, ob die Regelung der Brüssel IIaVerordnung nach dem Beitritt Maltas noch in vollem Umfang vom Willen des Verordnungsgebers gedeckt oder ob die Verordnung mit Blick auf gemischtnationale Ehen dadurch möglicherweise lückenhaft geworden war, wobei der vom Berufungsgericht angeführte Vorschlag zur Einführung einer Notzuständigkeit in der Brüssel IIaVerordnung nicht umgesetzt worden ist. In der Rechtsprechung ist schon aufgrund der bestehenden Gesetzeslage vereinzelt allerdings nur für den Fall beiderseitiger Scheidungsanträge eine Notzuständigkeit angenommen worden9.
Die Fragen nach einem hier bestehenden Bedürfnis für eine Rechtsfortbildung hätten bei unveränderter Gesetzeslage in Malta der Klärung durch Anrufung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedurft10. Nach der Einführung des Scheidungsrechts durch die Republik Malta bedarf es einer Klärung indessen nicht mehr.
Die Republik Malta hat zum 1. Oktober 2011 die Ehescheidung eingeführt11. Diese ist in Art. 66A bis 66N maltes. ZGB geregelt worden. Dass diese Änderung das ausländische Recht betrifft, auf dessen Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann und dessen Ermittlung grundsätzlich den Tatsacheninstanzen vorbehalten ist12, hindert seine Berücksichtigung im vorliegenden Fall nicht. Denn bei der Einführung der Ehescheidung durch den Gesetzgeber Maltas handelt es sich um eine offenkundige Tatsache, die, was die Möglichkeit der Scheidung als solche betrifft, keine Auslegungsfragen aufwirft und in der Revisionsinstanz daher berücksichtigt werden kann.
Nach der Einführung eines Ehescheidungsrechts in Malta bedarf es einer Notzuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates eines Ehegatten und der damit verbundenen Abweichung vom Wortlaut der Art. 3 ff. Brüssel-IIa-VO nicht mehr, um dem Ehegatten die Ehescheidung zu ermöglichen. Denn der Antragstellerin steht es nunmehr offen, vor einem zuständigen Gericht in Malta die Ehescheidung zu erwirken.
Die Notwendigkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof folgt auch nicht aus einer etwaigen perpetuatio fori und dem Umstand, dass sich die Gesetzeslage Maltas erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit im August 2008 geändert hat. Allerdings ist die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts grundsätzlich gegeben, wenn ihre Voraussetzungen bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags vorgelegen haben. Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nach Eintritt der Rechtshängigkeit lassen daher die einmal begründete Zuständigkeit nicht entfallen13.
In welchem Umfang die vorstehenden Regeln auch im Rahmen der Brüssel IIaVerordnung Geltung beanspruchen und ob sie insbesondere auch im Fall einer Gesetzesänderung gelten, kann hier aber offenbleiben. Denn im vorliegenden Fall hätten sich eine ursprüngliche Zuständigkeit und damit einhergehend eine perpetuatio fori nur aus einer gleichzeitigen Rechtsfortbildung bezüglich der Zuständigkeiten nach der Brüssel-IIa-VO ergeben können. Eine über das abgegrenzte System der internationalen Zuständigkeit nach der Brüssel IIaVerordnung hinausgehende, durch richterliche Rechtsfortbildung eröffnete Notzuständigkeit könnte ihre Rechtfertigung allenfalls in einer sonst eintretenden Rechtsverweigerung finden. Nach Einführung des Ehescheidungsrechts durch die Republik Malta ist diese Rechtfertigung aber entfallen, was auch im Hinblick auf eine durch die Notzuständigkeit vermittelte perpetuatio fori zu gelten hat, welche nicht weiterreichen kann als das die Rechtsfortbildung begründende Bedürfnis nach einer Gewährung effektiven Rechtsschutzes.
Allein durch die Notwendigkeit eines neuen Verfahrens in Malta erleidet die Antragstellerin keine unzumutbaren Nachteile. Dass dieses Verfahren alsdann der Rom-III-Verordnung (vgl. Art. 18 Abs. 1 Rom-III-VO)14 unterliegt, rechtfertigt die rückwirkende Anerkennung einer Notzuständigkeit ebenso wenig. Das Scheidungsverfahren wäre schließlich auch dann nach maltesischem Recht durchzuführen gewesen, wenn dieses die Scheidung gegenüber dem anderenfalls nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EGBGB aF anwendbaren deutschen Sachrecht erschwert hätte15.
Die Notwendigkeit einer Ergänzung des von der Verordnung aufgestellten Systems der internationalen Zuständigkeit besteht demnach jedenfalls nach der Einführung des Rechts der Ehescheidung durch die Republik Malta nicht mehr.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Februar 2013 – XII ZR 8/11
- Brüssel-IIa-VO[↩]
- so etwa von Hau FamRZ 2000, 1333, 1336; zum Meinungsstand vgl. Looschelders Festschrift Kropholler 2008 S. 329, 340 f.; Dilger IPRax 2006, 617, 619 f.; Helms FamRZ 2002, 1593, 1596 jeweils mwN[↩]
- vgl. etwa Hau FamRZ 2000, 1333, 1336[↩]
- vgl. Dilger Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung [EG] Nr. 2201/2003 Rn. 250 mwN; Borrás Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen, ABl.EG vom 16.07.1998 – C- 221/27 Nr. 33 S. 38 f.[↩]
- EuGH FamRZ 2009, 1571[↩]
- EuGH FamRZ 2009, 1571 Rn. 58[↩]
- EuGH FamRZ 2008, 128[↩]
- vgl. EuGH FamRZ 2008, 128[↩]
- s. zur entsprechenden Regelung in Art. 8 VO (EG) 1347/2000 [Brüssel-II-VO]: Gerechtshof ´sGravenhage, Entscheidung vom 21.02.2005 -211H05 NiPR 2006, S. 145 Nr. 6 ff.; zustimmend Winkler von Mohrenfels Festschrift von Hoffmann 2011 S. 527, 538 ff.; aA Jayme/Kohler IPrax 2006, 537, 548; Looschelders Festschrift Kropholler 2008 S. 329, 330 f.; vgl. auch Rauscher Europäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 3 Brüssel-IIa-VO Rn. 4 aE[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 159, 192 f.; BVerfG NJW 2011, 288 Rn. 46 ff. mwN[↩]
- s. Pietsch in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Malta, Stand: 19.10.2011, S. 33 f.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 10.04.2002 – XII ZR 178/99 NJW 2002, 3335 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil in BGHZ 169, 240 = FamRZ 2007, 109; Dilger Die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen in der Verordnung [EG] Nr. 2201/2003 Rn. 213 mwN; Staudinger/Spellenberg BGB [2005] Art. 3 EheGVO Rn. 125; Nagel/Gottwald Internationales Zivilprozessrecht 6. Aufl. § 5 Rn. 230[↩]
- vgl. Hau FamRZ 2013, 249, 251 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil BGHZ 169, 240 = FamRZ 2007, 109, 112[↩]