Überobligatorische Tätigkeit bei kranksbedingten Einschränkungen der Erwerbsunfähigkeit

Überobligatorisch ist eine Tätigkeit dann, wenn für sie keine Erwerbsobliegenheit besteht und deshalb derjenige, der sie ausübt, unterhaltsrechtlich nicht daran gehindert ist, sie jederzeit zu beenden1. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass auch beim Verwandtenunterhalt (§ 1601 BGB) das Einkommen des Unterhaltspflichtigen nur eingeschränkt zu berücksichtigen ist, wenn es auf einer überobligatorischen Tätigkeit beruht und eine vollständige Heranziehung des Einkommens zu Unterhaltszwecken gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB verstieße2.

Überobligatorische Tätigkeit bei kranksbedingten Einschränkungen der Erwerbsunfähigkeit

Es ist ferner in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Tätigkeit eines Unterhaltspflichtigen auch dann als ganz oder teilweise überobligatorisch bewertet werden kann, wenn die Ausübung der Erwerbstätigkeit mit an sich unzumutbaren gesundheitlichen Belastungen verbunden ist3.

Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen will, muss grundsätzlich Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Leiden angeben, und er hat ferner darzulegen, inwieweit die behaupteten gesundheitlichen Störungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken4.

Der Bundesgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine vollständige Heranziehung von Einkommen aus einer – gemessen an § 1603 Abs. 1 BGB – überobligatorischen Erwerbstätigkeit regelmäßig nur dann angezeigt ist, wenn der Unterhaltspflichtige einer gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB unterliegt5. Demnach ist auch das Einkommen aus einer nach dem Maßstab des § 1603 Abs. 1 BGB unzumutbaren Erwerbstätigkeit in vollem Umfang für den Kindesunterhalt einzusetzen, wenn anderenfalls der Mindestunterhalt nach § 1612 a Abs. 1 BGB gefährdet wäre, welcher der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle entspricht. Soweit indessen – wie hier – die Eingruppierung des Unterhaltspflichtigen in eine höhere Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle in Rede steht, muss die Anrechenbarkeit des Einkommens bereits bei der Ermittlung des angemessenen Lebensbedarfs nach § 1610 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Soweit hiernach die vollständige Berücksichtigung des überobligatorischen Einkommens nicht mit Treu und Glauben vereinbar wäre, ist schon der Bedarf nur aufgrund des reduzierten Einkommens zu bemessen5.

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In welchem Umfang ein Einkommen aus überobligatorischer Tätigkeit für den Unterhalt heranzuziehen ist, bestimmt der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Einzelfallumstände, die insbesondere der Überobligationsmäßigkeit der Tätigkeit und den Besonderheiten des Unterhaltsverhältnisses angemessen Rechnung trägt. Dabei wird beim Unterhalt für minderjährige oder privilegiert volljährige Kinder eine (zumindest teilweise) Anrechnung überobligatorisch erzielten Einkommens des Pflichtigen eher in Betracht kommen als beim Unterhalt für Ehegatten oder sonstige Verwandte.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Juli 2013 – XII ZB 297/12

  1. Wendl/Gerhardt Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 1 Rn. 801[]
  2. BGH, Urteile BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 53 und vom 07.11.1990 – XII ZR 123/89, FamRZ 1991, 182, 183 f.[]
  3. vgl. OLG Hamm FamRZ 1994, 1034; AG Flensburg FamRZ 2008, 1626; MünchKomm-BGB/Maurer 6. Aufl. § 1578 Rn. 106; Reinken in BeckOK BGB [Stand: Mai 2013] § 1602 Rn. 43; jurisPK-BGB/Clausius [Stand: Juni 2013] § 1578 Rn. 9[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 25.10.2006 – XII ZR 190/03, FamRZ 2007, 200, 201 f. und vom 27.06.2001 – XII ZR 135/99, FamRZ 2001, 1291, 1292[]
  5. BGH, Urteil BGHZ 188, 50 = FamRZ 2011, 454 Rn. 54[][]